Annalena Baerbock greift Friedrich Merz an.Bild: screenshot ard
Deutschland
maik mosheim
Die ARD startet eine neue Themenwoche. "Wie wollen wir leben?" lautet der Titel, der Zukunftsfragen aufwerfen und auch beantworten soll. Der Aufhänger ist natürlich die Corona-Pandemie, die viele Aspekte im Leben der Menschen beeinflusst und auch in Zukunft beeinflussen wird. Bei "Anne Will" hat sich mit dem CDU-Politiker Friedrich Merz, Vizekanzler OIaf Scholz (SPD) und der Grünen-Chefin Annalena Baerbock eine illustre Runde versammelt.
Eine der ganz wenigen Einigkeiten an diesem Abend gibt es gleich zu Beginn. "Nicht alles wird sich ändern, aber vieles", gibt Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Vorsitz, bekannt. Soweit erstmal keine Einwände aus der Runde. Merz hat bis vor sechs Monaten noch für den Vermögensverwalter Blackrock gearbeitet, was für Moderatorin Will der Aufhänger ist, um eine Debatte über Kapitalismus und Kapitalmärkte zu starten.
Will stellt Frage, Merz hat da aber überhaupt keine Lust drauf
So hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gefordert, dass die Kapitalmärkte in ihrem Tempo eingebremst werden müssten und ein Wandel in dieser Hinsicht als notwendig dargestellt. Will will wissen, wie Blackrock dazu steht. Friedrich Merz gefällt die Frage überhaupt nicht.
Friedrich Merz verzieht leicht das Gesicht.Bild: screenshot ZDF
"Also wenn Sie sich mit dem Unternehmen beschäftigt haben, Frau Will, wissen Sie, dass dieses Unternehmen das erste war, das ökologische, soziale und gesellschaftliche Fragen betont hat", sagt er. Und führt aus:
"Überrascht mich jetzt ein bisschen, dass Sie mich heute Abend damit konfrontieren."
Friedrich Merz
Schließlich sei er schon monatelang nicht mehr für Blackrock tätig.
Grünen-Chefin widerspricht Merz
Will beharrt als Antwort lediglich auf ihrer Frage: "Wie kriegt man denn nun die Kapitalmärkte wieder in ein anderes Tempo?" Merz tut ihr den Gefallen und beantwortet die Frage. Zumindest so halb: Seiner Meinung nach seien die Kapitalmärkte bereits in einem anderen Tempo unterwegs.
CDU-Politiker Friedrich Merz.Bild: screenshot ZDF
Grünen-Chefin Annalena Baerbock ist traditionell anderer Ansicht als Merz, betont, dass es ein Umdenken geben müsse, unter anderem beim Thema Wirtschaftswachstum. Dieses um jeden Preis als oberstes Ziel auszugeben, sei ihrer Meinung nach der falsche Ansatz.
Merz und sein umstrittenes Statement zum Kurzarbeitergeld
Baerbock hat sich an diesem Abend ganz offensichtlich vorgenommen, Friedrich Merz anzugreifen, wo es nur geht. So wirft sie ihm vor, Menschen dazu aufzufordern, wieder arbeiten zu gehen und dabei zu vergessen, dass sie zwar arbeiten wollen, aber wegen Corona nicht können.
Das umstrittene Zitat von Friedrich Merz.Bild: screenshot ZDF
Klingt erstmal wirr, hat aber einen Hintergrund: Mit Bezug auf das sogenannte Kurzarbeitergeld, dass es Unternehmen ermöglicht, ihre Arbeitnehmer zu bezahlen, obwohl diese keine oder weniger Arbeit leisten während Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie, hatte Merz in einem Interview gesagt: "Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können. Wir müssen zurück an die Arbeit." Dieses Zitat soll auch später in der Sendung nochmal für Wirbel sorgen.
Wirtschaftsexperte Merz reicht es
Baerbock fordert im Anschluss noch größere Investitionen und die Aufnahme von noch mehr Schulden seitens des Bundes. Was dabei natürlich nicht fehlen darf: Die Kritik an der Schuldenbremse, die Baerbock und die Grünen gerne grundlegend reformieren würden. Wirtschaftsexperte Merz ist es irgendwann genug.
