Alles dicht, alles verwaist. Wie geht es mit dem Lockdown weiter?Bild: imago
Exklusiv
05.01.2021, 13:4706.01.2021, 12:46
Vor dem Corona-Gipfel ist nach dem Corona-Gipfel. Und so treffen sich heute wieder Bund und Länder, um über eine mögliche Verlängerung des Corona-Lockdowns zu sprechen. Einige Länder, etwa Thüringen und Bayern, planen, die Maßnahmen bis zum Februar nicht zu lockern. Die Idee, den Bewegungsradius der Menschen einzuschränken, dürfte ebenfalls diskutiert werden. Allerdings gibt es auch ein Problem: Bisher ist noch nicht klar, wie sehr sich Weihnachten und Silvester auf die Infektionszahlen ausgewirkt haben. Das erfahren wir wahrscheinlich erst Mitte Januar.
Trotzdem muss über den Lockdown diskutiert werden, endet er doch bereits kommenden Sonntag. Auch müssen Fragen geklärt werden, etwa die nach einem einheitlichen Kurs. Ein Maßnahmen-Flickenteppich, wie es ihn bereits im vergangenen Herbst gab, dürfte wieder viel Verwirrung und Unmut stiften.
Wie sinnvoll das und auch eine Lockdown-Verlängerung wäre, fragten wir die beiden Epidemiologen Timo Ulrichs, Professor für internationale Not- und Katastrophenhilfe an der Hochschule für Humanwissenschaften und Markus Scholz, seines Zeichens Professor für Biometrie an der Universität Leipzig.
"Ich gehe davon aus, dass auch über Ende Januar hinaus noch Einschränkungen bestehen werden."
Markus Scholz
Ist eine Lockdown-Verlängerung sinnvoll? Wenn ja, warum?
Markus Scholz: "Eine Verlängerung des Lockdowns ist erforderlich, da nach wie vor die Sieben-Tage-Inzidenz – die Häufigkeit von Neuansteckungen – viel zu hoch ist, um eine effektive Kontaktverfolgung zu ermöglichen. Außerdem werden wir erst im Laufe dieser Woche die Auswirkungen der Feiertage hinsichtlich des Infektionsgeschehens sehen. Wenn der Lockdown aufgehoben wird, werden wir in kürzester Zeit wieder in einen exponentiellen Verlauf der Pandemie geraten.
Das wäre in Hinblick auf die bereits jetzt sehr kritische Situation auf den Intensivstationen nicht mehr zu verkraften. Man muss auch berücksichtigen, dass aktuell viele Operationen und Eingriffe abgesagt werden, da die Situation in den Krankenhäusern so kritisch ist. Dadurch ist zu erwarten, dass nicht nur Menschen "an oder mit" Covid-19 sterben, sondern auch "wegen" der durch Covid-19 verursachten, schlechteren medizinischen Versorgungslage. Diese Problematik wird leider viel zu wenig thematisiert."
Sollten wir die Maßnahmen vielleicht sogar über den Januar hinaus verlängern?
Markus Scholz: Aktuell lässt sich die Wirksamkeit des Lockdowns nicht genau abschätzen, da wir aufgrund der Feiertage eine stark verzerrte Datenlage haben. Ende dieser Woche werden wir bessere Daten haben und prognostizieren können, ob die Maßnahmen ausreichen, um bis Ende Januar zu einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 zu kommen. Diese Inzidenz ist meines Erachtens aber immer noch zu hoch, um eine effiziente Kontaktverfolgung zu gewährleisten. Ich gehe davon aus, dass auch über Ende Januar hinaus noch Einschränkungen bestehen werden.
Timo Ulrichs: Ich würde sagen, es müssen zunächst die Zahlen Ende Januar geprüft werden, um zu entscheiden, wie es weitergeht.
Ab welcher Inzidenzzahl könnte der Lockdown wieder geöffnet werden?
