Die Diskussion um Rassismus in der Gesellschaft berührt in Deutschland auch Fridays for Future. Der Klimaschutzbewegung wird in diesen Wochen vorgeworfen, sie habe ein Rassismusproblem. Wir haben mit allen Beteiligten gesprochen und analysieren, was dahinter steckt, wie berechtigt die Vorwürfe sind – und was die Klimaschützer jetzt tun wollen.
Es war ein Foto, schon wieder. 20. Mai 2020: Vor dem Steinkohlekraftwerk Datteln IV, das wenige Tage später in Betrieb gehen wird, protestieren Aktivistinnen und Aktivisten mehrerer Umweltbewegungen. Die deutsche Frontfrau von Fridays for Future (FFF), Luisa Neubauer, ist dabei, Mitglieder von Greenpeace – und Tonny Nowshin, eine aus Bangladesh stammende Berliner Wirtschaftswissenschaftlerin und Klimaschutzaktivistin, die hier für die Organisation Urgewald arbeitet. Auch watson war dabei.
Nowshin steht an diesem Tag, neben Neubauer und anderen, vor dem Kühlturm in Datteln. Fotos von den Protestaktionen werden geschossen. Die Bilder werden später auf Twitter und Instagram gepostet und per Pressemitteilung verschickt. Auf dem Tweet, den Greenpeace verschickt, sind mehrere Aktivistinnen zu sehen: Sie alle sind weiß. Tonny Nowshin ist nicht weiß, sie ist nicht zu sehen.
Tonny Nowshin ist am 20. Mai weit vorne bei dem Protest dabei, wie auf einem weiteren Bild zu sehen ist – das Greenpeace zwar in seiner Presse-Bilddatenbank gespeichert hat, aber nicht auf Twitter versendete.
Mitte Juni macht Nowshin auf den Vorfall aufmerksam: mit einem Gastbeitrag, der auf der Plattform Klimareporter erscheint und – einen Tag später und leicht angepasst – bei der "taz". Nowshins Vorwurf: Die Klimaschutzbewegung in Deutschland hat ein Rassismusproblem. Ihr Appell: Fridays for Future, Greenpeace und andere Bewegungen müssen dieses Problem endlich ernsthaft angehen.
Nowshin nennt in ihrem Gastbeitrag – neben dem Vorgang rund um das Foto – zwei weitere Episoden, die sie für problematisch hält. Nach der Tötung des US-Amerikaners George Floyd habe es eine Woche gedauert, bis sich Fridays for Future Deutschland mit der Black-Lives-Matter-Bewegung solidarisiert habe. Und auf Instagram habe Fridays for Future einen Kommentar gelikt, in dem die Darmstädter FFF-Ortsgruppe für ihr Engagement gegen Polizeigewalt kritisiert wurde.
Im Gespräch mit watson spricht Tonny Nowshin einige Tage später über die Motive hinter ihrem Gastbeitrag:
Die Episode rund um das Foto mit Tonny Nowshin erinnert an eine andere, die sich Ende Januar rund um das Weltwirtschaftsforum in Davos zugetragen hat. Damals posierten bei Klimaschutzprotesten in dem Schweizer Bergstädtchen fünf Aktivistinnen für die Kameras: in der Mitte die Schwedin Greta Thunberg, um sie herum unter anderem die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer – und links von ihr Vanessa Nakate, Schwarze Aktivistin aus Uganda. Die Associated Press, die als größte Presseagentur der Welt gilt, veröffentlichte ein Foto von der Aktion. Auf dem Bild waren die vier weißen Aktivistinnen zu sehen. Nakate nicht. Sie machte auf Twitter darauf aufmerksam – und schrieb: "Ihr habt nicht nur ein Foto gelöscht. Ihr habt einen Kontinent gelöscht."
Damals richtete sich der Vorwurf nicht gegen die Klimaschutzbewegung selbst, sondern die Presseagentur Associated Press (die sich später für den Vorgang entschuldigte). Aber auch Fridays for Future selbst war schon zuvor in den Fokus geraten – nämlich im Mai 2019.
Der Rapper Chefket warf der Berliner Gruppe von Fridays for Future damals Rassismus vor – und nannte die Bewegung "White Days for Future", in Anspielung darauf, dass in ihr vor allem weiße Akademikerkinder vertreten seien. Der Hintergrund: Chefket, mit bürgerlichem Namen Şevket Dirican, war damals seitens FFF von einem geplanten Konzert wieder ausgeladen worden, laut FFF wegen "ethischer Bedenken", da Chefket mit dem (mehrfach ins Visier der Justiz geratenen) Xatar zusammengearbeitet hatte.
