2016: Der russische Präsident Wladimir Putin besucht das Himmelfahrts Kloster auf dem Berg Athos in Griechenland.Bild: picture alliance / Kremlin Pool
Analyse
In einem autonomen Gebiet in Griechenland leben etwa 2000 orthodoxe Mönche. Ihre Halbinsel könnte Schauplatz eines Agentenfilms sein.
Yasmin Müller / watson.ch
Mitten in Europa gibt es einen Flecken Erde, auf dem alle Männer Kutte tragen und Frauen keinen Zutritt haben – außer Katzen und Hühnern sind sogar alle weiblichen Wirbeltiere unerwünscht: die Mönchsrepublik Berg Athos auf der griechischen Halbinsel Chalkidiki.
Und dieser Flecken Erde, bestehend aus 20 orthodoxen Klöstern, hat seine ganz eigene Rolle in den russisch-europäischen Beziehungen. Denn auf dem Athos spinnen falsche Mönche mit Unterstützung Russlands mitten in der EU ihre Fäden, während echte Mönche erbittert gegen russische Kriegspropaganda kämpfen.
Doch von vorn.
Russlands Festung in Griechenland
Das größte aller Klöster auf der Halbinsel ist russisch-orthodox: das Rossikon. Und das Rossikon ist geschichtsträchtig – die Ursprünge dieser heiligen Stätte gehen ins 10. Jahrhundert zurück. Über 2000 Mönche lebten zeitweise in den alten Gemäuern, wo die Liturgien ausschließlich in Kirchenslawisch zelebriert werden.
Zusammen mit den anderen Klöstern auf dem Berg Athos gehört das Rossikon zu dem UNESCO-Weltkulturerbe.
Die Zeichnung von Berg Athos und dem Kloster Stavroniketes.Bild: IMAGO / Artokoloro
Die russisch-orthodoxe Kirche entsendet die Mönche jeweils exklusiv ins Rossikon, weshalb es sich bei den Männern vorwiegend um russische und ukrainische Staatsbürger handelt. Allerdings erhalten alle Mönche auf dem Berg Athos irgendwann die griechische Staatsbürgerschaft.
Zwar zerbröselte die Gemeinschaft der Rossikon-Mönche während der Sowjetunion und schrumpfte auf einen historischen Tiefstand zusammen (Griechenland kontrollierte den Zustrom an russischen Bürgern und Mönchen genau). Doch mittlerweile hat sich der Mönchsbestand etwas erholt – finanziert vom russischen Staat und russischen Privatpersonen.
Ein russisches Trojanisches Pferd in Europa – von Spionen und Kriegsunterstützern
Obwohl die Mönche ein strenges Lebens- und Glaubens-Regime befolgen müssen und der Realität etwas entrückt wirken, sind sie und ihr Kloster seit Jahrzehnten Teil der Weltpolitik. Denn einige Mönche seien gar keine echten heiligen Männer, sondern Spione des russischen Geheimdienstes. Sagen westliche Beobachter. Das Rossikon ist also ein Ort der Geheimnisse.
Der russische Präsident Wladimir Putin und die russisch-orthodoxe Kirche sind eng verflochten. Die Oberhäupter der russisch-orthodoxen Kirche unterstützen Putins Krieg in der Ukraine – wenigstens das ist kein Geheimnis.
Der russische Präsident gibt sich in der Öffentlichkeit betont fromm und erzählt gern die Geschichte, dass er – der ehemals stramme Kommunist – bei einem Brand 1996 nicht nur sein Haus bei Sankt Petersburg, sondern auch fast seine beiden Töchter verloren hätte. Aus den Trümmern des Hauses habe er neben seinen Kindern bloß sein Taufkreuz retten können.
Auffällig ist: Das Rossikon ist ein beliebtes Ausflugsziel von russischen Oligarchen. Auch Putin besuchte die Männer in Kutten bereits mehrfach.
Die Zeichnung eines Archimandrits. So bezeichnet man den Leiter eines Klosters.Bild: picture alliance / Bildagentur-online/Sunny Celeste | Bildagentur-online/Sunny Celeste
Zu der Anwesenheit der Oligarchen und Putins sagt Bartholomäus, rechtmäßiger Abt des Klosters Esfigmenou auf der Halbinsel, diesen Mai gegenüber der "Bild-Zeitung", dass diese zu den Expansionsplänen Russlands passen würde, die die russische Regierung schon immer für den Berg Athos gehabt habe.
Der Berg Athos, das "Geschäftszentrum" der russischen Geldwäscherei
Doch warum hat sich dieser heilige Ort zu einem Zentrum der russischen Geschäfte in Europa gewandelt? Bartholomäus erklärt dies in der "Bild" so:
"Die Oligarchen haben diesen heiligen Ort zu ihrem Geschäftszentrum gemacht. [...] In der religiösen Umgebung ist es für sie sicher, Diskussionen zu führen oder zu tun, was sie wollen."
