Flammen erhellen die Nacht. Eine Rauchwolke steigt zum Himmel auf. Sirenen läuten. Dazwischen immer wieder ein lautes Knallen. Es fallen offenbar Schüsse. Menschen schreien.
Diese Szene konnte die Welt am Samstagabend auf den sozialen Netzwerken verfolgen. Menschen vor Ort teilten zahlreiche Videos von dem Brand im Ewin-Gefängnis in der iranischen Hauptstadt Teheran. Was ist passiert und wie wirkt sich dieser Brand auf die Proteste im Land aus? Eine Zusammenfassung.
Am Samstag waren in der Haftanstalt mehrere Explosionen zu hören, wie Augenzeugen und Medien aus Teheran berichteten. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna sprach von einer Auseinandersetzung zwischen "Hooligans und Randalierern" mit den Gefängniswärtern.
Das Textillager der Anstalt sei in Brand gesteckt worden, hieß es weiter. Die Lage sei jedoch nach kurzer Zeit unter Kontrolle gebracht worden. Den iranischen Behörden zufolge seien acht Häftlinge getötet und 61 weitere Personen verletzt worden. Beobachter befürchten eine noch höhere Opferzahl.
Die Angaben der iranischen Behörden können nicht unabhängig überprüft werden.
Jannis Grimm zufolge ist es schwer, den Vorfall aufzuklären. "Es ist durchaus möglich, dass das Feuer durch die Insassen gelegt wurde", sagt der Politikwissenschaftler und Protestforscher von der Freien Universität Berlin gegenüber watson. Aus Widerstand könnte jemand durchaus eine Matratze in Brand gesetzt haben. Ebenso möglich ist aber auch, dass der Brand durch den Einsatz von Tränengas oder Schrotmunition gegen Gefängnisinsassen ausgelöst wurde.
Laut Grimm ist es aber egal, wer oder wie das Feuer gelegt wurde. Die Verantwortung liege in den Händen der Regierung.
Dass die staatlichen Gefängnisse zum Brennpunkt bei Protesten werden, ist laut dem Experten kein Einzelfall. Bereits vor wenigen Tagen war in einem Gefängnis im Nordiran eine Meuterei ausgebrochen, bei der ebenfalls Inhaftierte ums Leben gekommen waren.
Ähnliches habe sich Grimm zufolge auch 2011 bei den Protesten im Zuge des "Arabischen Frühlings" in Ägypten abgespielt. Auch die Angriffe auf das Foltergefängnis des ehemaligen Machthabers Muammar al-Gaddafi von Libyen seien ein Beispiel.
Grimm sagt dazu:
Denn im Ewin-Gefängnis sitzen nicht nur Schwerverbrecher, sondern vor allem auch Gegner:innen des Regimes. Hunderte politische Gefangene – darunter zahlreiche Frauen und Männer, die seit dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini auf die Straße gehen.
Das Ewin-Gefängnis ist ein bekanntes Gefängnis am nördlichen Stadtrand von Teheran. Es ist berüchtigt dafür, dass dort Regierungskritiker:innen inhaftiert sind – seien es Menschen aus dem politischen, juristischen, künstlerischen oder journalistischen Bereich. Wer die Stimme gegen das Regime erhebt, landet in einer der Zellen – aktuell gerade viele Demonstrant:innen, die die letzten vier Wochen auf die Straße gegangen sind. Aber auch Doppelstaatler:innen, die neben der iranischen auch eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen, ebenfalls.
Das Gefängnis steht immer wieder im Fokus von Menschenrechtsorganisationen. Sie kritisieren die gewaltsamen Foltermethoden und Misshandlungen sowie die mangelnde Transparenz darüber, was hinter diesen geschlossenen Mauern genau geschieht. Die USA haben das Gefängnis und seine Leitung im Mai 2018 wegen "ernster Menschenrechtsverletzungen" mit Sanktionen belegt.
Die Organisation "Iran Human Rights" berichtet auf Twitter, dass sich zahlreiche Menschen auf den Weg zum Gefängnis gemacht hätten – zu Fuß oder per Auto, wie das gepostete Video der Organisation zeigt.
Laut Grimm wurde auch auf die Angehörigen geschossen, die zu dem Gefängnis vordringen wollten. Das zeige die "moralische Verkommenheit des Regimes." Der Brand könne demnach noch mehr Frauen und Männer im Land für die Proteste mobilisieren. "Am Ende ist es egal, welche Geschichte wahr oder falsch ist. Fakt ist, die Menschen glauben der Regierung nicht mehr."
In Frankfurt am Main und in Berlin kamen noch am Samstagabend mehrere Menschen zu spontanen Demonstrationen zusammen. In der Hauptstadt versammelten sich nach Angaben der Polizei kleinere Menschengruppen vor dem Auswärtigen Amt und vor der iranischen Botschaft. Auch in Frankfurt versammelten sich am späten Abend spontan mehrere Menschen vor dem iranischen Generalkonsulat. Die Proteste verliefen friedlich und ruhig.
Die USA äußern sich besorgt über die dramatische Lage. "Wir verfolgen die Berichte aus dem Ewin-Gefängnis mit großer Dringlichkeit", schreibt der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, auf Twitter. "Iran trägt die volle Verantwortung für die Sicherheit unserer zu Unrecht inhaftierten Bürger, die unverzüglich freigelassen werden sollten."
Auch Außenministerin Annalena Baerbock meldet sich auf Twitter zu Wort. Ihr zufolge trage die Regierung Irans die Verantwortung für alle dort eingesperrten Menschen. Die deutsche Botschaft sei in ununterbrochenem Kontakt mit den Behörden. Auch müsse die Aufmerksamkeit auf die Gefangenen im Erwin-Gefängnis bestehen bleiben.
Wegen der Gewalt gegen Demonstrierende im Iran wollen die Außenminister:innen der Europäischen Union neue Sanktionen gegen das Land verhängen. "Das betrifft Akteure der sogenannten Sittenpolizei, aber das betrifft auch die anderen Verantwortlichen in dem Bereich", sagt Baerbock am Rande eines Treffens mit ihren EU-Kolleg:innen in Luxemburg.
Gegen sie sollen Einreiseverbote verhängt werden, zudem wird ihr Vermögen in der EU eingefroren. Auf der erweiterten Sanktionsliste stehen elf iranische Verantwortliche und vier Organisationen, darunter auch die Sittenpolizei. "Wenn dieses Regime weiter so auf seine Bevölkerung einschlägt, dann wird es weitere Sanktionen für die Verantwortlichen geben", betont Baerbock.
Für den Protestforscher Grimm ist der Brand im Ewin-Gefängnis ein "explosiver Moment", der noch mehr Öl ins Feuer gießt, sprich, die Proteste anheizt. In der Vergangenheit haben solche Vorfälle in den Gefängnissen mit politischen Insassen gezeigt, wie schnell ein totalitäres Regime die Kontrolle verlieren kann.
(Mit Material der dpa/afp)