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Influencer: Der Einfluss von Tiktokern und Youtubern auf die Politik wächst

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Immer mehr Influencer:innen politisieren sich und können damit Einfluss auf Wahlen nehmen. Bild: IMAGO/Westend61 / imago images
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Influencer: Der Einfluss von Tiktokern und Youtubern auf die Politik wächst

28.04.2023, 17:49
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"Fuck, ist das heftig", lauten die Worte des bekannten Youtubers Rezo in seinem politischen Video "Die Zerstörung der CDU". Darin deckte er 2019 unangenehme Fakten über die Christdemokrat: innen auf – kurz vor der Europawahl.

"Ich werde euch darin zeigen, wie die CDU-Leute lügen, (...) und sich augenscheinlich an verschiedenen Kriegsverbrechen beteiligen", verkündet Rezo am Anfang des Videos. Insbesondere kritisiert er die Unionspartei für ihre Klimapolitik. Damals löste er damit eine heftige Debatte aus.

Und: Die Union verlor stark an Zustimmung – vor allem unter den Jungwähler:innen.

Influencer nehmen immer mehr Einfluss auf die Politik

"Mit diesem Video hatte Rezo das Interesse für den möglichen Einfluss von Influencer:innen auf die Politik geweckt", sagt Politikwissenschaftlerin Katja Muñoz von der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik". Sie sitzt an einem großen Tisch, junge Menschen aus Deutschland und den USA lauschen ihr aufmerksam. Denn auch sie könnten die "Macht" haben, Politik zu beeinflussen – allein durch ihr Handy.

Youtuber Rezo sitzt während der Veranstaltung «Knackig kurz statt tiefgründig» im Rahmen des Tags der Bildung 2019« unter dem Motto «Bildung im digitalen Zeitalter» auf der Bühne. Die Podiumsdiskussio ...
Youtuber Rezo bewies: Influencer:innen können Wahlen beeinflussen. Bild: dpa / Henning Kaiser

Daher hat Muñoz sie für das Projekt "Deutsch-amerikanische Initiative zu Influencern, Desinformation und Demokratie im digitalen Zeitalter" nach Berlin eingeladen. Die sechzehn Influencer:innen haben durch ihren Content in den sozialen Medien eine beträchtliche Followerschaft aufgebaut. Zusammen erreichen sie etwa jeweils 1,5 Millionen Menschen auf Instagram und Tiktok.

Lifestyle, Sport, Finanzen, mentale Gesundheit und Bildung – aber keiner von ihnen bietet politische Inhalte an. Muñoz sagt dazu: "Ich wollte Influencer:innen ins Projekt holen, die überall anders tätig sind – denn sie bilden eben die Mehrheit, können aber auch politischen Einfluss nehmen."

A sign up page for the application TikTok is shown on a cell phone in front of a screen with logos for the company in Sydney, Tuesday, April 4, 2023. Australia had become the last of the Five Eyes sec ...
Tiktok ist ein beliebtes Videoportal, das vor allem junge Menschen nutzen.Bild: AP / Rick Rycroft

Beauty oder Sport: Influencer aus allen Nischen können politisieren

"Selbst wenn es nicht zu deiner Nische gehört, wenn du dich danach fühlst, etwas zu sagen: dann mach es", sagt einer der jungen Influencer:innen, worauf ein zustimmendes Nicken durch die Runde geht. Eine der US-amerikanischen Teilnehmende nennt ein Beispiel einer Influencerin aus Utah.

"Obwohl sie sehr konservativ ist und über Lifestyle postet, äußerte sie sich schockiert über die Welle an Abtreibungsverboten in den USA", sagt sie. Ihr Gegenüber sagt darauf: "Viele von uns wollen politisch aktiv sein, haben aber Angst, Follower:innen zu verlieren." Besonders die deutschen Influencer:innen in der Runde zeigen sich hier zurückhaltend.

Muñoz sagt dazu:

"Die deutschen teilnehmenden Influencer:innen fühlen sich eher nicht dazu hingezogen, eine politische Kampagne mit Politiker:innen oder einer Partei zu starten. Das zeigen mir die bisherigen Diskussionen mit ihnen. Allerdings ist es kein 'No-Go' für sie, mit einer Institution – also etwa mit Ministerien – zu arbeiten."

Aber solch eine Zusammenarbeit scheitere meistens am Geld. Sprich, an der Bezahlung für die Influencer:innen. Das sieht in den USA anders aus: Dort plant das Weiße Haus sogar einen eigenen Besprechungsraum für Influencer:innen.

DC: White House Press Secretary Karine Jean-Pierre White House Press Secretary Karine Jean-Pierre speaks during a press briefing in the James S. Brady Press Briefing Room, at the White House in Washin ...
Solch einen Presseraum soll es bald auch für Influencer:innen im Weißen Haus geben.Bild: IMAGO/Sipa USA

"Auf diesem Weg ist es der US-Regierung möglich, offensiv und strategisch mit ihnen zu kommunizieren", sagt Muñoz. US-Präsident Joe Biden hat bereits bei den Midterms im November auf die "Macht" der Influencer:innen gesetzt.

