Geschlossene Geschäfte für fünf Tage: Das haben Bund und Länder für Ostern beschlossen.Bild: Getty Images Europe / Rafael Yaghobzadeh
Deutschland
Bei vielen Wirtschaftsverbänden haben die
Telefone nicht mehr still gestanden: Der von Bund und Ländern
beschlossene Oster-Lockdown hat für große Verunsicherung bei vielen
Unternehmen gesorgt – und für massive Kritik. "Die Stimmung ist
unterirdisch", hieß es bei einem großen Wirtschaftsverband.
Verzweifelte Unternehmer, Personalchefs oder Logistiker wollten nun
wissen, was sie tun sollen – und was nun gilt. In vielen Verbänden
und Firmen wird mit großer Spannung darauf gewartet, was genau die
"Ruhetage" bedeuten.
In einer Marathonsitzung hatten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und
die Regierungschefs der Länder überraschend beschlossen, das
wirtschaftliche und öffentliche Leben über Ostern weitgehend
herunterzufahren – ein beispielloser Schritt in der Pandemie. Ziel
ist es, die dritte Corona-Welle zu brechen.
Lebensmittelgeschäfte sollen am Karsamstag geöffnet bleiben
Der Gründonnerstag (1. April) und der Karsamstag (3. April)
sollen in diesem Jahr einmalig als "Ruhetage" gelten. Am Karsamstag
sollen nur Lebensmittelgeschäfte öffnen dürfen. Heißt das also, dass
nun in vielen Betrieben nicht gearbeitet wird, kann dies zu einem
Produktionsstopp in Industriefabriken führen? Was bedeutet dies für
internationale Lieferketten? Und was für die Mitarbeiter, Stichwörter
Feiertagszuschläge oder Entgeltfortzahlung?
Darüber herrscht bei vielen Verbänden Ratlosigkeit. Viele Briefe
an Ministerien wurden verschickt. Antworten blieb die Regierung am
Tag nach der Bund-Länder-Runde schuldig. Das Bundesinnenministerium
soll nun bis Mittwochabend eine Musterverordnung erarbeiten, um die
vielen Fragen zu klären.
In der Industrie müssen logistische Probleme gelöst werden
"Plötzliche Betriebsstilllegungen sind für eine international
vernetzte Wirtschaft nicht darstellbar", warnte die Präsidentin des
Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, am Dienstagabend
nach einem "Autogipfel" mit Merkel. Es gebe viele ungeklärte Fragen
zur Umsetzung des "Sonder-Lockdowns": "Lackierwerke und
Energiezentralen sowie vieles andere mehr können nicht einfach auf
Zuruf stillgelegt werden." Es gebe aber auch logistische
Herausforderungen, man benötige beispielsweise
Feiertagsfahrerlaubnisse, Notfallsysteme müssten einsatzbereit sein.
Die Branche erwarte vernünftige und an unternehmerische
Aktivitäten ausgerichtete praktikable Regelungen, die auch
rechtssicher umzusetzen seien, so Müller. Im Übrigen seien die
Arbeitsstätten ein sicherer Ort: "Wir setzen auf Impfen und Testen
statt Lockdown und Pause."
Durch den Lockdown könnten hohe Schäden in der Industrie entstehen
In der Wirtschaft ist die Stimmung aufgeheizt. Selbst Betriebe,
die bislang unter erschwerten Pandemiebedingungen noch einigermaßen
planen konnten, drehten am Rad, sagte ein Insider. Können Waren noch
ausgeliefert werden? Andernfalls drohten Vertragsstrafen oder gar
noch längerfristige Schäden wie der Verlust bislang treuer Kunden,
weil kurzfristig nicht geliefert werden könne.
Die Politik habe die Folgen des plötzlichen Oster-Lockdowns
überhaupt nicht durchdacht, heißt es auch bei anderen Verbänden
hinter vorgehaltener Hand. Hohe Schäden für die Wirtschaft könnten
die Folge sein – auch für die Industrie, die derzeit noch besser
durch die Krisen kommt als andere Branchen, die wie die Gastronomie
von monatelangen Schließungen gebeutelt sind.
Für das erste Quartal 2021 wird ein Wirtschaftsrückgang erwartet
Nach dem coronabedingten Einbruch der Wirtschaftsleistung 2020
stehen in diesem Jahr die Zeichen eigentlich auf Erholung – auch wenn
die "Wirtschaftsweisen" etwa vor kurzem mit Blick auf die anhaltende
Krise ihre Konjunkturprognose für 2021 gesenkt hatten. Im ersten
Quartal erwarten die Experten einen Rückgang der Wirtschaftsleistung
erwartet. Größtes Risiko für die Konjunktur sei eine dritte Welle,
hieß es – vor allem, wenn die Industrie stark von Einschränkungen und
Betriebsschließungen betroffen wäre.
Die Spitzenvertreter der Wirtschaftsverbände gingen nach den
Beschlüssen von Bund und Ländern auf Konfrontationskurs.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sprach von großer Ratlosigkeit und
schimpfte, Deutschland stehe vor schwierigen Herausforderungen, das
Corona-Management sei eine der schwersten Herausforderung: "Viele
Arbeitgeber sind entsetzt, wie der Föderalismus und die politischen
Eliten an dieser Herausforderung zu scheitern drohen."
Auch in Großbetrieben werden Corona-Tests durchgeführt
Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands
Familienunternehmer, wetterte: "Die beiden Ruhetage am Gründonnerstag
und Karsamstag sollen gelten wie Feiertage – damit auch für alle
Dienstleistungen, für Handwerker und für die Industrie! Wer zahlt
denn für diesen zusätzlichen Ausfall? In der Regierung herrscht
offenbar das Motto: Das Geld kommt aus der Steckdose."
Industriepräsident Siegfried Russwurm kritisierte: "Während andere
Staaten mehr und schneller impfen und testen, um die Freiheit ihrer
Bürgerinnen und Bürger zu erhalten, verhängt Deutschland nun
Ruhezeiten."
Dabei steht die Wirtschaft selbst unter Beobachtung, es geht um
Corona-Tests für Beschäftigte. Bund und Länder setzen dabei zunächst
weiter auf die Freiwilligkeit von Firmen. Anfang April soll es von
Wirtschaftsverbänden einen ersten Umsetzungsbericht geben, wie viele
Unternehmen sich beteiligen. Auf dieser Grundlage will die
Bundesregierung dann bewerten, ob es doch zu noch zu einem
regulatorischen Handlungsbedarf kommt – sprich: zu gesetzlichen
Auflagen.
(lfr/dpa)