Bei vielen Wirtschaftsverbänden haben die Telefone nicht mehr still gestanden: Der von Bund und Ländern beschlossene Oster-Lockdown hat für große Verunsicherung bei vielen Unternehmen gesorgt – und für massive Kritik. "Die Stimmung ist unterirdisch", hieß es bei einem großen Wirtschaftsverband. Verzweifelte Unternehmer, Personalchefs oder Logistiker wollten nun wissen, was sie tun sollen – und was nun gilt. In vielen Verbänden und Firmen wird mit großer Spannung darauf gewartet, was genau die "Ruhetage" bedeuten.
In einer Marathonsitzung hatten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungschefs der Länder überraschend beschlossen, das wirtschaftliche und öffentliche Leben über Ostern weitgehend herunterzufahren – ein beispielloser Schritt in der Pandemie. Ziel ist es, die dritte Corona-Welle zu brechen.
Der Gründonnerstag (1. April) und der Karsamstag (3. April) sollen in diesem Jahr einmalig als "Ruhetage" gelten. Am Karsamstag sollen nur Lebensmittelgeschäfte öffnen dürfen. Heißt das also, dass nun in vielen Betrieben nicht gearbeitet wird, kann dies zu einem Produktionsstopp in Industriefabriken führen? Was bedeutet dies für internationale Lieferketten? Und was für die Mitarbeiter, Stichwörter Feiertagszuschläge oder Entgeltfortzahlung?
Darüber herrscht bei vielen Verbänden Ratlosigkeit. Viele Briefe an Ministerien wurden verschickt. Antworten blieb die Regierung am Tag nach der Bund-Länder-Runde schuldig. Das Bundesinnenministerium soll nun bis Mittwochabend eine Musterverordnung erarbeiten, um die vielen Fragen zu klären.
"Plötzliche Betriebsstilllegungen sind für eine international vernetzte Wirtschaft nicht darstellbar", warnte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, am Dienstagabend nach einem "Autogipfel" mit Merkel. Es gebe viele ungeklärte Fragen zur Umsetzung des "Sonder-Lockdowns": "Lackierwerke und Energiezentralen sowie vieles andere mehr können nicht einfach auf Zuruf stillgelegt werden." Es gebe aber auch logistische Herausforderungen, man benötige beispielsweise Feiertagsfahrerlaubnisse, Notfallsysteme müssten einsatzbereit sein.
Die Branche erwarte vernünftige und an unternehmerische Aktivitäten ausgerichtete praktikable Regelungen, die auch rechtssicher umzusetzen seien, so Müller. Im Übrigen seien die Arbeitsstätten ein sicherer Ort: "Wir setzen auf Impfen und Testen statt Lockdown und Pause."
In der Wirtschaft ist die Stimmung aufgeheizt. Selbst Betriebe, die bislang unter erschwerten Pandemiebedingungen noch einigermaßen planen konnten, drehten am Rad, sagte ein Insider. Können Waren noch ausgeliefert werden? Andernfalls drohten Vertragsstrafen oder gar noch längerfristige Schäden wie der Verlust bislang treuer Kunden, weil kurzfristig nicht geliefert werden könne.
Die Politik habe die Folgen des plötzlichen Oster-Lockdowns überhaupt nicht durchdacht, heißt es auch bei anderen Verbänden hinter vorgehaltener Hand. Hohe Schäden für die Wirtschaft könnten die Folge sein – auch für die Industrie, die derzeit noch besser durch die Krisen kommt als andere Branchen, die wie die Gastronomie von monatelangen Schließungen gebeutelt sind.
Nach dem coronabedingten Einbruch der Wirtschaftsleistung 2020 stehen in diesem Jahr die Zeichen eigentlich auf Erholung – auch wenn die "Wirtschaftsweisen" etwa vor kurzem mit Blick auf die anhaltende Krise ihre Konjunkturprognose für 2021 gesenkt hatten. Im ersten Quartal erwarten die Experten einen Rückgang der Wirtschaftsleistung erwartet. Größtes Risiko für die Konjunktur sei eine dritte Welle, hieß es – vor allem, wenn die Industrie stark von Einschränkungen und Betriebsschließungen betroffen wäre.
Die Spitzenvertreter der Wirtschaftsverbände gingen nach den Beschlüssen von Bund und Ländern auf Konfrontationskurs. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sprach von großer Ratlosigkeit und schimpfte, Deutschland stehe vor schwierigen Herausforderungen, das Corona-Management sei eine der schwersten Herausforderung: "Viele Arbeitgeber sind entsetzt, wie der Föderalismus und die politischen Eliten an dieser Herausforderung zu scheitern drohen."
Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands Familienunternehmer, wetterte: "Die beiden Ruhetage am Gründonnerstag und Karsamstag sollen gelten wie Feiertage – damit auch für alle Dienstleistungen, für Handwerker und für die Industrie! Wer zahlt denn für diesen zusätzlichen Ausfall? In der Regierung herrscht offenbar das Motto: Das Geld kommt aus der Steckdose." Industriepräsident Siegfried Russwurm kritisierte: "Während andere Staaten mehr und schneller impfen und testen, um die Freiheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu erhalten, verhängt Deutschland nun Ruhezeiten."
Dabei steht die Wirtschaft selbst unter Beobachtung, es geht um Corona-Tests für Beschäftigte. Bund und Länder setzen dabei zunächst weiter auf die Freiwilligkeit von Firmen. Anfang April soll es von Wirtschaftsverbänden einen ersten Umsetzungsbericht geben, wie viele Unternehmen sich beteiligen. Auf dieser Grundlage will die Bundesregierung dann bewerten, ob es doch zu noch zu einem regulatorischen Handlungsbedarf kommt – sprich: zu gesetzlichen Auflagen.
(lfr/dpa)