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Iran: Junge Frau besucht verbotene Partys und erlebt Überraschung

Zehn Jahre war die junge Frau nicht mehr in ihrer zweiten Heimat, Iran.
In Iran ist es Frauen offiziell verboten, ohne Kopftuch auf die Straße zu gehen, es darf nicht getanzt oder gesungen werden – doch die Realität sieht anders aus.Bild: pexels / cami
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Zwischen Aufbegehren und Sittenpolizei: Junge Frau erlebt Überraschung in Iran

18.04.2024, 19:4418.04.2024, 20:34
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"Ich gehe mich jetzt unterdrücken lassen", sagt Roya* in einer Sprachnotiz, schaltet das Handy in den Flugmodus und verschwindet im Iranischen Konsulat in Frankfurt am Main.

Auf dem Kopf trägt sie ein buntes Seidentuch, sorgfältig gebunden, keine Haare dürfen hervorblitzen. Im Konsulat betritt die junge Frau iranischen Boden, es gelten also die Gesetze des Landes im Nahen Osten.

Offiziell ist es Frauen dort untersagt, ohne Kopftuch das Haus zu verlassen. So will es das Regime, das sich nach der Scharia, dem islamischen Gesetz richtet. Dadurch werden Frauen unterdrückt. Ihr Leben und ihre Gesundheit sind in Iran nur halb so viel wert, wie das der Männer.

Roya will dennoch nach Iran reisen, in ihre zweite Heimat, wie sie sagt. Ihr Vater ist Perser, ihre Mutter Deutsche, Roya und ihre Familie besitzen eine doppelte Staatsbürgerschaft.

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Das letzte Mal war die junge Frau vor zehn Jahren in Iran. Ab neun Jahren kann man dort ein Kopftuch tragen, ab 13 Jahren ist es Pflicht, für Roya war es auch damals schon obligatorisch. "Es war als Kind schon ein ganz komisches Gefühl", erinnert sie sich. Für ihren Besuch braucht sie nun einen neuen Reisepass.

Iran-Besuch: Auf große Vorfreude folgt Angst

Ihr Handy muss Roya im Konsulat abgeben, es darf nicht gefilmt werden. Nach rund drei Stunden, Befragungen, neuen Passfotos und Angst, etwas falsch zu machen, verlässt sie das Gebäude wieder. Sie zieht sich das Kopftuch herunter, den neuen Pass kann sie in einer Woche abholen.

Roya will mit ihrer Familie aus Deutschland die Familie in Iran besuchen. Der Besuch fällt mehr zufällig als geplant auf die Zeit des Ramadan. Jahrelang hatte sie darauf gewartet. Doch zunächst war die politische Lage zu instabil, dann kam Corona, dann hatte sich alles im Iran weiter zugespitzt. Nun wollen sie es versuchen. Ob alles klappt – nicht sicher.

Ihr persischer Onkel hatte ihnen immerhin versichert: "Es ist sicher, ihr könnt kommen." Zum Hintergrund: Im September 2022 wurde die Kurdin Jina Mahsa Amini von der Sittenpolizei wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Hidschāb-Gesetz festgenommen und starb. Darauf folgten viele Monate der Proteste im Land.

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Weltweit protestierten Menschen gegen das Regime in Iran nach dem Tod Jina Mahsa Aminis.Bild: imago images / Middle East Images

Royas Erwartungen an Iran sind hoch. Die junge Frau war schon früh auf einer persischen Sprachschule, hat alle Bücher über die persische Kultur verschlungen, die ihr in die Hände fielen und die Sprache so gut es ging per App vertieft.

Auf Social Media folgt Roya zahlreichen (Food-)Blogger:innen aus Iran. Doch nun besucht sie ihre zweite Heimat ausgerechnet zu Ramadan, dem Fastenmonat der Muslim:innen.

Natürlich hat Roya Angst, dass etwas nicht mit der Einreise klappt, dass ihr Handy durchforstet, nach Regime-kritischen Inhalten gesucht wird, wie sie es aus Erzählungen kennt. Doch Roya befürchtet auch, dass ihre ganzen Träume von dem ihr so bekannten Land zerplatzen.

In ihren Erinnerungen ist es ein buntes Land, eines mit vielen Basaren, frischen Früchten und Gemüse, unendlich vielen Düften, Gewürzen, mit vielen Farben. Doch Ramadan bedeutet tagsüber: fasten.

