Putin hat sein Netz gespannt, über viele Jahrzehnte hinweg.
Ein Überblick über Freunde, Unterwanderung, Manipulationen, Militär, Wirtschaft und Staatsmedien:
Russlands Freundesliste ist vor allem seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine ziemlich kurz. Insgesamt hegen die wenigsten Länder eine tiefe Freundschaft zum Kreml. Öfter aber gibt es wirtschaftliche oder militärische Abhängigkeiten. Vor allem zu autoritär geführten Staaten hat Russland ein enges Verhältnis.
Das lässt sich anhand eines aktuellen Beispiels leicht aufzeigen:
Bei der UN-Vollversammlung wurde eine Resolution diskutiert, die den Angriff auf die Ukraine missbilligen sollte. Lediglich vier Staaten haben Russland dort den Rücken gestärkt: Belarus, Syrien, Eritrea und Nordkorea haben gegen die UN-Resolution gestimmt. Selbst der langjährige Putin-Freund und Staatschef des kommunistischen Chinas, Xi Jinping, zeigt sich besorgt wegen der Lage in der Ukraine – offene Kritik übt er allerdings noch immer nicht.
Die Länder, die gegen die UN-Resolution gestimmt haben, unterhalten enge Beziehungen zu Putin – und sind alle abhängig von ihm:
Es sind nicht bloß öffentliche Freundschaften und Abhängigkeiten der Regierungen anderer Länder mit Russland, die den Einflussbereich des Kremls stärken. Russland unterhält viele Kontakte zu rechten, teils rechtsextremen Personen und Parteien in ganz Europa.
In Deutschland etwa zum rechtspopulistischen Publizisten Jürgen Elsässer, wie "Spiegel"-Redakteur und Buchautor Benjamin Bidder in einem Beitrag für die Bundeszentrale für Politische Bildung schreibt. Sein Buch "Generation Putin – Das neue Russland verstehen" ist 2016 erschienen.
Laut Bidder hatten die russischen Politikerinnen Olga Batalina und Jelena Misulina – beide sitzen für die rechte Partei Einiges Russland im Parlament – schon 2013 eine Konferenz des von Elsässer geleiteten Magazins "Compact" in Berlin besucht. Ein Jahr darauf begrüßte "Compact" sogar Wladimir Jakunin, der zum inneren Zirkel um Präsident Putin zählt.
Auch zur rechtspopulistischen AfD in Deutschland gibt es laut Bidder Beziehungen. Der brandenburgische Landesvorsitzende und ehemalige Fraktionschef im Bundestag Alexander Gauland war Bidder zufolge und laut der "FAZ" mehrfach zu politischen Gesprächen in Moskau. Unter anderem traf er etwa 2015 in St. Petersburg den von Experten als Neofaschisten eingestuften russischen Politiker Alexander Dugin und einen persönlichen Referenten Putins. Bezahlt wurden diese Reisen offenbar von den russischen Gastgebern.
Den von Russland angezettelten, finanzierten und unterstützten Krieg in der Ostukraine, mitsamt der völkerrechtswidrigen Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim, verharmloste Gauland in einem Interview mit dem "Handelsblatt" als "Einsammeln russischer Erde".
Der ehemalige nordrhein-westfälische AfD-Landeschef und heute parteilose Marcus Pretzell reiste auf Kosten der russischen Veranstalter zu einer Konferenz auf die annektierte Halbinsel Krim – die völkerrechtlich weiterhin zur Ukraine gehört.
Informationen des "Spiegel" zufolge ist die AfD-Jugendorganisation JA ein offizielles Bündnis mit der "Jungen Garde" von Putins Partei "Einiges Russland" eingegangen.
Auch in Frankreich zog Putin bereits die Strippen. Die rechtspopulistische Politikerin Marine Le Pen, die bei der Präsidentschaftswahl 2017 für die Partei Front National kandidierte, hatte kurz vor der Wahl freundschaftliche Kontakte zu ihm: Kurz vor dem ersten Wahlgang empfing sie Putin in Moskau.
Matteo Salvini, der Frontmann der italienischen rechtspopulistische Partei Lega, war allein 2015 viermal in Moskau. Auf dem Roten Platz posierte er in einem T-Shirt, auf dem ein Foto von Wladimir Putin in Kampfflieger-Montur zu sehen war. In sozialen Medien positionierte sich Salvini immer wieder auf der Seite Putins.
