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Corona in Nordkorea: Warum eine Eskalation eine globale Gefahr darstellen könnte

©Kyodo/MAXPPP - 14/03/2020 ; Officials disinfect a streetcar in Pyongyang on Feb. 26, 2020, amid the coronavirus outbreak. (Kyodo) ==Kyodo
Mit der Desinfektion von öffentlichen Orten will Nordkorea die Situation wieder unter Kontrolle bringen. Bild: MAXPPP
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Corona in Nordkorea: Warum eine Eskalation der Lage auch global eine Gefahr darstellen könnte

18.05.2022, 12:40
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Eigentlich war Nordkorea bis vor Kurzem einer der wenigen Staaten der Welt, der das Coronavirus unter Kontrolle zu halten schien. Durch frühe, strenge Lockdowns und seine Isolation nach außen erstickte das Regime aufkeimende Corona-Herde schnell. Bis jetzt.

Südkorea: Passanten tragen Gesichtsmasken in einer belebten Einkaufsstraße in Busan. Foto vom 09. Februar 2020.
Wo Nordkorea bisher weitgehend verschont blieb, kämpft es nun erbittert gegen das Coronavirus.Bild: dpa / Daniel Kalker

Aktuell wütet das Virus in Nordkorea offensichtlich besonders heftig. Dafür spricht zumindest die verhältnismäßig offene Krisen-Kommunikation, wie der Nordkorea-Experte Eric Ballbach gegenüber watson erklärt. Er gibt einen Einblick in die Politik des isolierten Landes und beschreibt, warum Machthaber Kim Jong Un seinen Alleingang, zumindest im Umgang mit Corona, aufgeben sollte – und auch die internationale Gemeinschaft unter Zugzwang geraten könnte.

Die Lage in Nordkorea gerät außer Kontrolle

Mittlerweile hat das international isolierte Land während des Corona-Ausbruchs sechs weitere Todesfälle durch "Fieber" vermeldet. Die Zahl der Toten habe sich dadurch (Stand Montagabend) auf 56 erhöht, meldete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA am Dienstagmorgen (Ortszeit). Insgesamt seien mehr als 1.483.060 Menschen an "Fieber" erkrankt und mindestens 663.910 Menschen medizinisch behandelt worden.

Wie viele der bislang gemeldeten "Fieber"-Todesfälle auf das Coronavirus zurückzuführen sind, bleibt zunächst unklar. Laut mehrerer Nordkorea-Experten ist es jedoch "nicht übertrieben, diese Fälle von 'Fieber' als Covid-19-Erkrankungen zu betrachten", da Nordkorea die Tests zum Nachweis fehlen.

Doch wie konnte es so weit kommen? Als zentralen Auslöser sehen Experten die große Militärparade, die am 25. April in Pjöngjang stattfand.

HANDOUT - 01.05.2022, Nordkorea, Pjöngjang: Diese von der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA zur Verfügung gestellte Aufnahme zeigt Kim Jong Un, Machthaber von Nordkorea, bei einem F ...
Machthaber Kim Jong Un ließ sich bei der Militärparade am 25. April von Studierenden und jungen Arbeitenden bejubeln.Bild: KCNA / -

Außerdem sind da noch die wirtschaftlichen Verbindungen nach China, die nun wieder verstärkt aufgenommen wurden: eine Gefahr für die vollkommen ungeimpfte Gesellschaft.

Nordkorea hat ein marodes Gesundheitssystem

Die Kontrolle über zunächst einzelne Infektionsherde hat Nordkorea mittlerweile verloren. Das bestätigt auch Experte Ballbach. Gegenüber watson erklärt er: Wenn das Land offen über die schwierige Lage spreche, könne man davon ausgehen, dass sie derzeit sehr gefährlich sei. Nicht ohne Grund.

Mit Omikron prallt eine sehr ansteckende Corona-Variante auf eine komplett ungeimpfte und kaum immunisierte Gesellschaft. "Das Gesundheitssystem kann das schlicht nicht auffangen", sagt Ballbach. Denn Nordkoreas Gesundheitssystem sei alt, mit systemischen Mängeln, ohne mögliche Test- oder Tracingprogramme. Nordkorea hat mit einem sehr maroden Gesundheitssystem zu kämpfen. Viele Möglichkeiten für das Regime, auf den massenhaften Ausbruch zu reagieren, gibt es also nicht. "Es bleibt nur der Lockdown", so Ballbach.

Militärische Aufrüstung steht über Gesundheitsversorgung

Doch warum steht es um die gesundheitliche Versorgung in Nordkorea so schlecht? Ballbach liefert Antworten: "Was in erster Linie fehlt, sind finanzielle Investitionen ins Gesundheitssystem seit den 80ern." Andere Faktoren kämen noch erschwerend hinzu: Wegen politischer Spannungen wurde das Land zunehmend international isoliert und durch Sanktionen behaftet.

Das hat Folgen: Es fehlen Ressourcen zur Bekämpfung des Virus. Medikamente und Masken gibt es kaum. Kapazitäten für Massentests und Impfungen sind nicht gegeben. Auch auf die medizinische Ausbildung wird kaum Wert gelegt. Im Fokus stehen andere Bereiche.

Ganz oben auf der Prioritätenliste stand für Nordkorea in den vergangenen Jahrzehnten nämlich das Militär.