Das Thema Rassismus beschäftigt Fridays for Future also seit Längerem, Nowshins Beitrag hat sie neu angefacht. Tonny Nowshin selbst sagte zu ihrem Engagement in der Debatte: "Ich werde nicht damit aufhören."
Die Diskussion wirft ein Schlaglicht auf etwas, was den jungen Klimaschützern in Deutschland seit ihrer Gründung regelmäßig vorgehalten wird: FFF sei eine Bewegung, die ganz überwiegend aus Kindern weißer, gut verdienender Akademiker bestehe.
Eine im August 2019 veröffentlichte Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin (ipb) bestätigt den Eindruck: 87 Prozent der FFF-Demonstranten haben demnach mindestens eine Fachhochschulreife oder streben sie an, deutlich mehr als die Hälfte zählt sich selbst zur oberen Mittelschicht oder Oberschicht – und der Anteil der Menschen mit eigener Migrationsgeschichte ist niedriger als in der Gesamtbevölkerung.
Simon Teune, Forscher am ipb, sagt dazu gegenüber watson:
Bei den allermeisten Demonstrationen in Deutschland seien "weiße Jugendliche aus der akademisch geprägten, zumeist gehobenen Mittelschicht" stärker vertreten als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Teunes Erklärung dafür: "Dieses Milieu sieht Protest eher als erfolgversprechend an und hat Protest als politische Form der Einmischung gelernt."
Problematisch wird das Übergewicht privilegierter Menschen bei Protestbewegungen laut Teune allerdings dann, wenn, wie er es ausdrückt, "das eigene Verhalten Menschen ausschließt".
Ist das bei Fridays for Future und anderen Klimaschutzbewegungen der Fall? Steht Tonny Nowshins Nicht-Vorkommen in dem Greenpeace-Tweet zum Protest vor dem Kohlemeiler Datteln symbolisch für den bewussten Ausschluss nicht-weißer Menschen aus der Klimaschutzbewegung?
Aus Nowshins Sicht ist eine Unterscheidung wichtig: zwischen offenem Rassismus einerseits – und andererseits zwischen verdeckten rassistischen Vorurteilen, die sogar das Verhalten von Menschen mit guten Absichten beeinflussen können.
Zum ersten Teilproblem, dem offenen Rassismus, sagt Nowshin:
Sie selbst aber habe innerhalb der Klimaschutzbewegung solchen offenen Rassismus nicht erlebt.
Viel weiter verbreitet ist laut Nowshin das zweite Problem, die rassistischen Vorurteile. Über die seien sich viele Aktivisten gar nicht bewusst – sie hätten aber reale und für Schwarze und People of Color schmerzhafte Auswirkungen. Nowshin sagt, Weiße in der Klimaschutzbewegung würden nicht-weiße Menschen zu oft nur als Opfer der Klimakatastrophe wahrnehmen – aber nicht als Aktivisten, die selbst Ideen, Vorschläge und konkrete politische Forderungen einbringen.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Nowshin, die aus Bangladesh stammt, macht das anhand ihrer eigenen Erfahrung in Deutschland deutlich:
Eine zweite Folge verdeckter rassistischer Vorurteile: Rassistische Gewalt und Terror, der nicht-weiße Menschen direkt bedroht, wird von Weißen allzu oft kaum wahrgenommen. Nowshin hat das nach eigenen Angaben auch in der deutschen Klimaschutzbewegung beobachtet. Sie sagt: "Nach dem Anschlag von Hanau gab es nicht genug aktives Interesse daran, ein Statement zu veröffentlichen".
Zur Frage, ob die Rassismus-Vorwürfe berechtigt sind, haben sich prominente Klimaschutz-Aktivisten in Deutschland selbst zu Wort gemeldet. Im Gespräch mit watson stellte Luisa Neubauer sich kürzlich hinter Nowshin. "Sie hat total recht", bilanzierte das deutsche FFF-Gesicht selbstkritisch. Ich fand es sehr wichtig, dass sie diesen Beitrag geschrieben hat. Es macht mich sehr nachdenklich und ich wünschte, es wäre nicht notwendig gewesen. Ich wünschte, wir würden weiter und reflektierter sein, was Rassismus und Diskriminierung betrifft."