Bidens Strategieteam baut eine Armee aus Influencern auf

Laut des US-amerikanischen Nachrichtenportals "Axios" arbeitet das digitale Strategieteam von Biden mit Hunderten von Influencer:innen im ganzen Land zusammen, die für die Leistungen des 80-Jährigen im Oval Office werben. Damit sollen Wähler:innen im Alter von 18 bis 29 Jahren angelockt werden, die dem Weißen Haus oder der Demokratischen Partei auf verschiedenen Online-Plattformen noch nicht folgen.

Influencer:innen werden also in der bevorstehenden Präsidentschaftswahl 2024 in den USA eine große Rolle spielen, erklärt Muñoz. Laut einer der US-Amerikanerinnen in der Projektrunde steigt das politische Interesse bei jungen Menschen in den USA stark an. "Die Bewegungen wie 'Black Lives Matter' oder 'Pride Month' sind in den Staaten stärker politisiert als in Deutschland", meint die junge Frau, die seit einigen Jahren in Berlin lebt.

Das Vertrauen in Influencer ist hoch – auch bei politischen Themen

Ihrer Meinung nach setzen Menschen mehr Vertrauen in die Inhalte von Influencer:innen, als in Posts von Politiker:innen. "Denn oftmals fehlt hier einfach der Zugang zu ihnen", meint die junge Frau. Muñoz hakt sich ein und erklärt, woran das liegt.

Sie sagt:

"Influencer:innen bauen eine emotionale Nähe über einen langen Zeitraum mit ihrer Community auf. Es besteht also ein guter Zugang zu den Menschen. Das sieht bei den Parteien anders aus. Hier fehlt oftmals der direkte Kontakt."

Aber einige Politiker:innen springen laut Muñoz langsam auf den Zug auf und nutzen ihre sozialen Kanäle, um ihre Followerschaft in ihren Alltag mitzunehmen. Solche Inhalte weckten vor allem Interesse bei jungen Leuten. "Der oder die Politiker:in spiegelt dadurch mehr Authentizität wider und das kommt sehr gut an", meint die Expertin.

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Habeck entwickelt sich zum Influencer

So werden zunehmend auch Politiker:innen zu Influencer:innen. Als Beispiel nennt Muñoz etwa Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). "Er kommuniziert über seine Kanäle sehr transparent und authentisch, ohne Filter. Dabei nutzt er den Austausch mit der Community", erklärt sie.

So gibt er sich oftmals sehr offen vor der Kamera und gibt etwa zu, dass er mit dem Wäschewaschen überfordert sei und Müsli mit Wasser esse, weil er es nicht in den Supermarkt geschafft habe. Laut Muñoz sei in diesem Sinne auch der ehemalige US-Präsident Donald Trump ein Influencer.

Wenn Influencer Menschen politisch mobilisieren – wie Trump

"Auch Trump agiert als Influencer. Allerdings hat er sich das nicht durch kontinuierliches Posten von Inhalten aufgebaut – wie meine Teilnehmer am Projekt – sondern schlichtweg durch seinen 'Celebrity Status'", sagt Muñoz. Und Trump wisse: "Drama bringt Klicks", bringt eine der Influencer:innen am Tisch ein.

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Donald Trump gründete seine eigene soziale Plattform "Truth Social". Bild: IMAGO/ZUMA Wire / Taidgh Barron

Ihrer Meinung nach war Trump zu Beginn nicht so extrem auf den sozialen Medien unterwegs. Doch dann wollte er ein großes Publikum erreichen und wurde immer extremer. Damit habe er auch die Tür für die Verbreitung von Desinformationen weit aufgerissen.

Influencer müssen Teil der Diskussion werden

Und hier liege eine große Gefahr, die von allen Influencer:innen ausgehe, fügt Muñoz der Diskussion zu. "Sie können die Menschen für anti-demokratische Ziele mobilisieren", sagt sie. Daher sei es wichtig, die Schnittstelle von Politik und Social Media besser zu verstehen – und da gehören für sie Influencer:innen dazu.

Laut der Politikwissenschaftlerin politisieren sich Influencer:innen zunehmend und verbreiten immer mehr politische Inhalte. "Wir wollen sie jetzt nicht wie Versuchskaninchen studieren, sondern in die Lösung mit einbinden", sagt Muñoz.

Das heißt: Es ist wichtig, eine Diskussion zu starten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und zu verstehen, wie sie über ihren politischen Einfluss als Influencer:innen denken.

Hinweis zur Transparenz
Auf Wunsch der Projektleiterin Katja Muñoz wird die Anonymität der teilnehmenden Influencer:innen gewahrt.
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