Berge eingebettet in eine Decke aus Schnee und Eis, funkelnde Polarlichter auf kristallklarem Wasser, jagende Eisbären auf Eisschollen – das sind wohl Bilder, die einem in den Sinn kommen, denkt man an die Arktis. Doch die Region des ewigen Eises ist im Wandel: Die Erderwärmung schlägt zu.
Schwindendes Meereis, tauender Permafrostboden und steigende Temperaturen zeigen: Der Klimawandel heizt die Arktis auf. Expert:innen befürchten, die Region könnte zum nächsten Hotspot werden. Schließlich verbergen sich unter dem arktischen Eis wertvolle Bodenschätze, strategisch wichtige Schiffspassagen und vor allem jede Menge Öl sowie Gas.
Längst zieren Militärbasen, Panzerfahrzeuge und Streitkräfte die Landschaft der Arktis – vor allem Russland engagiert sich in der Region zunehmend. "Seit 2007 wird die arktische Zone der Russischen Föderation wieder militarisiert", erklärt Sicherheitsexperte Michael Paul auf watson-Anfrage.
Sprich, Stützpunkte werden erneut aktiviert beziehungsweise modernisiert. "Insofern ist Russland militärisch auf jeden Fall besser als alle anderen Arktis-Staaten aufgestellt", meint Paul, der am "Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit" forscht.
Zu den Anrainerstaaten des Arktischen Ozeans gehören die USA (mit Alaska), Russland, Norwegen, Kanada und Dänemark (mit Grönland). Island und Schweden gelten ebenfalls als Arktisstaaten.
Laut Paul treffen in der Zentralarktis russische, dänische und kanadische Gebietsansprüche aufeinander.
"Die konkurrierenden Gebietsansprüche im Nordpolarmeer bieten Konfliktpotenzial", sagt Paul. Hierfür wurde die "Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels" gegründet, eine Institution des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen.
"Russland hat 2001 schon Gebietsansprüche geäußert, später dann auch Kanada und Dänemark", sagt Paul. Das heißt, hier überschneiden sich die Ansprüche auf den Nordpol. Es gehe dabei um Ressourcen und Seewege wie die transpolare Passage. "Und natürlich auch um die militärische Bedeutung der Arktis", betont Paul.
Laut des Sicherheitsexperten hat Russland in der arktischen Zone zwei Drittel des maritimen nuklearen Potenzials versammelt. Das mache die ganze Geschichte brisant. Auch der dänischen Regierung ist die heikle Lage offenbar bewusst, weshalb sie jeden russischen Schachzug in der Arktis mit Adleraugen beobachtet.
"Sicherheitspolitisch betrifft die jüngste allgemeine Verschärfung des globalen strategischen Wettbewerbs auch die Arktis", erklärt das dänische Außenministerium auf watson-Anfrage.
Weiter heißt es:
Dies sei eine Entwicklung, die Dänemark gemeinsam mit seinen Verbündeten kontinuierlich analysieren und bewerten müsse. Auch Kanada betont das wachsende internationale Interesse an der arktischen Region. Auf watson-Anfrage teilt ein Sprecher des kanadischen Außenministeriums mit, dass sich das Land für eine friedliche Entwicklung in der Arktis starkmache.
Es heißt:
Moskau hingegen übte erst kürzlich Krieg am Nordpol und ließ bei einem großangelegten Militärmanöver die Muskeln spielen.
Am 10. April unternahm die russische Nordflotte nach eigenen Angaben ein Großmanöver in den Gewässern der Arktis. An der Übung sollen 1800 Soldaten und mehr als ein Dutzend Schiffe teilgenommen haben, teilte der Pressedienst der Flotte der Nachrichtenagentur Interfax mit. "Besondere Aufmerksamkeit wird im Zuge des Manövers der Sicherheit der Handelsmarine Russlands und der Seewege wie etwa der Nordostpassage gewidmet", heißt es in der Mitteilung.
Die Nordostpassage führt an der Nordküste Russlands entlang. Wegen der zunehmenden Klimaerwärmung wird die Route für den Schiffsverkehr immer wichtiger, denn inzwischen ist sie im Sommer teilweise sogar ohne Eisbrecher passierbar – und von großer Bedeutung für Russland.
Russland nutzt die Nordostpassage, um Rohstoffe zu exportieren, die das Land im hohen Norden fördert. "Die Arktis ist für Russland die nationale Ressourcen-Basis", erklärt Paul. So habe es auch Wladimir Putin bezeichnet.
Denn: Die arktischen Energieressourcen sind laut Paul die zentrale Säule für Russlands Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren. Die Arktis sei damit immens wichtig für Russland, um die Rolle als Großmacht zu behalten und abzusichern.
Moskau hat, um seinen Anspruch auf die Polarregion geltend zu machen, bereits vor mehr als zehn Jahren Einheiten gegründet, die auf den Kampf in der Arktis spezialisiert sind. Im vergangenen Sommer reagierte die Nato auf diese Entwicklung und kündigte an, sich künftig verstärkt in der Nordpol-Region zu engagieren.
Aber sind die Nato und das US-Militär überhaupt für einen Krieg in den kalten Breitenlagen fit? Wohl eher weniger, meint Paul: "Der ehemalige Chef der amerikanischen Küstenwache hat mal gesagt, dass es jenseits des 72. Breitengrades ziemlich dunkel wird."
Unter anderem ist Paul zufolge die Aufklärungsfähigkeit für das arktische Gebiet mangelhaft. Er sagt:
Nun wollen die USA und andere Arktisstaaten wie Norwegen ihre Aufklärungsfähigkeiten verbessern, meint Paul. Auch die Dänen haben für Grönland Langstrecken-Drohnen angeschafft. Doch wie groß ist die Gefahr eines möglichen Krieges in der Arktis derzeit wirklich?
"Eine Kriegsgefahr in dem Sinne wie im Pazifik um Taiwan ist in der Arktis nicht festzustellen", sagt Paul. Ihm zufolge hat etwa die Truppenpräsenz der russischen Nordflotte abgenommen. Grund: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt zu hohen Verlusten an Menschenleben und Material.
"Russland wäre demnach im Augenblick kaum in der Lage, militärische Konflikte in der Arktis durchzuführen oder durchzustehen", sagt der Experte. Allerdings seien die russische Luftwaffe und Marine sowie Nuklearwaffen vom Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht betroffen.
Paul betont: Die Arktis ist eine verletzliche Flanke Russlands, wo es "legitime Verteidigungsinteressen" besitzt. Russische Aggressionen könnten sich ihm zufolge etwa gegen Spitzbergen richten – die Achillesferse der Nato. "Russland könnte dort eine Invasion durchführen, ähnlich wie bei der Krim", prognostiziert Paul.
Das Konfliktpotenzial in der Arktis sei zwar gering, aber der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine erhöhe auch die Möglichkeiten einer militärischen Eskalation, erklärt der Experte.
(Mit Material der dpa)