Sie wolle Fridays for Future nicht allgemein fehlende Diversität vorwerfen, sagte Neubauer. "Aber wir sind sehr weiß, das stimmt." Zwar sei es toll, wenn sich privilegierte Menschen engagieren und ihre Privilegien nutzen. Das reicht aber noch nicht, so die Klimaaktivistin. "Die Fragen, die wir uns immer wieder stellen, sind: Wer ist nicht im Raum? Und warum nicht? Das müssen wir immer mitdenken und dafür sorgen, dass der Zugang zur Bewegung erleichtert wird, dass wir Lebensrealitäten mit verschiedensten Hintergründen ansprechen und einbeziehen."
Greenpeace Deutschland veröffentlichte als Reaktion auf Nowshins Gastbeitrag zu dem Vorfall mit den Fotos in Datteln eine Mitteilung mit der Überschrift: "Ein Vorwurf, der uns trifft", in dem die Organisation zuerst wortreich erklärt, dass es sich bei der Fotoauswahl um einen "Fehler" gehandelt habe, durch den nicht-weiße Menschen ausgegrenzt worden seien. Greenpeace schreibt aber nicht ausdrücklich, selbst rassistisch gehandelt zu haben.
Dann steht in der Mitteilung: "Der Vorfall führt uns, als vornehmlich weiße Personen, unsere unbewussten Rassismen und Privilegien vor Augen. Und genau damit müssen und wollen wir uns auseinandersetzen."
Jutta Ditfurth, 1980 Gründungsmitglied der Grünen und eine der bekanntesten linken Umweltaktivistinnen Deutschlands, sieht den Foto-Vorfall um Nowshin als Teil einer jahrzehntelangen Geschichte. Auf Twitter schrieb sie kurz nach dessen Bekanntwerden: "Rassismus in der deutschen Ökobewegung hat Tradition".
Greenpeace selbst – mit nach eigenen Angaben mehr als 600.000 Mitgliedern in Deutschland einer der mächtigsten Akteure in der Klimaschutzbewegung – schreibt in der besagten Mitteilung weiter:
Die betroffene Tonny Nowshin selbst sieht diese Reaktion sehr skeptisch. Sie sagt über Greenpeace: "Die Art, in der du dich entschuldigst, sagt eine Menge über dich selbst aus." Sie fühle sich "etwas peinlich berührt" von der Art, in der Greenpeace versuche, den Vorfall mit den Fotos zu rechtfertigen.
Fridays for Future geht das Problem – zumindest nach eigenen Worten – deutlich offensiver an.
FFF-Aktivist Asuka Kähler erklärt watson, wie groß das Rassismus-Problem in der Bewegung sei: "ziemlich groß". Und weiter:
Protestforscher Simon Theune bescheinigt FFF, dass die Bewegung das Problem tatsächlich erkannt habe. Er sagt zu watson: "Die FFF gehen nach meiner Beobachtung sehr bewusst mit den Ausschlüssen um, die sie produzieren. Neben der Diskussion um rassistische Ausschlüsse gibt es auch eine anhaltende Debatte über Klasse als Ausgrenzungslogik."
Aktivistin Nowshin teilt diesen Befund. FFF habe das Rassismus-Problem "offen, ehrlich und mutig" akzeptiert, sagt sie watson. Und sie ergänzt: "Das ist die richtige Richtung, so werden wir unsere Bewegung verbessern."
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt – aber wie sieht es um den zweiten aus? Was tun Klimaschutzaktivisten in Deutschland gegen Rassismus in den eigenen Reihen? Tonny Nowshin formuliert im Gespräch mit watson drei Forderungen:
Es brauche erstens Workshops, um Rassismus, Machtverhältnisse und Privilegien aufzuarbeiten – zum Beispiel zu "critical whiteness", zur Auseinandersetzung mit den Privilegien, die Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe haben.
Zweitens sei eine "Diversitätspolitik" in den Organisationen nötig – um sicherzustellen, dass mehr Nicht-Weiße sich dort einbringen und ihre Perspektive zeigen können.
Und drittens müsse die Auseinandersetzung mit Rassismus und sozialer Unterdrückung in alle Aktivitäten der Bewegung einfließen und mitgedacht werden.
Zur Frage, was Fridays for Future selbst gegen Rassismus tut, teilt Aktivistin Line Niedeggen gegenüber watson mit:
Greenpeace Deutschland, deren Umgang mit den Protestfotos und Tonny Nowshin die Debatte angeheizt hat, verspricht:
Protestforscher Simon Teune glaubt indes, dass der Kampf gegen Rassismus anstrengend wird. Er sagt: "An den schmerzhaften Erfahrungen von Frau Nowshin zeigt sich, dass die Klimabewegung noch einen langen Weg vor sich hat und dass erlerntes Verhalten nicht ohne Weiteres verschwindet."