Als in Deutschland die Bewegung gegen die Klimakrise langsam größer wird, sitzt eine junge Schwedin 32 Stunden lang im Zug zurück in ihre Heimat. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hat sich das Mädchen drei Wochen nach seinem 16. Geburtstag die politische und wirtschaftliche Elite der Welt vorgeknöpft.
"Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt, denn das tut es", hat sie den Mächtigen an den Kopf geworfen. Ihr Worte schaffen es auf die Titelseiten. Als Greta Thunberg später auf der langen Zugfahrt nach Hause mit der Deutschen Presse-Agentur telefoniert, ist sie im Kopf bereits einen Schritt weiter: 2020, sagt sie mit leiser, zaghafter Stimme, müsse die Emissionskurve drastisch nach unten gehen, 2020 sei entscheidend. Dann bricht die Verbindung ab – Funkloch irgendwo in Deutschland.
Das war im Januar 2019. Seitdem hat sich viel getan. Funklöcher gibt es zwar noch immer in Deutschland. Doch die Art und Weise, wie hier und in anderen Ländern über wirksame Klimamaßnahmen debattiert und gestritten wird, hat sich gewandelt – daran hat Thunberg mit ihrem einst einsamen "Schulstreik fürs Klima" einen gewaltigen Anteil.
Die junge Schwedin kennt heute jeder. Millionen Menschen halten sie für einen Weltstar, andere finden sie und ihre Forderungen völlig daneben. Thunberg polarisiert. Wenn sie ein Bild von sich auf dem ICE-Boden veröffentlicht, beschäftigt das die Deutschen tagelang.
Thunberg traf alle – Barack Obama, Angela Merkel, den Papst, Leonardo DiCaprio, Arnold Schwarzenegger – aber nicht US-Präsident Donald Trump, der sich mehrfach skeptisch geäußert hat, ob es den Klimawandel überhaupt gibt und falls ja, ob er vom Menschen verursacht ist. Als sie im Dezember während der Klimakonferenz in Madrid demonstriert, müssen Sicherheitsleute sie von Schaulustigen abschirmen, so riesig ist der Rummel geworden.
Die ersten größeren freitäglichen Klimaproteste in Deutschland hatten sich nach Thunbergs Vorbild im Dezember 2018 formiert. Ein Jahr später sind sie aus vielen Städten des Landes kaum noch wegzudenken. Erst waren es einige Hundert, dann Tausende Demonstranten, die für das Klima auf die Straße gegangen sind. Am 20. September waren es sogar 1,4 Millionen. Längst sind neben Schülern und Studenten auch Eltern und Großeltern dabei. Aber: Hat es auch was gebracht?
Das ist eine Frage der Perspektive. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt offen zu, dass Fridays for Future der Bundesregierung Dampf gemacht hat. Kaum ein Thema hat Union und SPD im abgelaufenen Jahr so beschäftigt wie der Klimaschutz; monatelang tagte ein Klimakabinett, an Teilen des Klimapakets wird noch bis ins neue Jahr hinein gefeilt werden.
Vor einem Jahr hätte wohl kaum jemand gedacht, dass es ein eigenes Klimaschutzgesetz mit jahresgenauen Vorgaben fürs Einsparen von Treibhausgasen geben würde und dass die große Koalition einen nationalen CO2-Preis einführt, der Diesel und Benzin, Heizöl und Erdgas teuerer machen soll. Zugegeben: Der Einstieg ist so niedrig, dass Experten ziemlich einstimmig sagen, dass er nichts bringen wird. Aber der Einstieg ist trotzdem da.
Keine Partei kann den Klimaschutz ignorieren - die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will ihn sogar zu einem ihrer Schwerpunkte machen. Wenn US-Präsident Donald Trump sein Land aus dem Pariser Klimaabkommen nimmt, sagen zig US-Staaten, Regionen, Städte und Unternehmen: "Wir sind noch drin."
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Ausstoß von Kohlendioxid aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas im Jahr 2019 weltweit weiter zugenommen hat. Dass neue Kohlekraftwerke geplant und gebaut werden, dass mit dem Wirtschaftswachstum in Staaten wie China und Indien auch die Emissionen wachsen. Bei der Weltklimakonferenz wird Thunberg zwar als Star empfangen, am Ende nennen Politiker es aber einen Erfolg, dass man sich gegen Rückschritte gewehrt habe. Für Fridays for Future und andere, denen Klimaschutz wichtig ist, endet das Jahr daher mit einer herben Enttäuschung.
Da hilft es nichts, dass Klimaforscher mahnen: Bei einem "Weiter so" könnte die Welt Ende des Jahrhunderts um knapp vier Grad wärmer sein als vor der Industrialisierung, mit katastrophalen Folgen. "Deutlich unter zwei Grad" ist das Ziel des Pariser Abkommens, möglichst 1,5 Grad. Dafür müssten den Vereinten Nationen zufolge die Emissionen weltweit betrachtet Jahr für Jahr um 7,6 Prozent zurückgehen – und zwar ab 2020. Nur große Optimisten dürften glauben, dass diese aus Sicht der Wissenschaft so wichtige Trendwende gelingt, die die Erderwärmung und ihre Folgen noch halbwegs kontrollierbar halten soll.
Auch aus einem anderen Grund ist 2020 für den Klimaschutz entscheidend: Es ist das Jahr, in dem die Mitgliedsstaaten des Pariser Abkommens zum ersten Mal neue und ehrgeizigere Klimaschutzpläne vorlegen sollen. Man könnte auch sagen: 2020 wird sich zeigen, was das Abkommen eigentlich wert ist.
Greta Thunberg und Fridays for Future werden weiter reichlich Anlässe zu Protesten haben. Am 3. Januar wird die Schwedin 17 Jahre alt. Am 20. August wird sie den zweiten Jahrestag ihres Klimaprotests feiern, der von einer Einzelaktion zu einer weltweiten Bewegung geworden ist. Doch Thunberg dürfte auch einen Termin drei Tage vorher im Hinterkopf haben, den 17. August. Dann enden in Stockholm die Sommerferien – und für sie beginnt dann, nach einem Jahr Schulpause fürs Klima, zwei Atlantik-Überquerungen, einem Alternativen Nobelpreis und Weltruhm, aller Voraussicht nach die Zeit auf dem Gymnasium.
(dpa)