
Es war definitiv ihr Jahr. Aber wie geht es mit den Klima-Protesten weiter?Bild: imago images / Pacific Press Agency
International
Greta Thunberg hat das Jahr 2019 geprägt wie sonst kaum jemand. Ihre Bewegung Fridays for Future ruft besonders in Deutschland lautstark zu entschiedenem Handeln gegen die Klimakrise auf. 2020 steht dem Klimaschutz ein entscheidendes Jahr bevor.
28.12.2019, 13:5428.12.2019, 13:54
Als in Deutschland die Bewegung gegen die
Klimakrise langsam größer wird, sitzt eine junge Schwedin 32 Stunden
lang im Zug zurück in ihre Heimat. Auf dem Weltwirtschaftsforum in
Davos hat sich das Mädchen drei Wochen nach seinem 16. Geburtstag die politische und wirtschaftliche Elite der Welt vorgeknöpft.
"Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt, denn das tut
es", hat sie den Mächtigen an den Kopf geworfen. Ihr Worte schaffen
es auf die Titelseiten. Als Greta Thunberg später auf der langen
Zugfahrt nach Hause mit der Deutschen Presse-Agentur telefoniert, ist
sie im Kopf bereits einen Schritt weiter: 2020, sagt sie mit leiser,
zaghafter Stimme, müsse die Emissionskurve drastisch nach unten
gehen, 2020 sei entscheidend. Dann bricht die Verbindung ab – Funkloch irgendwo in Deutschland.
Klima-Debatte hat sich verändert
Das war im Januar 2019. Seitdem hat sich viel getan. Funklöcher gibt
es zwar noch immer in Deutschland. Doch die Art und Weise, wie hier
und in anderen Ländern über wirksame Klimamaßnahmen debattiert und
gestritten wird, hat sich gewandelt – daran hat Thunberg mit ihrem
einst einsamen "Schulstreik fürs Klima" einen gewaltigen Anteil.
Die junge Schwedin kennt heute jeder. Millionen Menschen halten sie
für einen Weltstar, andere finden sie und ihre Forderungen völlig
daneben. Thunberg polarisiert. Wenn sie ein Bild von sich auf dem
ICE-Boden veröffentlicht, beschäftigt das die Deutschen tagelang.
Thunberg traf alle – Barack Obama, Angela Merkel, den Papst, Leonardo
DiCaprio, Arnold Schwarzenegger – aber nicht US-Präsident Donald
Trump, der sich mehrfach skeptisch geäußert hat, ob es den
Klimawandel überhaupt gibt und falls ja, ob er vom Menschen
verursacht ist. Als sie im Dezember während der Klimakonferenz in
Madrid demonstriert, müssen Sicherheitsleute sie von Schaulustigen
abschirmen, so riesig ist der Rummel geworden.
Fridays For Future ist kaum noch wegzudenken
Die ersten größeren freitäglichen Klimaproteste in Deutschland hatten
sich nach Thunbergs Vorbild im Dezember 2018 formiert. Ein Jahr
später sind sie aus vielen Städten des Landes kaum noch wegzudenken.
Erst waren es einige Hundert, dann Tausende Demonstranten, die für
das Klima auf die Straße gegangen sind. Am 20. September waren es
sogar 1,4 Millionen. Längst sind neben Schülern und Studenten auch
Eltern und Großeltern dabei. Aber: Hat es auch was gebracht?
Das ist eine Frage der Perspektive. Nicht nur Kanzlerin Angela Merkel
(CDU) gibt offen zu, dass Fridays for Future der Bundesregierung
Dampf gemacht hat. Kaum ein Thema hat Union und SPD im abgelaufenen
Jahr so beschäftigt wie der Klimaschutz; monatelang tagte ein
Klimakabinett, an Teilen des Klimapakets wird noch bis ins neue Jahr
hinein gefeilt werden.
Vor einem Jahr hätte wohl kaum jemand gedacht, dass es ein eigenes
Klimaschutzgesetz mit jahresgenauen Vorgaben fürs Einsparen von
Treibhausgasen geben würde und dass die große Koalition einen
nationalen CO2-Preis einführt, der Diesel und Benzin, Heizöl und
Erdgas teuerer machen soll. Zugegeben: Der Einstieg ist so niedrig,
dass Experten ziemlich einstimmig sagen, dass er nichts bringen wird.
Aber der Einstieg ist trotzdem da.
Keine Partei kann den Klimaschutz ignorieren - die neue
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will ihn sogar zu
einem ihrer Schwerpunkte machen. Wenn US-Präsident Donald Trump sein
Land aus dem Pariser Klimaabkommen nimmt, sagen zig US-Staaten,
Regionen, Städte und Unternehmen: "Wir sind noch drin."
Es bleibt viel zu tun
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Ausstoß von Kohlendioxid aus
der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas im Jahr 2019 weltweit weiter
zugenommen hat. Dass neue Kohlekraftwerke geplant und gebaut werden,
dass mit dem Wirtschaftswachstum in Staaten wie China und Indien auch
die Emissionen wachsen. Bei der Weltklimakonferenz wird Thunberg zwar
als Star empfangen, am Ende nennen Politiker es aber einen Erfolg,
dass man sich gegen Rückschritte gewehrt habe. Für Fridays for Future
und andere, denen Klimaschutz wichtig ist, endet das Jahr daher mit
einer herben Enttäuschung.
Da hilft es nichts, dass Klimaforscher mahnen: Bei einem "Weiter so"
könnte die Welt Ende des Jahrhunderts um knapp vier Grad wärmer sein
als vor der Industrialisierung, mit katastrophalen Folgen. "Deutlich
unter zwei Grad" ist das Ziel des Pariser Abkommens, möglichst 1,5
Grad. Dafür müssten den Vereinten Nationen zufolge die Emissionen
weltweit betrachtet Jahr für Jahr um 7,6 Prozent zurückgehen – und
zwar ab 2020. Nur große Optimisten dürften glauben, dass diese aus
Sicht der Wissenschaft so wichtige Trendwende gelingt, die die
Erderwärmung und ihre Folgen noch halbwegs kontrollierbar halten
soll.
2020 wird entscheidendes Jahr
Auch aus einem anderen Grund ist 2020 für den Klimaschutz
entscheidend: Es ist das Jahr, in dem die Mitgliedsstaaten des
Pariser Abkommens zum ersten Mal neue und ehrgeizigere
Klimaschutzpläne vorlegen sollen. Man könnte auch sagen: 2020 wird
sich zeigen, was das Abkommen eigentlich wert ist.
Greta Thunberg und Fridays for Future werden weiter reichlich Anlässe
zu Protesten haben. Am 3. Januar wird die Schwedin 17 Jahre alt. Am
20. August wird sie den zweiten Jahrestag ihres Klimaprotests feiern,
der von einer Einzelaktion zu einer weltweiten Bewegung geworden ist.
Doch Thunberg dürfte auch einen Termin drei Tage vorher im Hinterkopf
haben, den 17. August. Dann enden in Stockholm die Sommerferien – und
für sie beginnt dann, nach einem Jahr Schulpause fürs Klima, zwei
Atlantik-Überquerungen, einem Alternativen Nobelpreis und Weltruhm, aller Voraussicht nach die Zeit auf dem Gymnasium.
(dpa)