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Transfusionsgesetz: Warum schwule Blutspender bisher diskriminiert wurden

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Das Transfusionsgesetz regelt das Vorgehen bei Blutspenden. Bisher zum Nachteil homosexueller und bisexueller Männer.Bild: iStockphoto / Getty Images / SeventyFour
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Transfusionsgesetz: Warum schwule Blutspender bisher diskriminiert wurden

17.03.2023, 14:1517.03.2023, 14:23
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Was im Jahr 2023 beinahe wie ein schlechter Scherz klingt, ist leider keiner: Sexuell aktive homo- und bisexuelle Männer konnten bislang pauschal von der Blutspende ausgeschlossen werden. Dieses Vorgehen nach dem Transfusionsgesetz war jahrzehntelange Praxis in Deutschland. Dabei sind Blutspenden für die Medizin unverzichtbar, sowohl für die Forschung, als auch um anderen Menschen das Leben zu retten. Zudem sind in vielen Krankenhäusern Konserven bestimmter Blutgruppen knapp.

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Diskriminierung gehört für zahlreiche homosexuelle Menschen noch immer zum Alltag.Bild: iStockphoto / Getty images / Vittorio Gravino

Nun hat der Bundestag der Diskriminierung homosexueller Männer ein Ende bereitet. Die Neuregelung wurde nicht als eigenes Gesetz verabschiedet, sondern als Zusatz zum neuen Gesetz für die Unabhängige Partientenberatung (UPD) angenommen. Blut spenden dürfen demnach alle spendewilligen Personen, wenn sie die Kriterien erfüllen. Unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität.

Doch warum gab es überhaupt diese Form der Diskriminierung bei Blutspenden? Und was genau ändert sich durch die Entscheidung des Bundestags? Watson liefert die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was galt bisher für homosexuelle Männer?

Blutspenden werden genauestens durch das Transfusionsgesetz geregelt. Darin ist etwa festgelegt, wie oft und in welchen zeitlichen Abständen eine Blutspende erlaubt ist. Oder eben, welche Kriterien Blutspender:innen erfüllen müssen. Ziel ist es, die Sicherheit bei der Blutspende und die Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten zu gewährleisten.

Diskriminierung von schwulen und bisexuellen Männern

Männer, die Sex mit Männern haben, durften lange Zeit überhaupt nicht spenden. Im Laufe der Zeit gab es immer wieder Änderungen. Ab 2017 war es nur homosexuellen Männern erlaubt, Blut zu spenden, wenn sie ein Jahr lang keinen Sex mit einem Mann hatten.

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Die sexuelle Orientierung der Spender spielte bisher eine Rolle bei Blutspenden.Bild: E+ / Getty Images / Nikola Stojadinovic

Ab 2021 durften sie Blut spenden, wenn sie in einer dauerhaften monogamen Beziehung lebten. Sexuelle Kontakte zwischen Männern außerhalb solcher Beziehungen führten fortan zu einem Ausschluss für vier Monate, statt wie bis dahin für ein Jahr.

Konkret kamen homo- und bisexuelle Männer als Spender zuletzt nur infrage, wenn sie in den vergangenen vier Monaten keinen Sex mit "einem neuen oder mehr als einem Sexualpartner" hatten. Damit wurden sie weiterhin diskriminiert. Denn: Diese Sperre galt bei allen anderen Menschen nur bei "häufig wechselnden Partnerinnen und Partnern".

Warum wurden Schwule überhaupt diskriminiert?

Blutspenden unterliegen strengen Richtlinien. Dazu gehört auch, dass das Spenderblut vor der Verwendung auf HIV und andere Infektionen untersucht wird. Einige Erreger, beziehungsweise die Antikörper dagegen, sind – je nach Testverfahren – aber immer erst nach einer gewissen Zeit nachweisbar. Deshalb können dabei Infektionen übersehen werden. Dazu gehört auch das HI-Virus.

