Die Mehrheit der US-Amerikaner:innen begrüßt die Anklage gegen den Ex-Präsidenten Donald Trump.Bild: TheNEWS2 via ZUMA Press Wire / Niyi Fote
Analyse
05.04.2023, 08:5805.04.2023, 08:59
Sie ist historisch, markiert ein beispielloses Ereignis in der US-Geschichte und eines steht fest: Die Anklage gegen den ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, schlägt Wellen.
Während die Republikanerin Marjorie Taylor Greene versucht, tausende Anhänger:innen der MAGA (Make America Great Again/Macht Amerika wieder großartig)-Bewegung zu mobilisieren, um Trump den Rücken zu stärken, befürwortet offenbar die Mehrheit der US-Amerikaner:innen die Anklage. Das geht aus einer des Nachrichtensenders CNN jüngst in Auftrag gegebenen Umfrage hervor.
Die Staatsanwaltschaft in New York legt dem früheren US-Präsidenten Donald Trump Fälschung von Geschäftsunterlagen in 34 Fällen zur Last. Er habe damit schädliche Informationen und rechtswidrige Aktivitäten vor und nach der Präsidentschaftswahl 2016 verbergen wollen, teilte die Staatsanwaltschaft am Dienstag in New York mit. Der Fall steht im Zusammenhang mit Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin.
Die falsch ausgewiesenen Schweigegeldzahlungen an Ex-Porno-Star Stormy Daniels sind Teil der Anklageschrift.Bild: IMAGO/ZUMA Wire / imago images
Trump war vor Ort und plädierte auf "nicht schuldig". Wie geht es weiter? Und welche Auswirkungen hätte eine Verurteilung für die Präsidentschaftswahl 2024? Watson hat bei den USA-Experten Thomas Greven und Simon Wendt nachgefragt.
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Trump erwacht erst in Florida wieder
Eins ist sicher: Trump hätte sich mehr Unterstützung seiner Anhänger:innenschaft erwartet. Am Ende sind es insgesamt nur einige hundert Demonstrierende – für und gegen Trump. Von einem absoluten Ausnahmezustand, den die Polizei nicht händeln kann, keine Spur. Die Polizei und Journalist:innen blieben in der Überzahl.
Erst in Florida äußert sich Trump vor einem ausgewahlten Publikum zur Anklageverlesung. Bild: AP / Evan Vucci
Schon die Anreise nach New York am Tag zuvor war ein Medienzirkus. Und der Tag der Anklageverlesung steht dem in nichts nach. Alles an diesem Termin ist außergewöhnlich – auch Trumps Verhalten. Kann der frühere TV-Entertainer normalerweise an keinem Mikrofon vorbeigehen, lässt keine Reporterfrage unbeantwortet – in New York guckt er finster drein und schweigt sich aus. Wohl auch auf den Rat seiner Anwälte hin.
Erst in seinem Zuhause, in Florida, spricht der ehemalige Präsident. Dort ist sein Fanclub größer. Das handverlesene Publikum jubelt ihm zu. Trump zieht über den New Yorker Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg her, der für die Anklage gegen ihn verantwortlich ist. "Er sollte mindestens zurücktreten", fordert Trump. Und New York, das sei einst eine tolle Stadt gewesen – jetzt aber nicht mehr.
Die Spaltung der USA spielt Trump in die Hände
Die Anklage, meint USA-Experte Simon Wendt auf watson-Anfrage, ist ein weiterer Beweis für die Polarisierung des Landes, "in dem beide Lager die Welt nur noch in Schwarz und weiß unterteilen." Wendt ist Professor für Amerikastudien an der Uni Frankfurt.
Er erklärt, einige Demokraten seien erfreut darüber, dass sich der frühere Präsident verantworten muss – und sie fühlten sich bestätigt. Auf der anderen Seite stünden die Republikaner, die sich in ihrem Glauben ebenfalls bestätigt fühlten – "dass die politischen Gegner Trumps versuchen, ihm mit allen Mitteln zu schaden."
Noch immer stehen viele Bürger:innen hinter dem ehemaligen Präsidenten.Bild: AP / Rebecca Blackwell
Aus Sicht von Thomas Greven, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Nordamerikastudien an der Universität Bonn, haben sich die meisten Amerikaner:innen ihre Meinung zu Trump gebildet. Die Mehrheit wolle das Kapitel Trump abschließend beenden.
"Aber ein Teil der Basis der Republikaner ist in einem Personenkult gefangen", erklärt Greven auf watson-Anfrage. Daran ändere wohl auch die Anklage nichts. "Im Gegenteil, sie können von ihm auch zu Gewalt aufgestachelt werden", fügt Greven an.
Auch Wendt ist sicher: Insgesamt lasse diese Polarisierung den Republikaner:innen wenig Spielraum für nuancierte Analysen. Zwar kritisierten fast alle Parteianhänger:innen die Anklage als politisch motiviert – jene, die sie aber möglicherweise als gerechtfertigt ansehen, schweigen lieber, als Trumps Wähler:innen-Basis zu verprellen, meint der Experte.