©Kyodo/MAXPPP - 10/10/2019 ; Soldiers salute as they visit Mansu Hill in Pyongyang on Oct. 10, 2019, the 74th anniversary of the foundation of the Workers' Party of Korea. (Kyodo) ==Kyodo
Das Militär und die Waffenpolitik steht in Nordkorea über allem.Bild: MAXPPP

Die gesamte Innen- und Außenpolitik sei auf die ständige Aufrüstung des Militärs und der Waffensysteme ausgerichtet: "Selbst eine Notlage ändert nichts an der Priorisierung der nationalen Verteidigung, sie kommt quasi vor allem anderen", erklärt Ballbach. Daran habe auch die Coronavirus-Pandemie nichts geändert.

Lockdown wie in China – allerdings unter großer Not

Es gibt nicht mehr viele Möglichkeiten, um dem Coronavirus akut etwas entgegenzusetzen. Das einzig effiziente Mittel sei in Nordkorea aktuell der Lockdown. Dieser könne, wenn er denn weiter verschärft würde, "aussehen wie in China", sagt Ballbach. Doch die Voraussetzungen sind in den beiden Ländern völlig unterschiedliche: In China durften Millionen Menschen in Metropolen wochenlang ihre Wohnungen nicht verlassen, wurden quasi an der Tür versorgt. Die Einhaltung wurde strikt umgesetzt, teilweise wurden sogar Wohnungstüren verriegelt. Selbst für das reiche China ist und war diese sogenannte Null-Covid-Strategie extrem schwierig umzusetzen.

Das arme Nordkorea habe hingegen kaum Kapazitäten, die Menschen an der Tür zu versorgen, so Ballbach. Für Jong Un wäre es eine riesige Herausforderung, das alles zu bewerkstelligen. Zumal das Land durch die strengen Lockdowns am Anfang der Pandemie wirtschaftlich noch angeschlagener sei als vorher.

Jong Un präsentiert sich als väterlicher Kümmerer

ARCHIV - 10.11.2021, Nordkorea, Pj
Geschäfte, Straßen und öffentliche Plätze werden desinfiziert.Bild: AP / Jon Chol Jin

Die Bevölkerung will der Machthaber Kim Jong Un dennoch bei Laune halten. Bilder gehen um die Welt. Bestimmt sind diese vor allem für die eigenen Leute: Sie zeigen Jong Un, der Apotheken besucht oder Angestellte, die öffentliche Flächen desinfizieren. "Kim Jong Un präsentiert sich dabei als väterlicher Kümmerer", so der Nordkorea-Experte. Zumindest in den offiziellen Statements versucht er also, zu beruhigen.

Das muss er offensichtlich auch.

"Es ist natürlich schwierig von außen zu sagen, wie der Rückhalt in der Gesellschaft aktuell ist", so Ballbach. Dass die Versorgungslage im Land aber kritisch ist, ist kein Geheimnis. Laut Ballbach weiß der nordkoreanische Machthaber genau, dass er bald darauf reagieren muss. "Wenn er die Gefahr sieht, dass sich die Lage weiter verschärft und der Missmut in Bevölkerung wächst, gehe ich davon aus, dass er sich an andere Staaten wenden wird", prognostiziert Ballbach.

Um jeden Preis will Nordkorea das Gesicht wahren

Für Nordkorea sei es jedoch ein äußerst "schwieriges Signal", Hilfe anzunehmen. Jegliche internationale Aktionen seien "politisiert", so der Nordkorea-Experte. Die Natur eines diktatorischen Systems mit Führerkult stehe dem Erfragen nach Hilfe entgegen, da dies schnell als "Schwäche" verstanden werden könne.

Impfstoff-Angebote aus Südkorea, China und von der Weltgesundheitsorganisation hat das Land bisher abgelehnt. Dass Jong Un die Hilfen aus Südkorea künftig annimmt, glaubt auch der Experte nicht. Zu groß sei der politische Zwist zwischen den beiden Ländern. Wenn die Not größer werde, könne sich das jedoch ändern. Der erste mögliche Ansprechpartner: China. Auch der Westen könnte darauf folgen.

Zugzwang steigt: Die Gefahr durch neue, gefährliche Varianten wächst

Kurzfristig im großen Stil könne Nordkorea von der internationalen Gemeinschaft aber ohnehin keine Hilfe erhalten. Die weitreichenden Sanktionen stehen dem im Wege. Wegen der zahlreichen Wirtschaftseinschränkungen gegen das Land müssen Lieferungen und Hilfen genau unter die Lupe genommen werden. Dadurch will man verhindern, dass aus Versehen Stoffe oder Materialien geschickt werden, die im militärischen Kontext zweckentfremdet werden können. Dieser Sicherheitsaspekt sei zwar grundsätzlich richtig, er "verkompliziert die Hilfe aber enorm", sagt Ballbach.

Ob das angesichts der Notlage sinnvoll ist, bleibt fraglich.

Denn Nordkorea berge mit einer stark grassierenden Corona-Variante in einer vollkommen ungeimpften und unimmunisierten Gesellschaft eine große Gefahr. "Auf gewisse Weise kommt die internationale Gesellschaft auch selbst unter Zugzwang", findet Ballbach. Das Land könnte damit zum regelrechten Brutherd für neue – und gefährlichere – Varianten werden. Und das dürfte weder im Interesse Nordkoreas, noch der internationalen Gemeinschaft liegen.

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