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Geflüchtete mit psychischer Erkrankung leiden wegen Versorgungslücken

Rahmani, who has been experiencing anxiety and depression since the Trump administration cut federal funding for refugee programs, rubs his eyes while sitting in his apartment in Laurel, Md., Monday,  ...
Geflüchtete bekommen oft nicht die Hilfe, die sie bräuchten.Bild: AP / Jessie Wardarski
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Wie psychisch erkrankte Geflüchtete vom Staat im Stich gelassen werden

Menschen mit psychischen Erkrankungen stehen vor vielen Herausforderungen. Es ist schwer, einen Therapieplatz zu finden, hinzu kommt die Stigmatisierung. Auf der Suche nach Hilfe erfahren Geflüchtete noch mehr Hindernisse.
17.07.2025, 08:1017.07.2025, 08:10
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Wer psychisch erkrankt ist und dringend Hilfe braucht, befindet sich in einem Vakuum. Es mangelt praktisch an allem: Therapieplätzen, Psychiater:innen, Verständnis. Ein schier hoffnungsloser Zustand, der sich noch potenziert, wenn die betroffene Person gleichzeitig Geflüchtete:r ist.

Dabei gibt es gerade in dieser Bevölkerungsgruppe eine hohe Zahl an Menschen mit psychischen Belastungen. Eine Auswertung von 31 Studien ergibt, dass rund 30 Prozent der Geflüchteten Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und rund 40 Prozent die einer Depression zeigen.

Der Anteil derjenigen, die Unterstützung bekommen, ist verschwindend gering. Laut BAfF konnten die psychosozialen Zentren 2023 nur 3,3 Prozent des Versorgungsbedarfs abdecken.

Das deckt sich ungefähr mit den Erfahrungen von Psychiater Ingo Schäfer. Er leitet das Centra, ein Zentrum für traumatisierte Geflüchtete in Hamburg.

Psychiater Dr. Ingo Schäfer arbeitet bei Centra mit Geflüchteten.
Psychiater Dr. Ingo Schäfer arbeitet bei Centra mit Geflüchteten.Bild: privat

Ungefähr 500 Menschen kann Centra jedes Jahr beraten und behandeln. Hier bekommen sie eine erste Einschätzung und Diagnostik, und, soweit es möglich ist, eine Stabilisierung.

Psychotherapie bietet Centra ebenfalls an, auch wenn diese nur einen kleinen Teil der Arbeit ausmacht. Einen Großteil der Betroffenen versucht das Team weiterzuvermitteln. "Das gelingt uns ganz oft nicht", sagt Schäfer im Gespräch mit watson. Bei Centra weiß man daher genau, wie schwer es etwa ist, einen Therapieplatz zu finden.

Die Gründe für die schlechte Versorgungslage von Geflüchteten sind vielfältig – und strukturell. Sie beginnen bei der rechtlichen Lage und hören beim allgemein überlasteten Gesundheitssystem auf.

Geflüchtete haben keinen Anspruch auf Psychotherapie

Wer in Deutschland Asyl sucht, ist erst einmal nicht gesetzlich krankenversichert. Welche Gesundheitsleistungen Geflüchtete in Anspruch nehmen können, regelt das Asylbewerberleistungsgesetz. "Eine Psychotherapie gehört nicht dazu – obwohl diese bei der hohen Zahl psychisch belasteter Geflüchteter eigentlich besonders wichtig wäre", kritisiert Schäfer.

Drei Jahre lang – die Ampel-Regierung hatte den Zeitraum von 18 auf 36 Monate erhöht – werden Geflüchtete nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen behandelt.

Es sei nicht ausgeschlossen, dass auf dieser Basis Psychotherapien bewilligt werden. "Es bleibt aber Interpretationssache, inwieweit ein akuter Zustand vorliegt", wendet der Psychiater ein. "Das führt zu erheblichen Versorgungslücken."

Hinzu kommt: Die Suche nach einem Therapieplatz ist für Geflüchtete noch einmal schwieriger, als sie es für Menschen mit psychischen Erkrankungen ohnehin schon ist. Viele haben keinen gesicherten Aufenthalt, benötigen zusätzlich Unterstützung durch Sozialarbeiter:innen oder medizinische Atteste und Stellungnahmen. Schäfer betont:

"Geflüchtete gelten daher für viele niedergelassene Therapeuten als besonders 'unattraktive' Patientengruppe. Entsprechend werden sie auch von der Versorgung ausgeschlossen."

Psychosozialen Zentren wurden massiv Mittel gekürzt

Das ist der Punkt, an dem die psychosozialen Zentren einspringen. Diese können die Versorgungslücken "notdürftig, aber zumindest teilweise" schließen. Für die psychische Gesundheitsversorgung spielen sie daher eine essenzielle Rolle, sie kämpfen jedoch mit ihrer Finanzierung, die nicht langfristig gesichert ist.