Das "Geschäft" der Oligarchen auf der Halbinsel: Geldwäsche mittels Spende an das Rossikon. Und obwohl alle von diesen kriminellen Machenschaften Kenntnis hätten, seien den Behörden die Hände gebunden. Denn, wie ein griechischer Beamter der "Bild" erklärte:
"Das Problem mit Athos ist, dass wir aufgrund seines heiligen Charakters nur begrenzten Zugang zu diesem Ort haben. Wir können nicht einmal die Telekommunikation überwachen – nicht einmal die Amerikaner können das."
Wladimir Putin lässt sich immer wieder mit Geistlichen ablichten. Wie hier, mit dem russischen Patriarchen Kirill von Moscow. Sie besuchten das St. Panteleimon Kloster auf Berg Athos.Bild: picture alliance / Kremlin Pool
Abt Bartholomäus nimmt übrigens keine Oligarchenspenden entgegen. Er begründet dies in der NZZ damit, dass die vermögenden Männer zu eng mit der russischen Regierung verbandelt wären. Und diese stelle den Berg Athos als "das Erbe der Russen und ihr Eigentum" dar.
Doch via Rossikon fließen russische Oligarchengelder wohl weiterhin unbemerkt nach Griechenland, um dort gewaschen zu werden.
Die russische Destabilisierung und Kriegspropaganda
Im Februar – nur wenige Tage vor Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine – kaperte eine Gruppe russischer Nationalisten Teile des Klosters Esfigmenou von Abt Bartholomäus, einem griechisch-orthodoxen Kloster.
Die Nationalisten schwenkten eine Fahne des ehemaligen Russischen Reichs und trugen ein Bild des letzten Zaren mit sich, wie Videos zeigen.
Dabei leben die Mönche von Esfigmenou zurzeit nicht einmal in ihrem Zentralgebäude. Denn dieses wird seit 20 Jahren von ultrakonservativen Mönchen besetzt, denen die Glaubensgrundsätze des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel, dem die Klöster auf dem Athos unterstellt sind, nicht orthodox genug sind.
Doch wer sich genau unter den Kutten der Besetzer-Mönche verstecke, wisse man nicht so genau, klagt Bartholomäus bei der NZZ – ob geistliche Eiferer, weltliche Spione oder beides. Der "Bild" sagt der Abt:
"Seit Jahren sind unsere Klöster von Russen und Pro-Russen besetzt, und keine Regierung oder Behörde hat es gewagt, etwas dagegen zu unternehmen."
Er betont in der NZZ, dass es im Konflikt mit den ultrakonservativen Mönchen nicht um eine spirituelle Frage gehe, sondern darum, dass versucht werde, sich fremdes Eigentum anzueignen. Eine anhaltende Beeinträchtigung der Eintracht der Orthodoxie und der Athos-Mönche.
Die "westliche Hysterie"
Während die klerikalen Besetzer Bartholomäus' Klostergemeinschaft seit 20 Jahren in Atem halten, versucht der Abt gegen die profanen Russen, die seit Februar in seinem Kloster hausen, sofort etwas zu unternehmen: Er wandte sich an die griechische Presse, die den Fall publik machte. Bartholomäus beschreibt, dass es weitere ähnliche Vorfälle gegeben habe. Der O-Ton von Bartholomäus' Berichten: Die Russen versuchen den Athos definitiv zu übernehmen.
Diese Anschuldigung mitten im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wiederum passt Russland nicht. Das russische Außenministerium gab sogar eine Erklärung heraus, in der "ungenaue Berichte über russische Themen in den griechischen Medien" allesamt als falsch abgetan werden. Das Außenministerium schreibt:
"[Mit Beginn der] russischen Militär-Sonderoperation [die russische Sprachregelung für den Angriffskrieg in der Ukraine] spielen im hysterischen Orchester der westlichen Medien, offenbar unter der Leitung Washingtons, auch einige griechische Medien ihre Geige der 'antirussischen Solidarität'."
Unter Punkt fünf heißt es weiter, dass die Anschuldigungen Bartholomäus' bloß ein weiteres Kapitel der Mär seien, dass der Kreml versuche, "die Situation auf dem Heiligen Berg zu destabilisieren."
Das angebliche Pogrom
Ab April verbreiteten sich in russischen Medien die Gerüchte, dass auf dem Berg Athos ein Pogrom gegen Mönche mit russischer Herkunft stattfinde. Denn der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, der ebenfalls Bartholomäus heißt, besuchte im Mai die Halbinsel.
Im Rahmen des "aktuellen Informationskrieges des Westens gegen Russland und die kanonische Orthodoxie als tausendjähriges Fundament des russischen Staates" habe man begonnen, die "Athos-Karte" auch in den westlichen Medien zu spielen, sagte der russische Sekretär des Departements für interreligiöse Beziehungen, Vater Dimitry Safonov, der russischen Nachrichtenagentur Tass.
Mittlerweile kursieren Videos auf den russischen sozialen Medien, die die Nachricht verbreiten, dass es auf dem Berg Athos bald einen Krieg geben werde.
Wie auch immer es in der irren Geschichte um das Rossikon und den Berg Athos weitergeht, eines steht fest: Mit der andächtigen Stille ist es auf dem Klosterberg bis auf Weiteres vorbei.