Die Folgen von Corona sind überall spürbar. Gastronomie, Kultur und Tourismus kämpfen ums Überleben, selbst Vorzeigebranchen wie der Maschinenbau taumeln. Hilfspakete in Milliardenhöhe, Kurzarbeitergeld und ein gelockertes Insolvenzrecht verhindern derzeit eine Pleitewelle. Soweit nichts Neues. Aber man kann ja trotzdem mal drüber reden, dachte sich die Redaktion von "Maybrit Illner" und lud zum Thema "Risikopatient Wirtschaft – mit der Pandemie in die Pleite?" folgende Gäste:
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sieht, wenig überraschend, die von ihm maßgeblich zu verantwortenden Hilfspaketen eher als Erfolg: "Ich glaube, dass wir ziemlich gut durch die Krise gekommen sind, gerade wenn man das international vergleicht." Deutschland habe es mit Verboten nicht übertrieben. Aber: "Ich will nicht behaupten, dass wir in allen Punkten perfekt gewesen sind."
Das sieht Messeplanerin Sandra Beckmann ein bisschen anders. "Sie war Businessfrau, jetzt ist sie Hartz IV-Empfängerin", fasst Gastgeberin Maybrit Illner die Corona-Folgen für die Eventplanerin zusammen.
Beckmann kann ihren Beruf aufgrund der immer noch gültigen Beschränkungen noch immer nicht wieder ausüben und hat demzufolge auch keine Einkünfte. In diesem Jahr würden ihr schon 120.000 Euro Umsätze fehlen. "Man kommt da aus eigener Kraft nicht mehr heraus", bilanziert sie. Zwar hat sie erst Soforthilfe erhalten, nun falle sie aber durchs Raster. Angesichts der Hilfen für große Konzerte sieht sie "eine enorme Schieflage in der Behandlung durch die Politik". Der Finanzminister pflichtet ihr bei. "Sie haben ein riesiges Problem und sie können gar nichts dafür", pflichtet Scholz der Frau bei, aber kann natürlich akut nicht helfen.
Maybrit Illner fragt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, ob die Politik nicht zu streng war und auch noch ist. Gerade mal 238 Intensivbetten seien belegt und es würde noch immer "Angst geschürt". Doch Söder gibt sich unbeirrt. "Man muss es auch nicht schönreden, um uns herum wachsen die Zahlen enorm – in Frankreich und Spanien exponentiell", sagt Söder. "Corona wird uns noch viele Nerven abverlangen", orakelt er.
Nerven beweist Olaf Scholz angesichts der beiden Finanzskandale, in denen er rückblickend alles andere als gut aussah. Da Illner den Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidaten nun schon in der Sendung hat, fragt sie natürlich auch nach dem Cum-Ex-Skandal und Wirecard. "Wir werden das ganze Geld, das wir erkennen, zurückholen", verkündet Scholz. Bei den betrügerischen Cum-Ex-Steuererstattungen gehe es um "weit über 500 Fälle". Für die Beteiligten werde es Strafverfahren "und erhebliche Konsequenzen" geben, verkündet Scholz.
Und auch die betrügerische Wirecard-Pleite lächelt Scholz weg. "Ich freue mich auf den Untersuchungsausschuss", sagt er. Und Maybrit Illner fragt erstmal ungläubig nach. Und Scholz erklärt: "Wir müssen, dafür sorgen, dass wir bessere Instrumente bekommen." Bessere Kontrollen, zum Beispiel durch Wechsel der Wirtschaftsprüfungsunternehmen, schweben ihm vor. Das klingt eigentlich nicht besonders sensationell.
Aber Scholz sagt, ohne den Aufruhr eines Untersuchungsausschusses habe er Sorge, dass solche essenziellen Maßnahmen durch umtriebige Lobbyisten verhindert werden. Ein genauso ehrliches wie erschütterndes Geständnis über die Unabhängigkeit der Politiker in Berlin. Es wäre nicht sonderlich überraschend, wenn sich Scholz nach der Sendung dafür auf die Lippen gebissen hätte.
Doch in der Sendung läuft es gut für ihn. Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer schaut ebenfalls relativ locker in die Zukunft: "Ganz so duster wird es nicht werden", sie rechnet "nicht mit dramatischen Arbeitslosenzahlen". Außerdem stellt sie in den Raum, dass manche Unternehmen ihre Lage vielleicht auch schlechtreden. "Wenn ich als Unternehmer gefragt werde, ob es mir schlecht geht, sage ich natürlich, ‚es geht mir schlecht‘, ich will ja Geld von Herrn Scholz." Aber natürlich gebe es Bereiche wie die Automobilbranche oder den Einzelhandel, die auch schon vor Corona in der Strukturwandelkrise steckten.
Das vermutet auch Karl Haeusgen vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Er empfindet die Kurzarbeit als "Riesenhilfe". Allerdings vermutet er auch, dass "viel Geld bei Unternehmen ankommt, die nicht an Corona kranken", sondern an anderen Dingen. Die staatliche Unterstützung werde dort benutzt, zum "Strecken und Decken von Lücken".
Klaus-Dieter Zastrow ist Honorarprofessor für Hygiene. Und obwohl er nur per Bildschirm aus Berlin zugeschaltet ist, hat er die Runde schnell im Griff. Der gebürtige Berliner hat eine Kodderschnauze, die ihm auch schon eine Klage wegen übler Nachrede eingebracht hat. "Es ist nicht vorbei, alle haben keinen Plan, aber wir haben noch den besten", fasst er die weltweite Corona-Lage zusammen. Viele Ratschläge wären "Quark".
Und dann verrät er selbst einen Tipp, der erstmal ungewöhnlich klingt: Man solle den Mund regelmäßig desinfizieren mit Schleimhautdesinfektionsmittel. "Das machen wir im Krankenhaus schon seit April. Das Mittel ist 40 Jahre alt und kostet 6,50 in der Apotheke." Somit würden viele Viren abgetötet und die Ansteckungskraft hänge ja nachgewiesenermaßen von der Virenmenge ab.
In Illners Runde herrscht eine unterdrückte Heiterkeit ob des rustikalen Vorschlags. Aber es gibt bereits wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Mundspülungen gegen das Coronavirus helfen könnten. Ein Team der Ruhr-Universität Bochum hat bei Laborversuchen herausgefunden, dass medizinische Mundspülungen innerhalb von 30 Sekunden das Coronavirus zerstören können.
Zudem spricht sich Zastrow auch uneingeschränkt für Masken aus, aber nicht ohne einen Seitenhieb auf die Politik am Anfang der Pandemie. "Drei Monate lang wurde falsch dagegen geredet, nun haben es alle verstanden." Als unsinnigen Corona-Mythos entlarvt er dann am Ende auch noch das Desinfizieren von Sitzflächen auf Stühlen: "Das Virus kommt aus Hals und Nase – niemals wird sich da ein Coronavirus hin verirren." Zumindest der Weg weiter in den Rachen dürfte vom Sitz aus dort wohl keinem Virus gelingen.