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Iran-Proteste: Wie queere Menschen gegen das Regime demonstrieren

Protest gegen die iranische Führung in München Iranische und Regenbogen Flaggen über der Menge. Am 17. Oktober 2022, versammelten sich hunderte Teilnehmer*innen in München, um ihre Solidarität mit den ...
Seit mehr als einem Monat finden weltweit Proteste gegen das iranische Regime statt. Die Rechte von queeren Menschen spielen dabei auch eine Rolle.Bild: IMAGO / aal.photo
Die Stimme

Iran-Proteste: Wie queere Menschen gegen das Regime demonstrieren

22.10.2022, 15:2731.10.2022, 18:07
watson-Redaktion und Azin Sadati-Schmutzer
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Triggerwarnung:
Im folgenden Text geht es um Gewalt und teils auch sexuelle Gewalt. Die Inhalte können verstörend und/oder retraumatisierend sein.

Seit mehr als einem Monat gehen Iraner:innen auf die Straße. Sie protestieren, rebellieren, setzen sich gegen diskriminierende Vorschriften hinweg: Aufrufe zu Streiks, Demos von Studierenden und Schüler:innen, oder das Widersetzen gegen den Kopftuchzwang.

Die Teilnahme an Protesten ist nicht ungefährlich. "Meine Hand ist gebrochen, mein Körper ist verletzt." Das Zittern höre nicht mehr auf, sagt eine Demonstrantin im Gespräch mit watson. Sie kommt aus Rascht, im Norden des Landes, ist lesbisch und ging für die Rechte queerer Menschen auf die Straße.

Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und intergeschlechtliche Personen stehen im Iran unter zusätzlichem Druck. Einige von ihnen erzählen, wieso sie dennoch auf den Straßen protestieren, was sie dabei erlebten und welche Maßnahmen sie zum Schutz treffen.

Amira Zolghadri (25) demonstriert in Kanada

Die 25-jährige Amira Zolghadri ist trans* Frau, lebt in Kanada und hat viele Kontakte in ihrem Herkunftsland Iran. Mit 17 Jahren musste sie den Iran verlassen. In Toronto fühlt sie sich noch immer mit ihrem Heimatland verbunden.

"Für mich war der Beginn der iranischen Demonstrationen mit dem Beginn des akademischen Jahres in Kanada verbunden. Bis jetzt, wenn die Prüfungen zur Mitte des Semesters begonnen haben, steht für mich die Zeit in Kanada still. Ich lebe in der iranischen Zeitzone."

Amira Zolghadri geht zu Kundgebungen und Demos in Kanada.
Amira Zolghadri geht zu Kundgebungen und Demos in Kanada.bild: privat

Fast täglich finden in Toronto Versammlungen und Demonstrationen statt, um sich mit den Menschen im Iran zu solidarisieren. An manchen Tagen seien es gleich mehrere Kundgebungen. Dabei würden zwischen einigen hundert und mehreren tausend Menschen teilnehmen. An fast allen hat Amira mit der Regenbogenfahne teilgenommen.

"Als die Nachricht von Jina Mahsa Aminis Koma mich erreichte, war ich extrem wütend. Diese Wut war nicht nur wegen Jina."

Fälle von Verhaftungen, Misshandlungen oder auch Vergewaltigungen gab es schon vorher. Zuletzt die Todesurteile gegen die 31-jährige Zahra Sedighi-Hamadani und die 24-jährige Elham Choubdar. Sie hatten sich für LGBTIQ-Rechte eingesetzt. Amnesty Deutschland kämpft nun für ihre Freilassung.

"Die Tötung von Jina Mahsa Amini durch die Sittenpolizei war der Punkt, an dem diese Wut wie ein Vulkan auf das islamische Regime ausbrach, das Gewalt und Mord in der Gesellschaft begünstigt und den Bürgern das Leben schwer macht.

Ich selbst wurde mit fünfzehn Jahren von einer religiösen Person vergewaltigt. Bis heute ist Iran für mich jeden Tag mit schlechten Nachrichten verbunden, was mich an meine eigene Geschichte erinnert. Auch außerhalb des Iran werde ich wegen meiner Aktivitäten im Bereich der Rechte von LGBT-Personen von der Cyber-Armee der Islamischen Republik schikaniert und bedroht.

Bei Solidaritätskundgebungen, wie hier in Kanada, wird auch an die Lage queerer Menschen im Iran erinnert.
Bei Solidaritätskundgebungen, wie hier in Kanada, wird auch an die Lage queerer Menschen im Iran erinnert.bild: privat

Ich habe an den Protesten teilgenommen, weil meine Lebensgeschichte mit den Erfahrungen anderer Iraner:innen, in einem Geschlechter-Apartheid-System zu leben, verflochten ist. Der Wunsch nach Gerechtigkeit gibt unserem Leben einen Sinn. Niemand von uns kann diese Geschichte ignorieren, besonders wenn sich unsere Schmerzen im Iran jeden Tag wiederholen."

Kamran protestiert auf den Straßen Teherans

Kamran (27) lebt im Iran und nimmt an Protesten teil, um "die Invasoren" aus seinem Land zu vertreiben. Seinen richtigen Namen möchte er aus Sicherheitsgründen nicht verraten. Der schwule Mann wurde häufig von der Sittenpolizei angehalten. Von der Polizei sei er schwer misshandelt worden, sagt er. Die Bassidsch-Miliz, eine Art Freiwilligenmiliz, die das Regime stützt, geht immer wieder brutal gegen Demonstrierende im Iran vor.