Markus Scholz: Die Sieben-Tage-Inzidenz sollte deutlich unter 50 liegen, um eine effiziente Kontaktverfolgung zu ermöglichen.
Timo Ulrichs: Liegen die Werte unter 50, sollten allerdings einzelne Maßnahmen im Abstand von 14 Tagen gelockert werden – nicht alles auf einmal wie im Frühlings-Lockdown.
"Ich würde Gelassenheit empfehlen, vor allem in Zeiten, in denen wir eine begrenzte Menge Impfstoffdosen haben."
Timo Ulrichs
Wie sinnvoll ist es, wenn alle Bundesländer einen eigenen Kurs bezüglich der Corona-Maßnahmen fahren?
Markus Scholz: Epidemiologisch gesehen ist es nicht notwendig, dass alle Bundesländer gleich verfahren. Länder, die den Schwellwert eher erreichen, könnten auch eher wieder lockern.
Timo Ulrichs: Es kann schon sinnvoll sein, wenn sich das Infektionsgeschehen in einzelnen Bundesländern unterscheidet. Bezüglich der Impf-Organisation sollte allerdings eher bundeseinheitlich vorgegangen werden, um Verwirrung zu vermeiden.
Welche Maßnahmen würden Sie für die kommende Zeit empfehlen – vor allem mit Blick aufs Impfgeschehen?
Markus Scholz: Neben den verletzlichen Gruppen, Ältere und Vorerkrankte, wäre es wichtig, Personen mit vielen Kontakten zuerst zu impfen. Das betrifft den Gesundheits- und Pflegebereich, Mitarbeiter von Sammelunterkünften und Justizvollzugsanstalten sowie Lehrer und Erzieher. Letztgenannte Gruppe zu impfen wäre besonders hinsichtlich der Öffnung von Schulen wichtig. Zudem haben Analysen des WIdO (Anm. d. Red.: Wissenschaftliches Institut der AOK) gezeigt, dass diese Berufsgruppe bisher am schwersten durch Covid-19 betroffen ist.
Timo Ulrichs: Ich würde Gelassenheit empfehlen, vor allem in Zeiten, in denen wir eine begrenzte Menge Impfstoffdosen haben.
"Es hat sich klar gezeigt, dass Schulen wesentliche Pandemietreiber sind."
Markus Scholz
Eine Beschluss ist, den Bewegungsradius auf beispielsweise 15 Kilometer um den Wohnort zu beschränken. Was ist davon zu halten?
Markus Scholz: Das wäre sinnvoll, wenn die bisher bestehenden Maßnahmen nicht ausreichen. Aktuell lässt sich dies nicht abschätzen.
Timo Ulrichs: Italien hat bereits das Reisen zwischen Regionen untersagt. Eine solche Einschränkung kann hilfreich sein, wenn die bisherigen Maßnahmen nicht zu einer deutlichen Kontaktreduktion und damit auch der Mobilität beitragen. Die Mobilität in Deutschland war im ersten Lockdown deutlich reduzierter als jetzt.
Was können vor allem Betriebe, die nach dem Lockdown wieder öffnen, besser machen?
Markus Scholz: Kritisch sind vor allem geschlossene Räumlichkeiten. Hier könnten Raumluftfilteranlagen einen zusätzlichen Schutz bieten. Zum Beispiel für Gaststätten wäre dies sinnvoll. Bei Besuchern von Sammelunterkünften, Pflegeheimen und im Gesundheitsbereich sollten außerdem Schnelltests durchgeführt werden.
Sollten Schulen demnächst wieder öffnen?
Markus Scholz: Nein. Es hat sich klar gezeigt, dass Schulen wesentliche Pandemietreiber sind. Wir sehen aktuell einen massiven Eintrag der Infektion in die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen. Dazu kommt eine viel höhere Dunkelziffer, da Kinder häufiger asymptomatisch sind und deshalb aktuell nicht mehr konsequent getestet werden. Dadurch kann das Virus unbemerkt in Familien eingetragen werden.