Behandlung eines Covid-19-Patienten.Bild: ap / Daniel Cole
Deutschland
Lange war ein zweiter Lockdown ausgeschlossen worden, jetzt ist er - zumindest in abgemilderter Form - wieder zurück. Einzelne Branchen sind stark verunsichert.
Der Teil-Lockdown ab kommender Woche in Deutschland
stößt in der Hotel- und Gastronomie-Branche auf Unverständnis. "Viele
Unternehmer der Hotellerie und Gastronomie schwanken zwischen Wut und
Verzweiflung", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes "Die
Familienunternehmer", Albrecht von der Hagen, der Deutschen
Presse-Agentur. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga)
warnte, Zehntausenden Unternehmen drohe ohne umfassende finanzielle
Hilfen die Pleite.
Die Wirtschaftsauskunftei Crif Bürgel warnte ebenfalls vor einer
Pleitewelle. Stand Ende Oktober seien mehr als 8300 Restaurants,
Gaststätten, Imbisse und Cafés in Deutschland insolvenzgefährdet,
heißt es in einer Analyse, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Das seien 14.5 Prozent der untersuchten Betriebe.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten forderte eine stärkere
finanzielle Unterstützung der Beschäftigten, die jetzt in die
Kurzarbeit müssen. "Die angekündigten Finanzhilfen von zehn
Milliarden Euro für November sollte auch dafür genutzt werden, die
Lohneinbußen der Beschäftigten auszugleichen, die in Kurzarbeit
geschickt werden", sagte der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler den
Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der "Rheinischen Post" sagte er:
"Für viele Betriebe im Gastgewerbe kommt der neuerliche Lockdown ohne
schnelle und massive Hilfe einem Todesstoß gleich."
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen,
kritisierte in einem ARD-"Extra" am Mittwochabend, dass man die
Pandemie mit einem Lockdown nicht nachhaltig in den Griff bekomme.
"Wir werden danach eine neue Strategie entwickeln müssen, wir können
ja nicht alle zwei Monate in einen Lockdown gehen." Er wolle
beispielsweise Risikogruppen stärker schützen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte die schärferen
Beschränkungen hingegen. "Bund und Länder mussten konsequent
handeln", sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur.
"Die größte Gefahr geht von privaten Kontakten, Festen und
Zusammenkünften aus."
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger,
kritisierte dagegen die Entscheidung, Schulen komplett offen zu
halten. "Ob ein Lockdown light funktionieren kann, wenn man die
Schulen weitgehend ausnimmt, möchte ich bezweifeln", sagte Meidinger
der "Passauer Neuen Presse".
Merkel fordert "nationale Kraftanstrengung"
Bund und Länder hatten am Mittwoch die einschneidensten Maßnahmen
seit dem großen Lockdown im Frühjahr beschlossen. Ab Montag sollen
unter anderem Hotels, Restaurants, Kinos und Theater für den gesamten
Monat November schließen. In dieser Zeit dürfen sich auch nur wenige
Menschen privat treffen. Kanzlerin Angela Merkel rief zu einer
"nationalen Kraftanstrengung" auf und betonte: "Wir müssen handeln,
und zwar jetzt. Und zwar müssen wir handeln, um eine akute nationale
Gesundheitsnotlage zu vermeiden." Schulen, Kitas und Geschäfte sollen
aber anders als im Frühjahr offen bleiben.
Besonders stark von den neuen Regeln betroffene Firmen sollen große
Teile ihres Umsatzausfalls vom Bund ersetzt bekommen. Nothilfen in
Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro sind dafür eingeplant. "Das ist
eine große Unterstützung, so dass wir hoffen, dass alle Unternehmen
diesen Monat gut durchstehen können", sagte Vizekanzler Olaf Scholz
am Mittwochabend in einem ZDF-"spezial".
Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) sprach am Mittwoch von
einem "harten und bitteren Tag". Es gehe aber schlichtweg um die
Rettung von Menschenleben. "Wenn wir jetzt zugucken, werden wir
vielen Menschen nicht helfen können." Der SPD-Gesundheitspolitiker
Karl Lauterbach twitterte: "Die Beschlüsse von heute sind ein großer
Erfolg und ein Meilenstein gegen das Coronavirus in Deutschland."
Grüne: "Es war fatal, den Sommer nicht zu nutzen"
Die Grünen äußerten sich zwiegespalten. Die Fraktionsvorsitzende
Katrin Göring-Eckardt erklärte: "Wir tragen die drastischen
Einschnitte im Kern notgedrungen mit, um den Anstieg der
Infektionszahlen zu bremsen, Menschen zu schützen und eine
Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern. Es zeigt sich
nun, wie fatal es war, dass die Sommermonate nicht genutzt wurden, um
diese Phase der Pandemie vorzubereiten."
Derweil begrüßte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek den
Beschluss von Bund und Ländern, wonach Schulen und Kindergärten offen
bleiben. "Die Corona-Zeit darf für die Schülerinnen und Schüler nicht
zu einer verlorenen Zeit werden", sagte die CDU-Politikerin der
Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Belastung der Familien dürfte
nicht noch gesteigert werden. "Die Schulen dürfen aber auch weiter
nicht zu Corona-Hotspots werden", betonte die Ministerin. Sie regte
eine Ausweitung der Maskenpflicht an Deutschlands Schulen an. "Wir
müssen alles versuchen, die Schulen auch in den nächsten Wochen offen
zu halten."
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP)
forderte die betroffenen Unternehmen zu rechtlichen Schritten auf.
Kanzlerin Angela Merkel will an diesem Donnerstag in einer
Regierungserklärung die Corona-Politik der Bundesregierung erläutern.
Im Anschluss an die etwa 20-minütige Rede ist eine anderthalbstündige Debatte im Bundestag geplant. Am Abend schalten sich Merkel und ihre EU-Kollegen per Video zusammen. Angesichts der Wucht der zweiten Corona-Welle in ganz Europa wollen die EU-Staats- und Regierungschefs eine gemeinsame Linie bei Test- und Impfstrategien suchen.
(pcl/dpa)