Brasilien ist bekannt für seine Regenwälder und für den Karneval in Rio – weniger für eine vorbildhafte Politik. Korruption, Geldwäsche, Lügen – ein Fass ohne Boden. Jetzt schafft es ein Politiker vom Gefängnis zurück ganz hoch an die Spitze: Lula da Silva zeigt, was in Brasilien möglich ist.
580 Tage lang saß Lula wegen Korruption im Gefängnis. Nun ist er Brasiliens Präsident – zum dritten Mal. Der frühere Gewerkschafter Lula hatte Brasilien bereits von Anfang 2003 bis Ende 2010 regiert. "Der Wahlsieg wird von Lula und seinen Anhängern als Sieg der Demokratie über Autokratie und Rechtsextremismus gefeiert", sagt Anja Czymmeck auf Anfrage von watson. Sie leitet seit 2019 das Auslandsbüro Brasilien der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung.
Luiz Inácio "Lula" da Silva, von seinen Landsleuten schlicht Lula genannt, galt nach seiner Verurteilung als politisch tot. Auch wenn diese von Beginn an umstritten war. Trotz der Korruptionsskandale ist Lula wohl das geringere Übel im Vergleich zu seinem rechtsextremen Vorgänger Bolsonaro. Dieser ist bekannt für sein schlechtes Pandemiemanagement, das Abholzen des Regenwaldes, die Verherrlichung der Diktatur sowie frauenfeindliche und rassistische Aussagen.
Doch ist der 77-jährige Linkspopulist Lula den Herausforderungen gewachsen, die ihm jetzt nach der Wahl bevorstehen?
Czymmeck zufolge wird die größte Herausforderung Lulas sein, die brasilianische Gesellschaft zu vereinen und die Ernährungsunsicherheit zu bekämpfen. Unklar ist laut Czymmeck bisher auch, wie friedfertig und transparent die Amtsübergabe bis Anfang Januar ablaufen wird. Zudem stehe offen, ob Lula im mehrheitlich konservativ-rechten Parlament die erforderlichen Mehrheiten für seine Vorhaben erhalten werde.
Sie sagt dazu:
Doch vor allem die jungen Menschen setzen Czymmeck zufolge ihre Hoffnung auf Lula.
Die jungen Menschen des Landes erhoffen sich laut Czymmeck durch Lulas Antritt eine Steigerung ihrer Lebensqualität durch einen besseren Zugang zu Bildung und Arbeit. So sehe Lula in seinem Programm vor, die Integration von Berufseinsteigern, Frauen und Afrobrasilianern zu fördern.
Weitere Vorhaben Lulas sind laut der Expertin:
Mit all diesen Punkten konnte Lula laut Czymmeck bei den Jungwähler:innen punkten. Aber auch bei der ärmeren Bevölkerungsschichten Brasiliens erhält er deutlichen Rückenwind. Lula selbst stammt aus einer Landarbeiter:innenfamilie und hat sich bis zur Spitze hochgearbeitet. Nun hat er es erneut geschafft.
Mit 50,9 Prozent zu 49,1 Prozent hat Lula die Präsidentschaftsstichwahl für sich entschieden. Nun will er ein extrem gespaltenes Brasilien versöhnen. "Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren", sagt er in seiner ersten Rede nach der Wahl in São Paulo. "Es gibt keine zwei Brasilien, nur ein Volk." Der Moment sei gekommen, den Frieden wiederherzustellen.
Czymmeck zufolge hat die Präsidentschaftswahl offenbart, wie stark das Land, Freundeskreise und Familien gespalten sind. Dass Bolsonaro in 14 der 27 Bundesstaaten die meisten Stimmen erhielt, verdeutliche, dass die Angst vor wiederkehrender Korruption und einem Linksruck Brasiliens in konservativen Kreisen allgegenwärtig sei. Beim ersten Wahlgang lagen noch fünf Prozentpunkte zwischen den beiden Politikern, bei der Stichwahl war es knapp einer.
Für Lula, der die Minderheit im Kongress hat und somit auf die Verhandlung mit anderen politischen Kräften angewiesen ist, wird die Vereinigung der brasilianischen Gesellschaft laut Czymmeck eine zentrale Herausforderung seiner dritten Amtszeit sein. Sie sagt dazu:
Für die Expertin ist es noch unklar, ob das dem 77-Jährigen in seiner angekündigten letzten Amtszeit gelingen wird. Bereits nach der Verkündung des Wahlsieges kam es zu Unruhen.
Während die Unterstützer Lulas feierten, kam es zu ersten Protesten. Ein 27-jähriger Lula-Anhänger wurde bei Feiern in einem Lokal der Stadt Belo Horizonte erschossen. Zudem gab es vier Verletzte, wie örtliche Medien unter Berufung auf die Militärpolizei berichteten. In dem Lokal hatten sowohl Anhänger Lulas als auch Bolsonaros die Stimmenauszählung verfolgt. Offen blieb zunächst, ob die Tat einen politischen Hintergrund hat. Der alkoholisierte Schütze wurde festgenommen.
Seit der Lockerung der Waffengesetze in der Amtszeit Bolsonaros haben viele seiner Unterstützer ordentlich aufgerüstet. Einige Anhänger des Amtsinhabers forderten auch unverhohlen einen Militärputsch. Experten sehen dafür in Gesellschaft und den Streitkräften allerdings keine ausreichende Unterstützung. Doch klar ist: Das größte lateinamerikanische Land sieht unruhigen Zeiten entgegen.
Allerdings gibt es auch positive Zeichen.
Lula kündigt in seiner Siegesrede am Wahlabend an, Umweltverbrechen aktiver bekämpfen zu wollen, die Energiewende voranzutreiben und die nachhaltige Entwicklung im Einklang mit der lokalen Bevölkerung und Indigenen im Amazonas zu fördern.
"Unklar ist, ob er hierfür die notwendigen Eingeständnisse oder gar die Unterstützung in der Agrarlobby finden wird", meint Czymmeck. Hinzukommt, dass Lula darauf beharrt, dass die Regenwaldpolitik in erster Linie eine Frage der brasilianischen Souveränität sei. Czymmeck sagt weiter:
Sein Vorgänger Bolsonaro hat während seiner Amtszeit Umweltschutzmaßnahmen gelockert. Dies führte zur zunehmenden Abholzung des Amazongebietes sowie die Duldung des illegalen Abbaus von Bodenschätzen und illegaler Fischerei. Ob Lula dem entgegenwirken kann, wird sich zeigen. Auch in Bezug auf die Wirtschaft verfolgt er große Ziele.
Laut Czymmeck will Lula Brasilien im internationalen Handel als wettbewerbsfähigen Akteur etablieren. "Neben der Sicherung der Ernährungssicherheit und Rohstoffexporte soll auch die Reindustrialisierung des Landes angestoßen werden", sagt die Expertin. Dadurch soll Brasilien unabhängiger von Importen werden.
Mit Blick auf die internationale Friedenssicherung werde Brasilien an seiner neutralen Position im Ukraine-Krieg festhalten und pragmatische Beziehungen zu Russland und China pflegen. Abzuwarten bleibt laut Czymmeck, ob Lula das strategische Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosul tatsächlich wie angekündigt neu verhandeln wird.
Lula macht eines in seiner Rede am Wahlabend deutlich, er will Brasilien zurück auf die Weltbühne bringen. Es sei zu groß, um zum Paria der Welt herabgestuft zu werden.
(Mit Material der dpa/afp)