In den wenigen legalen Clubnächten der vergangenen zwei Pandemie-Jahre konnte man beobachten, welche Auswirkungen der plötzliche Wegbruch der Tanzroutine auf die Community der Berufspartygänger hatte.
Tanzen ist offenbar nicht wie Fahrradfahren, und so mussten sich viele sonst routinierte Raver erst wieder recht ungelenk herantasten an den Dancefloor und seine Magie.
Erst nach ein paar Longdrinks und zwei Klobesuchen flossen die eingerosteten Moves wieder wie gewohnt. Mechanisches Workout löste sich langsam in entrückte Ekstase auf. Bis zur nächsten Vollbremsung.
Im vergangenen Dezember hatte die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen, dass ab einer Inzidenz von 350 in einem Landkreis alle Clubs und Discos geschlossen werden müssen.
An diesem Mittwoch hat die Bund-Länder-Runde Lockerungen auf den Weg gebracht, die diese Maßnahmen ab März rückgängig machen: Ab 4. März sollen Clubs unter 2G-Plus-Bedingungen wieder öffnen (also für dreifach Geimpfte – und für doppelt Geimpfte und Genesene mit tagesaktuellem Corona-Schnelltest). Ab 20. März könnten Besuche im Club weiter erleichtert werden.
Viele Menschen sehnen die Öffnung herbei. Vor allem für die junge Generation, aber auch für dienstältere Raver und große Teile der LGBTI-Gemeinschaft, stellt der zeitweilige Verlust der Partykultur eine tiefe persönliche Krise dar.
Ihrem Sozialleben wurde gewissermaßen der Boden unter den Füßen weggezogen. Und das längst nicht nur in Party-Metropolen wie Berlin.
Beatrice ist 36 Jahre alt und betreibt zusammen mit ihrer Familie den "Harmonie Keller" in Freiburg. In dem Gewölbe finden in normalen Zeiten regelmäßig Hip-Hop- und Fetisch-Partys statt, Technopartys, Hochzeiten und Rock 'n'Roll-Veranstaltungen. Den Familienbetrieb gibt es seit 16 Jahren.
"Wir waren immer ausgebucht, und dann ging es mit Corona los", sagt Beatrice im Gespräch mit watson. Die folgenden Schließungen hätten nicht nur viele Künstlerinnen und Gäste traurig gemacht, sondern auch zu großen Umsatzverlusten geführt. Dank ihres integrierten Restaurants hätten sie die Kosten aber decken können.
"Die Nachtszene wurde auf jeden Fall benachteiligt, während die Stadien zum Beispiel voll waren", sagt die Harmonie-Betreiberin. "Viele Richtlinien sind widersprüchlich." Sie fände es vernünftig, wenn ab März Geboosterte wieder feiern gehen dürften.
In Freiburg gilt aktuell "Alarmstufe 1". Übersetzt heißt das, die Landesregierung wagt vorsichtige Öffnungsschritte. Dabei entfällt die 3G-Regelung im Einzelhandel, es sind wieder mehr Zuschauer bei Veranstaltungen zugelassen – und die Erfassung der Kontaktdaten entfällt in vielen Bereichen.
Dennoch hat die Pandemie deutliche Spuren hinterlassen. "Es mussten leider viele Kollegen schließen", sagt Beatrice. "Vor allem die Club-Szene hat wahnsinnig unter den Einschränkungen gelitten."
Freiburg sei früher mal eine Hochburg der Feierszene gewesen, an jeder Ecke habe es Clubs oder andere Locations gegeben. Mittlerweile gebe es fast nur noch Bars. "Es gibt ein regelrechtes Aussterben", ergänzt sie.
Diese Entwicklung habe sich schon vor Corona durch eine strenge Nachtleben-Politik abgezeichnet, dann sei noch die Pandemie dazugekommen. Die Politik, fasst sie zusammen, hätte die Nacht- und Künstlerszene stärker unterstützen müssen.
Auch die Freiburger Discothek Artik hat bisher die Zeit der Pandemie wirtschaftlich überlebt. Betreiber Harald äußert auf watson-Anfrage Verständnis für die meisten der Maßnahmen, hätte sie sich aber konsequenter und klarer gewünscht.
"Die Kommunikation und der stetige Wechselkurs hat überhaupt nicht dafür gesorgt, die Leute mitzunehmen und breites Verständnis und Transparenz für die Maßnahmen zu schaffen", sagt er. "Da ist viel im Klein-Klein rumgedoktert worden, bisweilen wirkten und wirken die Maßnahmen recht beliebig, widersprüchlich und inkonsequent."
Damit habe die Politik viel Akzeptanz verspielt bei einigen Teilen der Bevölkerung, die zuvor die Maßnahmen mitgetragen hätten.
Er beklagt eine "geringe Wertschätzung der Politik gegenüber der Kulturbranche". Erst sei die Branche zum Schutz der Allgemeinheit stillgelegt worden, sei dann zum Bittsteller degradiert und am Ende noch mit Misstrauen bei den Genehmigungsverfahren für Finanzspritzen bestraft worden.
"Menschlich hat das vermutlich niemand so ganz unbeschadet überstanden, dieser ständige On-Off-Modus und die stetig ungewisse Perspektive strengt an und frisst viel Energie", sagt Artik-Betreiber Harald.
In Berlin hat sich die Szene mit einer Petition an die Politik gewandt. Diese stammt aus der Feder von Jack Wallis vom Berliner Plattenlabel Unterwegs, der DJ "The Lady Machine" und von Sebastian Weber, der den Elektromusik-Kanal M909 betreibt.
Sie fordern messbare und verbindliche Kriterien, unter denen die Szene ihre Arbeit wiederaufnehmen können, keine erneuten Schließungen und einen Notfallplan, sollte sich die Lage erneut verschlechtern.
Auf watson-Anfrage sagen die drei Initiatorinnen der Petition:
Die DJ The Lady Machine stammt ursprünglich aus Brasilien und ist seit über zwanzig Jahren im Geschäft. Der Stillstand hat bei ihr auch persönlich zu großer Frustration geführt.
"Ich habe das Gefühl, dass mir viel Energie für Kreativität genommen wurde", sagt sie watson.
Sie habe das Gefühl, dass es keine konkrete oder wissenschaftliche Begründung gegeben habe, Clubs wieder zu schließen.
"Es schien, als würde die Schließung unserer Räume die Regierung als Versuch darstellen, die Zahl der Covid-19-Fälle zu begrenzen, obwohl sie in Wirklichkeit so viel mehr Schaden angerichtet hat – geistig, finanziell und körperlich."
Vor kurzem hat die Berliner Club Commission, eine Interessenvertretung der Club-Betreiberinnen, eine Umfrage unter ihren Mitgliedern durchgeführt. Etwa 100 Berliner Clubs und Veranstalter haben daran teilgenommen.
In der Auswertung heißt es unter anderem, "sollten die aktuellen Einschränkungen für den Clubbetrieb in naher Zukunft wegfallen, wäre es für die Mehrheit der Clubs möglich, noch im März zu eröffnen."
Es sind Zeilen wie ein Lichtblick, nach zwei Jahren pandemischer Düsternis.