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Ramadan: Nahostkonflikt droht im Fastenmonat weiter zu eskalieren

19.03.2023, Palästinensische Gebiete, Gaza: Eine Person steht im Rauch und hält eine palästinensische Flagge in der Hand. Palästinenser zündeten Gummireifen an, um ihren Unmut gegenüber des Gipfels zw ...
Am 21. März beginnt der heilige Fastenmonat Ramadan für alle muslimischen Gläubigen. Wird dieser den Nahostkonflikt weiter anheizen? Bild: TheNEWS2 via ZUMA Press Wire / Saher Elghorra
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Nahostkonflikt: Vor Beginn des Ramadan wächst die Sorge vor einer weiteren Eskalation

20.03.2023, 18:2220.03.2023, 18:23
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Tödliche Anschläge auf israelische Soldat:innen. Ein israelischer Mob, der eine palästinensische Siedlung verwüstet und dabei Menschen tötet. Massenproteste gegen die umstrittene Justizreform der israelischen Regierung. Der Nahostkonflikt brodelt.

In dieser bereits aufgeheizten Lage beginnt der Ramadan am 21. März – der heilige Fastenmonat, eine der Säulen des Islams. Womöglich könnte dieser ein großer Funke im Pulverfass Nahostkonflikt werden.

03.03.2023, Palästinensische Gebiete, Huwara: Israelische Sicherheitskräfte und Demonstranten geraten bei einem von Aktivisten aus Israel und Palästina organisierten Marsch nach Huwara, um Solidarität ...
Israelische Sicherheitskräfte und Demonstranten geraten bei Protesten nahe Huwara aneinander.Bild: dpa / Ilia Yefimovich

In der Vergangenheit kam es vor allem während des Ramadans immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den verfeindenden Lagern. Der Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina droht zu eskalieren, warnen Expert:innen, so auch Mohammed Abu-Nimer.

Als Professor lehrt er "Friedens- und Konfliktforschung" an der American University in Washington, D.C. in den USA. "Die Eskalation hat ein hohes Niveau erreicht, das im israelisch-palästinensischen Konflikt seit Jahren nicht mehr gesehen wurde", sagt er im Gespräch mit watson. Er zieht die israelische Regierung in die Verantwortung.

Experte: Israelische Gewalt wirft Palästina in Überlebensmodus

Die neue Art der Gewalt, die von den israelisch-jüdischen Siedler:innen des rechten Flügels ausgeht, erhöht laut Abu-Nimer das Spannungsniveau auf ein extrem neues Level. "Der Konflikt wirft die Palästinenser:innen vor Ort in einen Überlebensmodus", meint er. Der Politikwissenschaftler berichtet von den Sorgen einer palästinensischen Mutter:

"Heute hat sich eine palästinensische Frau telefonisch bei mir beschwert, dass sie ihre Kinder nicht auf die Straße lassen kann. Sie hat Angst, dass die Siedler ihren Sohn entführen oder töten, wie sie es in Nablus getan haben."

Die Angst vor der Gewalt Israels sei real, meint Abu-Nimer. Gerade jetzt, in der ohnehin schon angespannten Lage, müsse die israelische Regierung deeskalierende Maßnahmen für den Ramadan durchführen. "Je mehr Einschränkungen das israelische Militär und die Siedler der palästinensischen Mobilität auferlegen, desto wütender und frustrierter werden die Palästinenser – sowohl Muslime als auch Christen – sein", erklärt er.

May 6, 2021, Bethlehem, West Bank, Palestinian Territory: Palestinians wait at the Bethlehem checkpoint in the Israeli-occupied West Bank, to try crossing to Jerusalem to attend the last Friday prayer ...
Palästinenser:innen warten am Kontrollpunkt von Bethlehem im israelisch besetzten Westjordanland.Bild: imago images/ZUMA Wire / Mosab Shawer

Ramadan: Kein Monat der Gewalt oder des Blutes

Der Ramadan sei ein heiliger Monat des Gebets und der spirituellen Reflexionen. Für Angehörige muslimischen Glaubens ist es ein Monat der gelebten Gemeinschaft und der familiären Solidarität. "Es ist kein Monat der Gewalt oder des Blutes", sagt Abu-Nimer. Muslime wollen Zugang zu ihren heiligen Stätten, um zu beten. Auch sollten sie einander besuchen dürfen, um Ramadan zu feiern, meint der Konfliktforscher.

Für ihn ist klar: Das Problem liegt nicht im Ramadan, sondern in der Sperrung der Durchgänge zu den heiligen Stätten. Menschen würden daran gehindert, ihre Religionsfreiheit auszuleben. Damit raube man ihnen das Recht auf Religionsausübung. Der Politikwissenschaftler Patrick James schätzt das Konfliktpotenzial für einen großen Aufstand zum Ramadan hingegen als gering ein.

Pulverfass Nahostkonflikt: Auswirkungen auf die Region

Es würde Palästinenser:innen unnütz Leben kosten, aber kaum ihre Lage verbessern. Stattdessen rechnet James, Professor für internationale Beziehungen an der University of Southern California, eher mit symbolischen Aktionen seitens Palästinas zum Ramadan. Großes Potenzial für eine Eskalation des Konfliktes in der Region sehe er nicht. Auf watson-Anfrage sagt er:

"Der Grund dafür ist, dass die Koalitionen im Nahen Osten jetzt grundlegend anders sind. Die Reaktionen auf eine neue Intifada [Anm.d.Red.: palästinensische Aufstände gegen Israel] würden in der arabischen Welt wohl größtenteils negativ ausfallen."