02.02.2023, Nordrhein-Westfalen, Münster: Eine Krankenschwester entnimmt eine Blutprobe aus einer Blutspende am Universitätsklinikum Münster (UKM). Foto: Friso Gentsch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Blutspenden werden vor der Verwendung untersucht.Bild: dpa / Friso Gentsch

Die Einschränkungen für schwule und bisexuelle Männer bei Blutspenden stammen noch aus der Zeit der großen Aids-Krise. Die Krisenjahre der 80er und 90er besorgten die Medizin ebenso wie die Bevölkerung. Damals stand hinter der Entscheidung die Sorge, dass bei homosexuellen Männern das Risiko höher sei, durch Blutspenden das HI-Virus weiterzugeben.

Wegen der Zeitspanne, bis Erreger nachgewiesen werden können, befragt man potenzielle Spender:innen zusätzlich nach ihrem infektionsrelevanten Verhalten. So soll das Risiko einer unerkannten Infektion minimiert werden.

Was ist dran am erhöhten Risiko?

Die Deutsche Aidshilfe schreibt zum erhöhten Risiko schwuler und bisexueller Männer auf ihrer Webseite:

"Männer, die Sex mit Männern haben, sind in Deutschland nach wie vor die am stärksten von HIV betroffene Gruppe, haben also statistisch ein höheres Risiko, sich mit HIV zu infizieren. Das individuelle Risiko ist dabei natürlich verschieden, ist jedoch leider in Befragungen nicht zuverlässig feststellbar."

Kritik am pauschalen Ausschluss schwuler Männer von Blutspenden

Trotz dieser Feststellung kritisiert die Aidshilfe die bislang geltenden Richtlinien in Bezug auf homo- und bisexuelle Männer. Das bisherige Vorgehen schließe Männer, die Sex mit Männern haben, viel zu pauschal aus.

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Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Regelungen kürzlich als Diskriminierung bezeichnet. "Ob jemand Blutspender werden kann, ist eine Frage von Risikoverhalten, nicht von sexueller Orientierung", sagte er.

Was ändert sich mit der Neuregelung?

Eine Änderung wird schon seit Jahren von verschiedensten Seiten gefordert. Nun tragen die Forderungen Früchte: Der Bundestag verpflichtet die Bundesärztekammer mit seinem Votum am Donnerstag, die diskriminierende Richtlinie zu ändern. Die Regierungsfraktionen setzen damit eine Vereinbarung aus ihrem Koalitionsvertrag um. Die Ampel-Parteien hatten dort festgesetzt, diese Praxis zu beenden. "Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund für diese Diskriminierung", sagte etwa die SPD-Abgeordnete Heike Engelhardt. "Es ist schade, dass Menschen 2023 noch mit derartigen Benachteiligungen und Vorurteilen zu kämpfen haben."

Ab jetzt wird die "Spendetauglichkeit" individuell bewertet

Statt der Pauschalisierung sollen nun andere Kriterien in den Vordergrund rücken, etwa das "individuelle Sexualverhalten der spendewilligen Person". Die Neuregelung solle "Diskriminierungen bei der Spenderauswahl vermeiden", heißt es in dem Gesetz. Darin steht auch, "dass die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität spendewilliger Personen als solche keine Ausschluss- oder Rückstellungskriterien sein dürfen". Das gilt nicht nur für "Männer, die Sex mit Männern haben (MSM)", sondern auch für "Trans-Personen".

Talk of doctor and young donor of blood in clinic
Künftig bewerten vermehrt Ärzt:innen spendenwillige Personen nach ihrer "Spendentauglichkeit".Bild: Getty Images/iStockphoto / shironosov

Aber nicht nur sie: Mit der Änderung gelten auch andere Höchstaltersgrenzen für Blutspendende. Bislang durften Erstspender:innen – je nach Region – nur etwa 65 Jahre alt sein. Bei Wiederholungsspender:innen lag die Obergrenze meist zwischen 70 und 75 Jahren. Künftig sollen nun die Ärzt:innen die individuelle "Spendetauglichkeit" beurteilen.

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"Kriegstüchtigkeit" ist das erklärte Ziel für die Bundeswehr, auch wenn der Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) das Wort während seiner Pressekonferenz am Donnerstagmittag nicht mehr explizit erwähnte. Verabschiedet habe er sich von dem Wort allerdings keineswegs, betonte er auf Nachfrage eines Journalisten. "Ich verstehe, dass sich einige an dem Wort reiben", er werde es aber dennoch weiter benutzen.

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