In Belarus sind wieder viele Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Lukaschenko zu demonstrieren. Bild: AP
International
Zu Zehntausenden haben Menschen in Belarus
(Weißrussland) trotz massiver Polizeigewalt auch gegen Frauen den
fünften Sonntag infolge gegen den Machthaber Alexander Lukaschenko
protestiert. "Wir haben hier die Macht!", "Das ist unsere Stadt!" und
"Uchodi!" – zu Deutsch: "Haub ab!" – und "Freiheit!", skandierten die
Lukaschenko-Gegner in Minsk.
Sie kamen aus unterschiedlichen Richtungen im Zentrum zusammen – bei einem Protestzug unter dem Motto "Marsch der Helden". Gewidmet
war die Großkundgebung der inhaftierten Oppositionsführerin Maria
Kolesnikowa und anderen Mitgliedern der Demokratiebewegung.
Beobachter schätzten die Zahl auf insgesamt 150.000 Menschen – mehr
als am Sonntag vor einer Woche.
250 Menschen in Minsk festgenommen worden
Mehr als 250 Menschen seien allein in Minsk festgenommen worden,
teilte das Innenministerium am Nachmittag mit. Auch in anderen
Städten des Landes gab es Proteste, darunter in Witebsk und in
Grodno. In Witebsk ging die Polizei brutal gegen die friedlichen
Demonstranten vor. Die Menschen seien wegen Teilnahme an einer nicht
genehmigten Massenveranstaltung und wegen des Tragens unerlaubter
Symbole in Gewahrsam gekommen, hieß es. In Brest setzten die starken
Sicherheitskräfte einen Wasserwerfer gegen die Menschen ein. Viele
Demonstranten trugen die historische weiß-rot-weiße Flagge von
Belarus, die zu einem Wahrzeichen der Demokratiebewegung geworden
ist.
Die Hauptstadt glich einer Festung. Schon Stunden vor Beginn des
Marsches bezog ein Großaufgebot von Polizei und Armee Stellung. Die
Behörden schalteten das mobile Internet ab, damit sich die
Protestierenden nicht über die Demonstrationsroute verständigen
konnten. Metrostationen und Unterführungen waren gesperrt. Der Platz
der Unabhängigkeit war von Uniformierten umstellt und mit
Metallgittern abgeriegelt, wie ein Reporter der Deutschen
Presse-Agentur berichtete. Am Palast der Republik im Stadtzentrum
zogen Uniformierte auch Stacheldraht an den Metallgittern auf.
In vielen Seitenstraßen standen Gefangenentransporter und
Sicherheitskräfte. In verschiedenen Stadtteilen bildeten die Menschen
trotz der bedrohlichen Atmosphäre in der Stadt Kolonnen und bewegten
sich in das Stadtzentrum – zur Straße Prospekt der Sieger. Von dort
aus bewegte sich der Protestzug in Richtung Präsidentenpalast und zur
Stele für die Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkriegs. Auf
Luftaufnahmen von der Stelle war eine riesige Menschenmenge zu sehen.
Proteste sollen unterdrückt werden
Es gab Medien zufolge Warnschüsse in dem Viertel, in dem der
Präsidentenpalast liegt. Eine Bestätigung der Behörden lag zunächst
nicht vor. Dort hatte sich Staatschef Lukaschenko zuletzt auch selbst
mit schusssicherer Weste und einer Kalaschnikow in der Hand gezeigt.
Der Sicherheitsapparat versucht schon seit Wochen, die Proteste zu
unterdrücken. Nach Einschätzung des Minsker Analysten Artjom
Schraibman lösen aber vor allem die Polizeigewalt und die Festnahmen
immer wieder neue Proteste aus. Dabei seien die Menschen insgesamt
friedlich.
Zwar hatte der Machtapparat zuletzt Oppositionelle entweder außer
Landes oder ins Gefängnis gebracht. Aber die Menschen bräuchten keine
Führung, sondern organisierten sich selbst, sagte die
Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanokowskaja. Die 38-Jährige ist aus
Sicht der Protestbewegung die eigentliche Siegerin der
Präsidentenwahl vom 9. August. Tichanowskaja hatte ihre Landsleute
aus ihrem erzwungenen Exil im EU-Land Litauen aufgerufen, mutig zu
sein und an dem Protestmarsch teilzunehmen.
"Die Frage ist jetzt, ob die Bewegung es schafft, dass Protestgeschehen auf diesem Niveau zu halten."
Politologe Waleri Karbelewitsch
"Aber wenn noch mehr kommen
und die Polizeigewalt gegen friedliche Bürger eskaliert, dann kann
das Absetzungserscheinungen in der Beamtenschaft verstärken und für
Lukaschenko gefährlich werden", sagte der 65-Jährige bei einem
Treffen. "Es ist eine Revolution, damit ist alles schwer
vorhersehbar."
Seit der Wahl vor mehr als einem Monat kommt es täglich im ganzen
Land zu Protestaktionen. Der 66-jährige Lukaschenko hatte zuletzt die
Spitze des Sicherheitsapparats ausgewechselt und ein härteres
Durchgreifen gegen die Demonstranten gefordert. Bei den traditionell
am Samstag organisierten Frauenprotesten gingen maskierte
Uniformierte ohne Erkennungszeichen hart mit Gewalt gegen
Demonstrantinnen vor. Es gab mehr als 100 Festnahmen. Mehrere Frauen
verletzten sich im Handgemenge mit den Sicherheitskräften.
Lukaschenko will an der Macht bleiben
Lukaschenko hat mehrfach betont, dass er auch nach 26 Jahren im
Amt alles tun werde, um an der Macht zu bleiben. Der Verfassung nach
muss die Amtseinführung innerhalb von zwei Monaten nach der Wahl
erfolgen - also bis spätestens 9. Oktober. Offiziell läuft seine
fünfte Amtszeit im November aus.
Es wird erwartet, dass sich Lukaschenko bei einem für diesen
Montag geplanten Besuch bei seinem russischen Kollegen Wladimir Putin
Unterstützung holt und dann das Datum für die sechste Amtseinführung bekannt gibt. Das Treffen ist in Sotschi am Schwarzen Meer geplant.
Putin hatte seinem angeschlagenen Kollegen zuletzt auch Truppen
in Aussicht gestellt, sollte die Lage in dem Land mit mehr als neun
Millionen Einwohnern zwischen dem EU-Mitglied Polen und Russland
eskalieren. Die Streitkräfte Russlands und von Belarus wollen von
diesem Montag an elf Tage eine Militärübung abhalten. Geplant ist das
Manöver an der Grenze zu Polen.
(lin/dpa)
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