Vor der Präsidentschaftswahl in Russland 2018 etwa postete er ein Bild von sich und Putin und schrieb: "Ich hoffe, dass die Russen morgen Präsident Putin, einen der besten Politiker unserer Zeit, wiederwählen und dass alle das demokratische Votum der Bürger respektieren."
In Österreich reichen die Kontakte sogar bis hin zu offiziellen Bündnissen: Die FPÖ (rechtspopulistisch) hat 2016 ein förmliches, über fünf Jahre andauerndes Kooperationsabkommen mit Einiges Russland unterzeichnet.
Auch in Griechenland sind die Rechtspopulisten mit Putin in Kontakt: Der Chef der griechischen Rechtspopulisten Panos Kammenos (der von 2015 bis 2019 Minister in der Koalition mit dem linken Ministerpräsidenten Alexis Tsipras war) unterhält enge Kontakte sowohl mit dem rechtsextremen Universitätsprofessor Dugin als auch mit dem russischen Oligarchen Konstantin Malofejew, wie "Zeit Online" unter Verweis auf gehackte E-Mails berichtete.
Russland hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit verschiedenen Hacker-Tätigkeiten und Desinformationskampagnen über soziale Medien in die Schlagzeilen der Weltpresse manövriert.
Dass sich der Kreml über Desinformationskampagnen im Jahr 2016 in die US-Wahlen eingemischt hat, gilt mittlerweile als sicher. Damit gilt auch als relativ sicher, dass der Kreml zumindest mitverantwortlich für den Sieg Donald Trumps ist. Auch 2020 soll Putin versucht haben, Trumps Wiederwahl zu sichern.
Doch nicht nur das: Vor der Bundestagswahl 2017 in Deutschland veröffentlichten russische Staatssender gezielt Desinformation, um Stimmung gegen Geflüchtete zu machen. Unter anderem die AfD verbreitete solche Falschnachrichten weiter. Der bekannteste Fall war zu dieser Zeit die Falschbehauptung, ein 13-jähriges russisch-deutsches Mädchen sei durch drei Geflüchtete entführt und vergewaltigt worden. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass auch solche Desinformationskampagnen dazu beigetragen haben könnten, dass die AfD 2017 so schnell so viele Anhänger fand.
Auch in Großbritannien gehen Experten davon aus, dass die Einmischung russischer Hacker in politische Entscheidungen schon zur Normalität gehören – etwa 2016, bei der Volksabstimmung über den Brexit, den Austritt aus der Europäischen Union.
Laut dem Militär-Experten Niklas Masuhr gibt es verschiedene Ebenen der Militarisierung und des russisch-militärischen Einflusses auf der Welt. Er unterscheidet, grob gesagt, zwischen aktiven Einsätzen des russischen Militärs, Paramilitärs – also privat-politischen Kräften wie Söldner – und der niedrigsten Stufe: politische Berater.
Masuhr ist Analyst beim Züricher Zentrum für Sicherheitsstudien. Als Mitglied des Global Security Teams forscht er dort zu zeitgenössischen Konflikten.
Politische Berater werden laut Masuhr eingesetzt, um etwa autokratische Präsidenten zu stützen. Eine häufig verwendete Umschreibung ist hier "Political Technologist".
Auf der anderen Seite gibt es – vor allem in afrikanischen Ländern – Russen, die in Verhandlungen zwischen der Regierung und gewissen lokalen Milizen vermitteln, wie in der Zentralafrikanischen Republik.
Diese Privatleute greifen in Wahlen ein und beraten Autokraten, um sie vor Bestrebungen nach einer Demokratie zu schützen. Ihre Motivation ist zumeist finanziell begründet, allerdings geht es laut Masuhr auch darum, sich mit dem Kreml gut zu stellen. Auch, wenn die russische Regierung die Maßnahmen dieser Berater, die auch Söldner bezahlen, nicht aktiv forciert.
Wladimir Putin hat sich bisher einmal im Jahr mit deutschen Spitzenmanagerinnen und Spitzenmanagern getroffen, seinen "Freunden" in der Wirtschaft. Zu ihnen gehört Unternehmer Clemens Tönnies, ehemaliger Chef des Fußballklubs Schalke 04. Er fädelte unter anderem die viel kritisierte Partnerschaft des Klubs mit dem russischen Gaskonzern Gazprom ein. Russland stellte neben China für sein Fleischunternehmen Tönnies lange den wichtigsten Exportmarkt dar.
