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Kampf um den Nordpol: Wie Putin die Arktis zum Hotspot anheizt

Army soldier with Sniper rifle in action in the Arctic. He wears chest rig, backpack, suffers from extreme cold, strong wind, but endures while mission continues, in snow desert
Das Interesse an der Arktis wächst: Russland militarisiert seine arktische Zone, was Arktis-Anrainer Dänemark und Kanada mit Sorgen beobachten.Bild: imago images/zabelin
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Dänemark und Kanada besorgt: Wie Putin die Arktis zum Hotspot anheizt

25.04.2023, 07:53
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Berge eingebettet in eine Decke aus Schnee und Eis, funkelnde Polarlichter auf kristallklarem Wasser, jagende Eisbären auf Eisschollen – das sind wohl Bilder, die einem in den Sinn kommen, denkt man an die Arktis. Doch die Region des ewigen Eises ist im Wandel: Die Erderwärmung schlägt zu.

ARCHIV - 13.06.2008, Norwegen, Spitzbergen: Ein Eisb�r steht auf einer Eisscholle. Der Eisb�r galt lange Zeit als eine Art Posterboy der Klimakrise. L�ngst ist der Klimawandel jedoch vor der Haust�r v ...
Bilder, die einem in den Sinn kommen, denkt man an die Arktis.Bild: AP / Romas Dabrukas

Schwindendes Meereis, tauender Permafrostboden und steigende Temperaturen zeigen: Der Klimawandel heizt die Arktis auf. Expert:innen befürchten, die Region könnte zum nächsten Hotspot werden. Schließlich verbergen sich unter dem arktischen Eis wertvolle Bodenschätze, strategisch wichtige Schiffspassagen und vor allem jede Menge Öl sowie Gas.

Längst zieren Militärbasen, Panzerfahrzeuge und Streitkräfte die Landschaft der Arktis – vor allem Russland engagiert sich in der Region zunehmend. "Seit 2007 wird die arktische Zone der Russischen Föderation wieder militarisiert", erklärt Sicherheitsexperte Michael Paul auf watson-Anfrage.

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Russische Soldaten halten eine Militärübung in der Arktis ab.Bild: imago/ITAR-TASS

Russland baut militärische Macht in der Arktis wieder aus

Sprich, Stützpunkte werden erneut aktiviert beziehungsweise modernisiert. "Insofern ist Russland militärisch auf jeden Fall besser als alle anderen Arktis-Staaten aufgestellt", meint Paul, der am "Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit" forscht.

Zu den Anrainerstaaten des Arktischen Ozeans gehören die USA (mit Alaska), Russland, Norwegen, Kanada und Dänemark (mit Grönland). Island und Schweden gelten ebenfalls als Arktisstaaten.

Gebietsansprüche bergen Konfliktpotenzial

Laut Paul treffen in der Zentralarktis russische, dänische und kanadische Gebietsansprüche aufeinander.

"Die konkurrierenden Gebietsansprüche im Nordpolarmeer bieten Konfliktpotenzial", sagt Paul. Hierfür wurde die "Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels" gegründet, eine Institution des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen.

Die Arktis gehört zum Forschungsgebiet des Sicherheitsexperten Michael Paul.
Die Arktis gehört zum Forschungsgebiet des Sicherheitsexperten Michael Paul. bild: swp

"Russland hat 2001 schon Gebietsansprüche geäußert, später dann auch Kanada und Dänemark", sagt Paul. Das heißt, hier überschneiden sich die Ansprüche auf den Nordpol. Es gehe dabei um Ressourcen und Seewege wie die transpolare Passage. "Und natürlich auch um die militärische Bedeutung der Arktis", betont Paul.

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Laut des Sicherheitsexperten hat Russland in der arktischen Zone zwei Drittel des maritimen nuklearen Potenzials versammelt. Das mache die ganze Geschichte brisant. Auch der dänischen Regierung ist die heikle Lage offenbar bewusst, weshalb sie jeden russischen Schachzug in der Arktis mit Adleraugen beobachtet.

Dorf Uummannaq mit bunten Häusern und Eisbergen im Fjord, Nordgrönland, Grönland, Nordamerika *** Village Uummannaq with colourful Houses and Icebergs at fiord, north greenland, Greenland, North Ameri ...
Ein Dorf in Grönland. Die riesige Insel gehört zum Königreich Dänemark.Bild: IMAGO/imagebroker / alimdi/Arterra

Dänemark besorgt wegen Russlands Machstreben in der Arktis

"Sicherheitspolitisch betrifft die jüngste allgemeine Verschärfung des globalen strategischen Wettbewerbs auch die Arktis", erklärt das dänische Außenministerium auf watson-Anfrage.

Weiter heißt es:

"In den vergangenen Jahren hat die Russische Föderation ihre militärische Stärke erhöht und ihre militärischen Fähigkeiten in der Arktis ausgebaut. Obwohl der Krieg in der Ukraine Russland kurzfristig militärisch geschwächt haben mag, macht die aktuelle Situation Russland auch zu einem weniger berechenbaren Akteur in der Arktis."
MURMANSK REGION, RUSSIA - MARCH 24, 2021: Reconnaissance officers of a marine corps of the Russian Northern Fleet take part in a drill in the village of Lovozero. Marines hold a field exercise in tund ...
Russische Soldaten halten eine Feldübung in der Tundra mit Rentieren ab. Bild: imago images/ITAR-TASS

Dies sei eine Entwicklung, die Dänemark gemeinsam mit seinen Verbündeten kontinuierlich analysieren und bewerten müsse. Auch Kanada betont das wachsende internationale Interesse an der arktischen Region. Auf watson-Anfrage teilt ein Sprecher des kanadischen Außenministeriums mit, dass sich das Land für eine friedliche Entwicklung in der Arktis starkmache.