Sie setzt sich aus verschiedenen Quellen zusammen: aus Spenden, Bundesmitteln, teilweise zahlen auch Länder oder Kommunen einen Teil dazu. Die im Haushalt für die Unterstützung der psychosozialen Zentren vorgesehenen Bundesmittel sind in diesem Jahr drastisch gekürzt worden – von etwa 13 auf rund sieben Millionen Euro.

"Im Moment kämpfen wir auf vielen Ebenen gegen Verschlechterungen", resümiert Schäfer.

Die Verschlechterungen sind nicht nur bei der (psychischen) Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden zu sehen, der Ton ihnen gegenüber hat sich massiv verschärft. Die Regierung lässt rechtswidrige Zurückweisungen an den Grenzen durchführen; hat den Familiennachzug für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus für zwei Jahre ausgesetzt.

Dabei ist längst klar, dass nicht nur die Belastungen, denen die Menschen ausgesetzt waren, sich auf die psychische Gesundheit auswirken. "Es gibt auch viele Menschen, die erst in Deutschland wirklich krank werden", sagt Leo Teigler vom Dachverband der Psychosozialen Zentren im Interview mit der "Taz". Dafür macht Teigler auch die politische Situation in Deutschland mitverantwortlich, in der "sehr viel mehr Diskriminierung und rassistische Gewalt stattfindet".

In den Gemeinschaftsunterkünften mangelt es außerdem an Privatsphäre, die Menschen werden vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und sind von ihren Familien getrennt – Lebensumstände, die die psychische Gesundheit Expert:innen zufolge negativ beeinträchtigen. Laut DGPPN steigt dadurch auch das Gewaltrisiko.

Geflüchtet und psychisch krank: Doppelte Stigmatisierung

Ein Thema, auf das konservative und rechte Politiker:innen – natürlich – aufspringen. Nach den Messerangriffen von Aschaffenburg und Hamburg diskutiert man eine Gefahr durch psychisch Kranke und psychisch kranke Geflüchtete. Ein CDU-Vorschlag für ein Register löste breite Empörung aus.

Dabei sind psychisch Erkrankte als Gesamtgruppe nicht gewalttätiger als Menschen ohne psychische Erkrankungen, schreibt die DGPPN in einer Mitteilung. Ein erhöhtes Gewaltrisiko gebe es lediglich bei bestimmten Erkrankungen. Aus den genannten Gründen erkranken Geflüchtete gegenüber der restlichen Bevölkerung psychisch häufiger.

"Hier treffen zwei Aspekte aufeinander, die jeweils für sich schon mit Stigmatisierung verbunden sind – in ihrer Kombination umso mehr", sagt der Psychiater Ingo Schäfer zu watson. Geflüchtete mit psychischen Erkrankungen haben es doppelt schwer.

Den Umgang mit ihnen kritisiert er scharf:

"Eine potenzielle Gefährdung durch Geflüchtete über ihre Versorgung zu stellen, ist obszön. Diese Haltung ist auch politischem Kalkül geschuldet, denn damit lassen sich leicht Stimmen gewinnen. Geflüchtete Menschen werden dabei zu idealen Sündenböcken für gesellschaftliche Probleme gemacht."

Deutschland setzt EU-Richtlinie nicht vollständig um

Stattdessen müsste ihre Situation verbessert werden. Laut Schäfer wäre etwa die Finanzierung von Sprachmittlungsleistungen, also zum Beispiel Dolmetscher:innen, ein "überfälliger" Schritt. Auch ein Screening mit der richtigen Perspektive hält er für sinnvoll, wenn es also darum geht, dass die Betroffenen die entsprechende Versorgung bekommen.

Ein Screening bedeutet, dass Geflüchtete bei Ankunft in Deutschland auf psychische Erkrankungen hin untersucht werden. Die EU-Aufnahmerichtlinie und die Screening-Verordnung sehen das vor, eine Recherche von "Correctiv" zeigt aber, dass das bisher kaum passiert. Die Verordnung muss erst 2026 umgesetzt werden.

Dabei kann das Screening auch hilfreich sein, um frühzeitig einen Schutzbedarf zu erkennen, der beispielsweise zu besonderer Unterstützung im Asylverfahren berechtigt. "Wenn wir den Schutzbedarf nicht systematisch erfassen, nehmen wir bewusst in Kauf, dass ein großer Teil der Betroffenen nicht adäquat versorgt wird – und ihnen der Zugang zu ihren Rechten verwehrt bleibt", sagt Schäfer.

Psychiater Ingo Schäfer und sein Team von Centra kämpfen derweil weiter. Dass sie nicht alle Betroffenen weitervermitteln können, sei "sehr kräftezehrend". Es sei aber wichtig, sich vor Augen zu halten, dass sie in manchen Fällen etwas bewirken können. Dass sich die Situation für Geflüchtete insgesamt verschlechtert, bedeutet für ihn: "Wir dürfen nicht lockerlassen".

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