"Diese Schuldenbremse ist nicht gemacht worden für gute Zeiten, Frau Baerbock, sie ist gemacht worden für schlechte Zeiten."
Friedrich Merz
Er fügt an, dass die Grünen ja schließlich der Schuldenbremse auch zugestimmt hätten. "Schulden machen ist keine fantasievolle Politik für die Zukunft", ergänzt er. Baerbocks Mimik ist im Anschluss schwer zu deuten, sie wirkt ein wenig zurechtgestutzt.
Gehaltvoll und trotzdem unterhaltend - eine starke Will-Sendung
Es ist eine hochinteressante Sendung, in der die Politiker zwar viele Zahlen und politische Einblicke einbringen, die es teilweise schwer machen, allen Aspekten zu folgen. Aber genau dieser Punkt ist es auch, der Inhalte vermittelt, der mitnimmt und einen selten kompakten Einblick in die Finanzpolitik des Bundes gibt.
Die Runde bei "Anne Will" diskutiert.Bild: screenshot ZDF
Und für Unterhaltung ist mit den Privatfehden von Baerbock und Merz und Merz und Moderatorin Will sowieso gesorgt. Einer der größten Streitpunkte: Das bereits erwähnte Merz-Zitat.
Der Einsatz von Olaf Scholz
Als es an einer anderen Stelle der Sendung zum zweiten Mal an diesem Abend eingeblendet wird, fährt Merz aus der Haut. Er guckt Will zunächst irritiert an, sagt dann, er verstehe nicht, wieso dieses Zitat schon wieder eingeblendet wird, will sich anschließend erklären, dass er eigentlich etwas ganz anderes gemeint habe. Doch damit trifft er einen Nerv Vizekanzler Olaf Scholz, der sich zuvor aus den Streitereien sehr vornehm herausgehalten hatte. Was folgt, ist eine überraschende Attacke gegen Politikerkollege Merz.
"Wenn man so einen Satz spricht, dann fühlen sich Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die gerne zur Arbeit gehen, schwer verletzt."
Olaf Scholz
Bedeutungsschwer und mit viel Inbrunst verteidigt er das Kurzarbeitergeld und wirft Merz vor, mit seiner Aussage über die Stränge geschlagen zu haben.
Olaf Scholz reagiert auf Merz' Versuche, sich zu erklären.Bild: screenshot ZDF
Erwachsen geht anders
Merz fühlt sich daraufhin missverstanden, wirft Scholz vor, ihm die Worte im Mund umzudrehen und wirkt generell nicht besonders weltmännisch. Auch dann nicht, als Anne Will im Anschluss das Thema Gendersprache einleitet und an Olaf Scholz mit dem Hinweis übergibt, dass sich dieser als Feminist bezeichne. Merz' Reaktion: ein Lachen. Sehr erwachsen.
Als er dann auch noch versucht, das Thema mit den Worten "wir haben derzeit ganz andere Probleme" abzumoderieren, macht er sich vermutlich nicht nur bei der bedient dreinschauenden Annalena Baerbock ziemlich unbeliebt.
Auch eine Endlos-Diskussion kommt irgendwann zum Ende
Die lässt sich dann auch nicht lange bitten, geht Merz hart an und hält ihm vor, das Thema Gleichberechtigung herunterzuspielen. Er und „seine“ CDU seien der Grund dafür, dass viele angestrebte Gesetze, die strukturelle Diskriminierung adressieren würden, im Bundestag keine Mehrheit bekommen würden.
Es entsteht ein Hin und Her, in dem Merz versucht, sich als Kämpfer für mehr Frauen in der Politik hinzustellen und Baerbock ihm ihre Sichtweise entgegenhält. Die Diskussion, in der Olaf Scholz überhaupt nicht mehr zu Wort kommt, könnte wohl noch Stunden dauern, doch das Ende der Sendung kommt schneller als erwartet. Was bleibt, ist das unbefriedigende Gefühl einer nicht abgeschlossenen Diskussion.