Denn es gebe "per se keinen 'arabisch-israelischen' Konflikt" mehr, meint James. Stattdessen liege der Hauptfokus auf dem Iran. Um sich gegen die iranischen Interessen in der Region zu stellen, hat sich laut James eine "surreale Zweckkoalition" aus etwa Israel, Ägypten und Saudi-Arabien gebildet. Diese wird von außen von den USA unterstützt.

Abraham-Abkommen isoliert Palästinser

"Solange das Abraham-Abkommen intakt bleibt, werden die Palästinenser ziemlich isoliert bleiben", meint James. Die Abraham-Abkommen wurden 2021 zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain unterzeichnet. Später folgten Abkommen mit Marokko und dem Sudan.

Abu-Nimer sieht das offenbar kritischer. Für den Experten war der palästinensisch-israelische Konflikt schon immer ein Auslöser für eine breitere Gewalt in der Region. Er sagt:

"Der Nahostkonflikt kann sich auf das Verhalten des Libanons, Jordaniens und anderer arabischer Länder auswirken. Die angespannte Situation spielt auch gewaltbereiten extremistischen Gruppen wie ISIS und Al-Qaida in die Hände. Sie haben den Konflikt bereits benutzt, um Angriffe an anderen Orten zu rechtfertigen."

Laut Abu-Nimer ist der Nahostkonflikt und seine Auswirkungen nicht zu unterschätzen. Ihm zufolge stacheln vor allem israelische Siedler:innen zur Gewalt auf und riskieren damit eine Eskalation des Konflikts. "Die Ausweitung von Siedlungen und die Beschlagnahme von palästinensischem Land ist die Hauptursache für Gewalt und Eskalation", sagt er.

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Junge Palästinenser greifen zur Waffe und schüren Gewalt

So eindimensional betrachtet der deutsch-israelische Psychologe Ahmad Mansour den Konflikt nicht. In einem früheren Gespräch mit watson warnt er etwa vor einer zunehmenden Radikalisierung unter den Jugendlichen – und zwar auf israelischer sowie palästinensischer Seite.

Die junge Generation zelebriere in beiden Lagern ihre Gewalt, Emotionen sowie Opferrolle. Vor allem die Palästinenser:innen verlagerten ihre Propaganda auf die sozialen Medien und gäben dadurch lösungsorientierten Stimmen keine Chance. Auf den bevorstehenden Ramadan blickt Mansour besorgt. Er habe das Gefühl, dass eine Eskalation unvermeidbar geworden ist.

Laut "Spiegel" greifen mehr und mehr palästinensische Jugendliche in den besetzten Gebieten zu den Waffen. Dem Bericht zufolge gibt es neue Milizen, deren Mitglieder gerade mal volljährig sind. Sie gehören nicht dem islamischen Dschihad an, auch nicht der Hamas oder Fatah. Sie sollen sich "Brigaden" nennen. Zudem erhält eine Truppe aus Nablus zunehmend internationale Aufmerksamkeit: "Arin al-Usud", die Höhle der Löwen.

May 8, 2021, Khan Yunis, Gaza Strip, Palestinian Territory: Palestinians demonstrate along the Israel-Gaza border, east of Khan Yunis town in the southern Gaza Strip on May 8, 2021. - Israel braced fo ...
Junge Palästinenser legen sich mit israelischen Sicherheitskräften an. Bild: imago images/ZUMA Wire / Ashraf Amra

Im Westjordanland schaukeln sich demnach die rechtsradikale Regierung Benjamin Netanyahus und junge Palästinenser:innen gegenseitig hoch. Doch wie könnte einer Zuspitzung des Konflikts entgegengewirkt werden? Laut Politikwissenschaftler James gibt es darauf keine ermutigende Antwort.

Klare Forderung an internationale Gemeinschaft

"Die Konfrontation wird wohl anhalten, solange die Siedlungen bestehen", sagt er. Seiner Meinung nach wird sich in naher Zukunft nichts Positives in der Region entwickeln. Abu-Nimer hegt hingegen Hoffnung und fordert einen klaren Schritt der Weltgemeinschaft.

"In diesen Gebieten müssen Streitkräfte der Vereinten Nationen stationiert werden, um eine weitere Eskalation zu verhindern", fordert er. Ein sofortiger Schutz der Palästinenser:innen in den besetzten Gebieten sei erforderlich.

A Palestinian man throws a stone at Israeli settlers and an Israeli soldier during clashes in Huwara, near the West Bank town of Nablus, Thursday, Oct. 13, 2022. (AP Photo/Majdi Mohammed)
Ein Palästinenser wirft bei Zusammenstößen einen Stein auf israelische Siedler und einen israelischen Soldaten.Bild: AP / Majdi Mohammed

Zudem müsse die israelische Regierung für ihre Unterstützung der "faschistischen und rassistischen Minister" sanktioniert werden. Damit meint er die rechtsextremen Politiker Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich. Mit Unterstützung von Netanjahu führen sie die radikale Kampagne gegen Palästina an.

Abu-Nimer führt weiter aus: Die internationale Gemeinschaft sollte israelische Regierungsbeamte boykottieren und zur Rechenschaft ziehen. Maßnahmen, die von oder gegenüber Palästina ergriffen werden könnten – dazu bringt Abu-Nimer keine Vorschläge.

Belarus geht gegen Homosexuelle vor und eifert Russland nach

Aus seiner homophoben Einstellung macht der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, schon lange keinen Hehl mehr. Bereits in den frühen 2010er Jahren machte der belarussische Machthaber mit schwulenfeindlichen Aussagen Negativschlagzeilen. So richtete er etwa an den früheren Bundesaußenminister Guido Westerwelle die Bemerkung "lieber Diktator als schwul".

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