USA-Experte Greven sieht das ähnlich. Mit der Erzählung der "politisch motivierten Hexenjagd" sei es Trump gelungen, eine Vielzahl der Republikaner:innen hinter sich zu versammeln. Auffällig sei aber, dass die Führung der Republikaner:innen im Senat bisher schweigt. Mittlerweile, stellt Greven klar, gebe es aber auch ein paar wenige Stimmen, die die Abkehr vom ehemaligen Präsidenten forderten.
"Trump verliert durch den anstehenden Prozess in Teilen die Kontrolle – zum Beispiel über seinen Terminkalender."
USA-Experte Thomas Greven
Anklage macht Wahlkampf für Trump-Konkurrenz schwieriger
Trumps aussichtsreichster Konkurrent, Ron DeSantis, gehört nicht dazu. Auch er hat die Anklage kritisiert – auch, weil er, wie Simon Wendt ausführt, Trumps Wähler:innenbasis braucht. Deshalb müsse DeSantis vorsichtig sein mit jeglicher Kritik. Denn: Die Trump-Fans spielen eine wichtige Rolle bei den Vorwahlen. Und die Anklage gegen den früheren Präsidenten könnte das Argument verstärken, dass dieser der einzige sei, der erfolgreich gegen "elitäre Demokraten" bestehen könne.
Im Gerichtssaal plädierte Trump für "nicht schuldig".Bild: FR42054 AP / Elizabeth Williams
Eine Einschätzung, die Thomas Greven teilt. Er räumt allerdings ein: Trump verliert durch den anstehenden Prozess in Teilen die Kontrolle – zum Beispiel über seinen Terminkalender. Greven meint: "Das wird noch problematischer für ihn werden, wenn es zu weiteren Anklagen kommt." Trotzdem stehe fest: Trump hat einen strukturellen Vorteil gegenüber seiner Konkurrenz – seine ihm treu ergebene Basis.
Das liege an der Art und Weise, wie die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten der Republikaner abläuft: Die Vorwahlen für die Nominierung werden in den meisten Bundesstaaten nach dem Winner-takes-it-all-Prinzip durchgeführt – also nach der relativen Mehrheitswahl. Einzige Ausnahmen: Maine und Nebraska.
Weitere Verfahren gegen Trump dürften folgen
Ob es am Ende zu einer Verurteilung kommen wird, sei von außen schwer zu beurteilen, meint Greven. Er rechnet damit, dass in diesem Fall, wenn überhaupt, nicht die Tat, sondern der Vertuschungsversuch zu Problemen führen dürfte. Unnötigerweise, wie der Experte meint. Er sagt:
"Mit den Affären hätte Trump vermutlich sogar noch angeben können; seine Anhänger hätten sie womöglich begeistert. Und die opportunistische christliche Rechte und die ebenso opportunistische Geschäftswelt hätten sie wohl nicht gestört: Hauptsache, er liefert abtreibungsfeindliche Richter und niedrige Steuern."
USA-Experte Simon Wendt geht nicht von einer Verurteilung aus. Zumindest seien sich Expert:innen einig, dass diese nach heutigem Stand relativ niedrig sei. "Trump wird vor allem wie in der Vergangenheit Verzögerungstaktiken einsetzen, um den Prozess in die Länge zu ziehen", schätzt er. Bis zu einem Urteil könnten so noch Jahre vergehen.
Viele Protestierende wollen Trump hinter Gittern sehen.Bild: FR171758 AP / Yuki Iwamura
Dass er am Ende dafür ins Gefängnis muss, damit rechnen die beiden USA-Experten nicht. Aber: Wahrscheinlich bleibt der anstehende Prozess in New York nicht das einzige Strafverfahren, dem sich Trump stellen muss.
Anklagen für den Sturm aufs Kapitol, versuchte Wahlmanipulation und die Entwendung von Geheimdokumenten könnten noch folgen. "Die Vorwürfe dort sind schwerwiegender und könnten unter Umständen tatsächlich eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen", sagt Wendt. Er stellt aber klar: Aktuell handelt es sich um reine Spekulation.
Sollte Trump für seine weiteren möglichen Vergehen angeklagt und verurteilt werden, wäre er nicht der erste Präsidentschaftskandidat, der einen Wahlkampf aus dem Gefängnis führt. 1920 versuchte es der Sozialist Eugene Debs – scheiterte aber. Greven traut Trump im Fall der Fälle ein ähnliches Selbstbewusstsein zu: "Er ist ein Egomane".
Sollte er so auch noch den Einzug ins Weiße Haus schaffen, wäre das mit einer gewissen Immunität verbunden. Und die Verschwörungserzählung für Trumps Anhänger:innenschaft wäre perfekt – dann dürfte, laut Greven, mit politischer Gewalt gerechnet werden. Der Nährboden für diese sei bereits jetzt vorhanden.
(Mit Material der dpa)