"Es ist für sie (die Bassidsch, Anm, d. Red.) normal geworden, mit einem Schlagstock auf den Kopf und ins Gesicht zu schlagen. Es gibt auch neue Einheiten, die Sturmgewehre und Kalaschnikows auf die Straße mitbringen."

"Diesmal haben sie mehr Angst vor uns."
Kamran über die aktuellen Demonstrationen

Und dennoch gehe er mit seinen Mitstreiter:innen weiter auf die Demonstrationen. "Diesmal haben sie mehr Angst vor uns", sagt er. Trotzdem bereiten er und die anderen Demonstrierenden sich vor, treffen Vorsichtsmaßnahmen.

"Wir versammeln uns in den Vierteln, in denen wir uns auskennen und achten darauf, dass Sicherheitskräfte, die versuchen, in die Gruppen einzudringen, das nicht unbemerkt schaffen. Wir kommunizieren über verschlüsselte Nachrichten miteinander. Mit Software wie Discord oder Telegram, mit einem sicheren Proxy. Natürlich ist seit einem Monat das Internet fast kaputt und wir kommunizieren kaum noch miteinander."

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Im berüchtigten Ewin-Gefängnis in Teheran hatte es gebrannt. Hier sind viele Oppositionelle festgehalten.Bild: Mizan News Agency/AP / Koosha Mahshid Falahi

Wenn sich bei Protesten auf der Straße Teilnehmende verletzen, kann nicht einfach ein Rettungswagen gerufen werden. Denn: Kamran und seine Mitstreiter:innen fürchten, dass einige Krankenhäuser mit Sicherheitskräften kooperieren, um die Demonstranten zu identifizieren.

"Dies ist eine Revolution, die keine Parallele in der Geschichte hat."

Das Regime habe die Gewalt so weit getrieben, dass es egal sei, wer Aktivist:in, Student:in oder einfacher Demonstrant:in sei. "Ihnen muss Widerstand geleistet werden", meint Kamran.

"Das ist eine Revolution, die keine Parallele in der Geschichte hat. Bisher haben uns viele Prominente, Künstler, Schriftsteller, Sportler, Politiker und einfache Menschen unterstützt und geholfen. Aber wir brauchen entschlossene politische Maßnahmen der Weltmächte, wie die Ausweisung der Botschafter des Regimes. Eine Welt ohne die Islamische Republik ist nicht nur für den Iran sicherer, sondern auch für den Nahen Osten und Europa."

Azadeh hat die Angst vor der Repression verloren

Azadeh ist eine bisexuelle Frau aus der Hauptstadt Teheran, wo sie als Ärztin arbeitet. Sie heißt in Wirklichkeit anders.

"Ich habe vom ersten Tag an, an den Demonstrationen teilgenommen und in den sozialen Netzwerken zum ersten Mal öffentlich meine Meinung geäußert. Ich denke, wir sollten den Iran ein für alle Mal ändern. Für mich hat die Repression längst den Schrecken verloren."

"Seit mehreren Jahren setze ich mich für zivilen Ungehorsam ein."

Viele ihrer Freund:innen haben das Land bereits verlassen. Azadeh blieb.

"Aber ich war mir immer unschlüssig, ob ich den Iran verlassen oder mit all den Strapazen bleiben soll. Seit mehreren Jahren setze ich mich für zivilen Ungehorsam ein."

Aus Protest legt sie immer wieder ihren Hijab, also ihr Kopftuch, ab. Ihre Kolleginnen hätten ihr aus Mitgefühl gesagt, sie solle ihr Kopftuch aufsetzen, damit sie ihren Job nicht verliert. Doch das lehnt sie ab.

"Weil ich glaube, dass kein Mensch gegen das handeln sollte, woran er zutiefst glaubt. Ich glaube, dass der Hijab ein klares Symbol für Diskriminierung und Erniedrigung von Frauen ist. Besonders für mich, da ich mich selbst als queer bezeichne."

Niki wurde beinahe von Zivilkräften verhaftet

Niki wurde in einen männlichen Körper geboren, ist aber eine Frau. Sie lebt in der Stadt Karadsch, etwa 40 Kilometer von der Hauptstadt Teheran entfernt. Ihren echten Namen behält sie lieber für sich.

"Ich hatte immer Angst, auf die Straße zu gehen. Aber diesmal sind die Menschen vereint. Vor ein paar Tagen überfielen mich Sicherheitskräfte in Zivil und wollten mich mitnehmen.

Umstehende Menschen sind mir beigesprungen und haben mich aus deren Gewalt befreit, ohne sich weiter darum zu kümmern, was meine Geschlechtsidentität ist. Wenn ich sehe, dass mir die Freiheit immer wieder verwehrt wird, wie dem Rest meines Volkes auch, dann bin ich sogar bereit, mein Leben dafür zu geben, um dieses Gefühl irgendwann zu erleben."

Belarus geht gegen Homosexuelle vor und eifert Russland nach

Aus seiner homophoben Einstellung macht der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, schon lange keinen Hehl mehr. Bereits in den frühen 2010er Jahren machte der belarussische Machthaber mit schwulenfeindlichen Aussagen Negativschlagzeilen. So richtete er etwa an den früheren Bundesaußenminister Guido Westerwelle die Bemerkung "lieber Diktator als schwul".

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