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine steht Tönnies allerdings mächtig unter Druck. Vor gut einer Woche meinte er dann in einem Interview mit dem "Handelsblatt", er habe sich in Putin getäuscht.
Wirtschaftliche Beziehungen hat Russland vor allem über die meist staatseigenen Gaskonzerne, wie beispielsweise Gazprom. Viele Unternehmen weltweit haben Anteile daran. Auch der deutsche Chemieriese und DAX-Konzern BASF hatte über seine Beteiligung Wintershall Dea über Ecken finanzielle Interessen an dem Gazprom-Projekt Nord Stream 2. Diese Beziehungen werden allerdings wohl nach und nach gekappt.
Der russische Geheimdienst hat Tradition – und er wird verehrt, sogar jährlich mit einer Zeremonie gefeiert. Bereits in sowjetischen Zeiten war der damals KGB genannte Dienst sehr einflussreich. Präsident Putin selbst ist ausgebildeter KGB-Agent.
Auch mit dieser Tradition haben die heutigen Dienste nicht gebrochen. Aus dem KGB wurden allerdings drei neue Organisationen: der FSB, der SVR und der GRU. Sie alle sind für unterschiedliche Bereiche zuständig, etwa für außen- oder innenpolitische Angelegenheiten.
Auch aus Sowjetzeiten – und längst nicht mehr existent – ist die russische Geheimpolizei NKWD. Noch heute stehen in den russischen Strafkolonien Gedenksteine, die dem NKWD huldigen: Hammer und Sichel, Schild und Schwert sind darauf abgebildet, die Zeichen des NKWD. Diese Geheimpolizei ist für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich.
Tatsächlich haben Ehemalige des sowjetischen Geheimdienstes heute in Russland Schlüsselpositionen inne: etwa im Management der staatlich kontrollierten Gas- und Ölkonzerne.
Überläufer – wie der Ex-Geheimdienstler Sergej Skripal, der mit seiner Tochter in Großbritannien mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet wurde – stehen hingegen auf der Abschussliste. Für solche Fälle ist dann der GRU zuständig, der militärische Nachrichtendienst Russlands.
Die russische Regierung streitet bis heute Verbindungen russischer Geheimdienste in den Mordanschlag auf Skripal und seine Tochter ab. Dasselbe gilt für den Nowitschok-Anschlag auf den Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyj und in allen anderen Fällen.
Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen schätzt die Freiheit der Presse in Russland seit Jahren als schlecht ein. In der Rangliste der Pressefreiheit belegt das Land Platz 150 von 180.
Putin nutzt nicht nur innerhalb seiner Landesgrenzen Medien, um gezielt Informationen und Formulierungen der Regierung in der Bevölkerung zu platzieren – auch die Ableger des russischen Staatssenders RT dienen dem gleichen Zweck.
In der Berichterstattung rund um den Fall Nawalny wird besonders die russische Sichtweise auf Themen in der Berichterstattung von RT in anderen Ländern, wie Deutschland, deutlich. Es gibt Vorwürfe, der Kreml würde gezielt Einfluss auf das Programm nehmen und damit eine politische Agenda in anderen Ländern verfolgen.
Christoph Neuberger ist Kommunikationswissenschaftler an der Freien Universität Berlin und sagt im Gespräch mit der "Frankfurter Rundschau": Das Ziel des Angebots von RT DE in Deutschland sei "die Destabilisierung westlicher Demokratien durch das Schüren von Konflikten, durch Kritik an ihren politischen Institutionen und Negativmeldungen über die Lage in diesen Ländern".
Der deutsche Verfassungsschutz schreibt in seinem Jahresbericht 2018, der Sender RT sei in der deutschen Öffentlichkeit einer der wichtigsten Akteure, was das Verschleiern und die subtile Beeinflussung durch russische Staatsmedien angeht. Das weist RT zurück.
RT hat im deutschen Linearen Fernsehen Sendeverbot. Allerdings ist das Angebot weiterhin über soziale Medien und über dessen Website erreichbar.