Ein Konflikt, der womöglich nie aufgelöst werden kann zwischen Israel und palästinensischen Gebieten (Symbolbild).Bild: www.imago-images.de / Bihlmayerfotografie
Meinung
Warum es beim Nahost-Konflikt auch mal okay ist, keine Meinung zu haben
Ich erinnere mich noch gut an die ersten Momente, als ich auf dem Ben Gurion Airport in Tel Aviv gelandet war. Ich war damals Teil einer Reisegruppe im Rahmen meines Geschichtsstudiums. In den kommenden Tagen sollten wir die israelische Gesellschaft näher kennenlernen und Vertreter der vielen verschiedenen Gruppen, aus denen sich dieses Land zusammensetzt, treffen und ihre Sichtweise erfahren.
Ich weiß noch, wie naiv ich nach Israel gereist bin und dachte, dass dieser Konflikt, der die Region seit Jahrzehnten beherrscht, doch sehr einfach zu lösen sei, wenn nur alle mal vernünftig wären. Nach wenigen Tagen dort musste ich erkennen: Dieser Konflikt wird sich womöglich niemals ganz und gar auflösen lassen.
Es ist leider nicht so einfach
Und das nicht, weil diese Menschen dort dumm oder bösartig sind. Im Gegenteil: Je mehr Zeit ich dort verbrachte und mit Menschen vor Ort sprach, desto mehr verstand ich ihre Sichtweise. Da war der Araber, der in Israel geboren war, aber nie wirklich als Bürger anerkannt wurde – auch, weil er keinen Militärdienst geleistet hatte. Er erzählte davon, dass er Schwierigkeiten dabei hatte, ein Haus zu kaufen oder einen Führerschein zu machen.
Später erfuhr ich, Angehörige von ihm waren bei Demonstrationen gegen die israelische Siedlungspolitik gewesen. Sein Bruder war bei diesen friedlichen Protesten verletzt worden. Israelische Sicherheitskräfte hatten mit Gummigeschossen und Gasgranaten in die Menge gefeuert und ihn dabei am Bein schwer verwundet.
Sie erzählte davon, wie froh sie sei, dass nun eine Mauer gebaut worden war an der Grenze zum Westjordanland.
Und dann war da die jüdische Kunsthistorikerin, die in Nürnberg geboren wurde und inzwischen in Jerusalem lebt. Eine Frau, die gebildet, weltgewandt und offen gegenüber anderen Kulturen auftrat. Eine Frau, die ich genauso gut beim Spaziergang im Prenzlauer Berg hätte treffen können. Sie erzählte davon, wie froh sie sei, dass nun eine Mauer gebaut worden war an der Grenze zum Westjordanland. Dass nun weniger Anschläge passieren würden und sie einigermaßen in Frieden leben könnten.
Von einer Rakete aus dem Gaza-Streifen getroffen: Dieses Haus in der israelischen Stadt Ashkelon.Bild: imago images / Tomer Neuberg
Diese Frau hatte Israel-Fahnen im Garten aufgehängt und erzählte voller Stolz von ihrem Sohn, der in der Armee diente. Sie erzählte von den palästinensischen Handwerkern, die in ihrem Haus Wasserleitungen repariert hatten. Eines Tages kam die Nachricht von einem Selbstmordattentat in der Jerusalemer Innenstadt, nur wenige hundert Meter von dem Haus der Kunsthistorikerin entfernt. Es war der Vater von einem der Handwerker gewesen, die sie bei sich im Haus jeden Tag frei ein und aus gehen ließ.
Es ist einfach zu urteilen
Es ist einfach für uns in Deutschland, darüber zu urteilen, wie sich die Menschen im Nahen Osten verhalten sollten. Es ist etwas anderes, täglich Angst um das eigene Leben zu haben. Genauso, wie das tägliche Leid der menschenunwürdigen Bedingungen im Gaza-Streifen zu ertragen. Das macht etwas mit Menschen und wir in Deutschland können das kaum nachvollziehen.
Von meiner Reise bin ich damals mit mehr Fragen zurückgekehrt, als ich zu Beginn hatte. Wenn ich anschließend in den Medien über den Nahost-Konflikt las oder Berichte sah, hatte ich andere Gedanken und Gefühle als davor. Ich verstand, dass hinter diesen Meldungen Menschenleben standen und dass dieser Konflikt überhaupt nur in eine positive Richtung bewegt werden kann, wenn beide Seiten miteinander in Gespräche kommen würden und verhandeln.
Wenn ich heute bei Social Media sehe, wie unbedarft und naiv viele Influencer und auch einige meiner Freunde und Bekannten über den Konflikt schreiben und einseitig Videos teilen, dann lässt mich das ratlos zurück. Es erinnert mich aber auch an mich selbst, vor meiner Reise.
Bei der Bombardierung des Gaza-Streifens durch die israelische Armee, hier am Hafen. In Israel und in Gaza sterben immer wieder Zivilisten bei den Angriffen.Bild: www.imago-images.de / Majdi Fathi
Wichtig wäre auch, daraus zu lernen
Es ist richtig, dass jetzt viele, die sich zuvor sehr unbedacht klar positioniert haben, ihre Äußerungen noch einmal überdenken. Fehler zu machen ist menschlich und eine bessere Fehlerkultur täte uns allen in Deutschland gut. Aber wichtig wäre auch, daraus zu lernen. Nämlich, dass es wichtig ist, sich ein umfassendes Bild von beiden Seiten zu machen. Dass Bilder und Videos eben immer nur eine Seite der Geschichte erzählen. Und dass es ebenso möglich ist, um tote Kinder im Gaza-Streifen zu trauern, wie Solidarität mit Israel zu zeigen.
Propaganda zu verbreiten und Boykott-Aufrufe zu teilen, ist genauso falsch wie die Verantwortung für die Gewalt einseitig der Hamas zuzuschreiben.
Es ist auch in Ordnung bei diesem Thema einfach mal keine klare Meinung zu haben oder sich auf eine der Seiten zu schlagen. Das Thema ist so komplex und die Zusammenhänge so schwer verständlich, dass selbst erfahrene Diplomaten und Staatsmänner daran gescheitert sind, eine einfache Lösung dafür zu finden.
Nur eines sollten wir definitiv nicht tun: Uns einseitig informieren und daraus eine Meinung bilden. Propaganda zu verbreiten und Boykott-Aufrufe zu teilen, ist genauso falsch wie die Verantwortung für die Gewalt einseitig der Hamas zuzuschreiben. Am Ende ist nichts davon zielführend, sondern führt höchstens zu einer Verschärfung des Konflikts. Und das sollten wir hier in Deutschland am allerwenigsten wollen.
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