Es heißt:

"Trotz des gestiegenen Interesses an der Region, sowohl von arktischen als auch von nicht-arktischen Staaten, arbeitet Kanada weiterhin effektiv mit internationalen und nationalen Partnern zusammen, um sicherzustellen, dass die Arktis eine Region des Friedens und der Stabilität bleibt."

Moskau hingegen übte erst kürzlich Krieg am Nordpol und ließ bei einem großangelegten Militärmanöver die Muskeln spielen.

Russische Militärmanöver in der Arktis

Am 10. April unternahm die russische Nordflotte nach eigenen Angaben ein Großmanöver in den Gewässern der Arktis. An der Übung sollen 1800 Soldaten und mehr als ein Dutzend Schiffe teilgenommen haben, teilte der Pressedienst der Flotte der Nachrichtenagentur Interfax mit. "Besondere Aufmerksamkeit wird im Zuge des Manövers der Sicherheit der Handelsmarine Russlands und der Seewege wie etwa der Nordostpassage gewidmet", heißt es in der Mitteilung.

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Immer wieder hält die russische Armee Militärübungen in der Arktis ab. Bild: imago images/SNA / Pavel Lvov

Die Nordostpassage führt an der Nordküste Russlands entlang. Wegen der zunehmenden Klimaerwärmung wird die Route für den Schiffsverkehr immer wichtiger, denn inzwischen ist sie im Sommer teilweise sogar ohne Eisbrecher passierbar – und von großer Bedeutung für Russland.

Putins Ambitionen im Land des schmelzenden Eises

Russland nutzt die Nordostpassage, um Rohstoffe zu exportieren, die das Land im hohen Norden fördert. "Die Arktis ist für Russland die nationale Ressourcen-Basis", erklärt Paul. So habe es auch Wladimir Putin bezeichnet.

Russian President Vladimir Putin holds binoculars while watching military exercises Center-2019 at Donguz shooting range near Orenburg, Russia, on Sept. 20, 2019. Putin, whose forces invaded Ukraine o ...
Für Russland ist die Arktis enorm wichtig und Wladimir Putin weiß das. Bild: Pool Sputnik Kremlin / Alexei Nikolsky

Denn: Die arktischen Energieressourcen sind laut Paul die zentrale Säule für Russlands Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren. Die Arktis sei damit immens wichtig für Russland, um die Rolle als Großmacht zu behalten und abzusichern.

Moskau hat, um seinen Anspruch auf die Polarregion geltend zu machen, bereits vor mehr als zehn Jahren Einheiten gegründet, die auf den Kampf in der Arktis spezialisiert sind. Im vergangenen Sommer reagierte die Nato auf diese Entwicklung und kündigte an, sich künftig verstärkt in der Nordpol-Region zu engagieren.

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Eine US-Soldatin bei einer Militärübung in Alaska, USA.Bild: IMAGO/ZUMA Wire / U.S. Air Force

Aber sind die Nato und das US-Militär überhaupt für einen Krieg in den kalten Breitenlagen fit? Wohl eher weniger, meint Paul: "Der ehemalige Chef der amerikanischen Küstenwache hat mal gesagt, dass es jenseits des 72. Breitengrades ziemlich dunkel wird."

Mangelnde Satelliten-Aufklärung in der Arktis sorgt für Unmut

Unter anderem ist Paul zufolge die Aufklärungsfähigkeit für das arktische Gebiet mangelhaft. Er sagt:

"Die amerikanische Küstenwache war zum Beispiel im vergangenen September nicht gerade erfreut, als sie ein Manöver chinesischer und russischer Kriegsschiffe in der Arktis feststellen musste – sie wurde regelrecht überrascht. Wenn man keine gute Satelliten-Aufklärung für die Arktis hat, dann kann man durch Ereignisse eben überrollt werden."

Nun wollen die USA und andere Arktisstaaten wie Norwegen ihre Aufklärungsfähigkeiten verbessern, meint Paul. Auch die Dänen haben für Grönland Langstrecken-Drohnen angeschafft. Doch wie groß ist die Gefahr eines möglichen Krieges in der Arktis derzeit wirklich?

Krieg in der Ukraine erhöht Möglichkeiten einer militärische Eskalation

"Eine Kriegsgefahr in dem Sinne wie im Pazifik um Taiwan ist in der Arktis nicht festzustellen", sagt Paul. Ihm zufolge hat etwa die Truppenpräsenz der russischen Nordflotte abgenommen. Grund: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt zu hohen Verlusten an Menschenleben und Material.

"Russland wäre demnach im Augenblick kaum in der Lage, militärische Konflikte in der Arktis durchzuführen oder durchzustehen", sagt der Experte. Allerdings seien die russische Luftwaffe und Marine sowie Nuklearwaffen vom Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht betroffen.

The Tula Russian nuclear-powered submarine is pictured in the Barents Sea, Arctic Ocean, ahead of launching a Sineva ballistic missile at Kura Test Range during an exercise held by the Russian strateg ...
Das russische Atom-U-Boot Tula in arktischen Gewässern.Bild: IMAGO/UPI Photo / Russian Defense Ministry Press Office

Paul betont: Die Arktis ist eine verletzliche Flanke Russlands, wo es "legitime Verteidigungsinteressen" besitzt. Russische Aggressionen könnten sich ihm zufolge etwa gegen Spitzbergen richten – die Achillesferse der Nato. "Russland könnte dort eine Invasion durchführen, ähnlich wie bei der Krim", prognostiziert Paul.

Das Konfliktpotenzial in der Arktis sei zwar gering, aber der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine erhöhe auch die Möglichkeiten einer militärischen Eskalation, erklärt der Experte.

(Mit Material der dpa)

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