Trotz Verstößen gegen Scharia in Iran: Die Bestrafung bleibt oft aus

"Im Flugzeug wurde mir noch einmal mehr bewusst, dass Iraner:innen die Religion aufgedrückt wird." Roya fliegt mit Zwischenstopp in Istanbul nach Iran. Die Türkinnen hätten ihr Kopftuch den Flug über anbehalten. Die Iranerinnen an Bord hingegen hätten jede Sekunde genutzt, das Kopftuch nicht aufsetzen zu müssen. Viele lassen es ganz aus, manche setzen es kurz vor der Landung auf. Und das, obwohl sich sogar ein Mullah an Bord befindet.

Ein Vorgeschmack auf das, was Roya in Iran erleben wird.

Iran: Der Blick vom Totschāl. Er erhebt sich nördlich der Hauptstadt Teheran.
Die ganze Stadt Teheran liegt vor ihr: Alles, was sich Roya in den vergangenen zehn Jahren erträumt hatte. Bild: privat

Sie hatte sich eigentlich vorgenommen, überall Kopftuch zu tragen. Auch, wenn es sich für sie wie Unterdrückung anfühlt. Denn hier geht es um ihre eigene Sicherheit. Doch als sie aus dem Taxi Richtung Stadt blickt, sieht sie nur wenige Frauen mit Kopftuch. Später tanzt an einer Ecke sogar ein Mädchen, sie wird von Passant:innen gefilmt.

Solche Videos finden sich auch auf Social Media. Als wäre nichts gewesen, als gäbe es die strenge Scharia nicht. Doch zur Wahrheit gehört auch: Das ist nur möglich, weil Jina Mahsa Amini gestorben ist.

"Man fühlt sich verrückterweise sicher, weil man weiß: Ich werde nicht bestraft", sagt Roya mit Blick auf das kaum präsente Kopftuch in den Straßen Teherans. Zwar seien weiterhin an jeder Ecke Männer in Uniformen zu sehen, doch welche von ihnen die gefürchteten Sittenwächter sind, kann Roya nicht ausmachen.

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Auf den Basaren in Iran ist das Kopftuch längst nicht so präsent derzeit, wie es sich das Regime erhofft.Bild: imago images / Middle East Images

Vor dem Autofahren ohne Kopftuch wurde die junge Frau allerdings gewarnt. Denn es gebe angeblich so etwas wie "Kopftuch-Blitzer". Ähnlich, wie bei einer überhöhten Geschwindigkeit, lösen die Geräte bei fehlendem Kopftuch aus. Brisant: Der Staat hat in Iran Zugriff auf die Konten der Staatsbürger:innen. Das horrende Bußgeld wird direkt vom Konto eingezogen.

Doch die Menschen in Iran seien hoffnungsvoll, sagt Roya. Sie merke eine Art Unbeschwertheit auf den Straßen. Sogar auf dem Basar bekommt sie alles, was sie sich erträumt hatte, kann all die Farben und Gerüche erneut erleben, die sie vor zehn Jahren schon in sich aufgesogen hat. Trotz Ramadan. Stichwort: aufgezwungene Religion.

Iran: Die Menschen halten zusammen – gegen das Regime

Die Unbeschwertheit auf den Straßen projiziert sich in Royas Erlebnissen auch ins Private. Denn ihr Onkel hat eine große Party geplant, mit rund 70 Gästen. Ganz so frei fühlt sich die junge Frau beim Gedanken daran jedoch nicht. Denn auch Partys sind in Iran nach wie vor strengstens verboten.

Ihr Onkel ist da jedoch optimistisch: Die Iraner:innen halten zusammen, wer soll sie schon anschwärzen? Es gilt derzeit mehr denn je: alle gegen das Regime.

Teuer wurden Unmengen an Alkohol eingekauft, auch das ist nur per geheimen Kurier möglich – der selbstverständlich aufgrund des Risikos erwischt zu werden, einen hohen Aufschlag verlangt.

Royas Familie in Iran kann sich das leisten. Daher betont die junge Frau immer wieder, dass andere Menschen im Land vermutlich aus der ein oder anderen Situation weniger glimpflich herausgehen würden. Ihnen ist nichts passiert. Sie haben aber auch nichts unternommen, um die eigentlich illegale Party geheim zu halten.

Roya besucht ein paar Tage später sogar eine Art Underground-Club. Es geht wortwörtlich mit dem Aufzug steil hinunter. Vor ihr eröffnet sich ein auf den ersten Blick gewöhnliches Restaurant. Doch das ist nur Tarnung. Auf der Karte: billiges, fettiges Essen, alkoholfreie Cocktails. Der Alkohol: tolerierte – sogar erwünschte – Schmuggelware der Gäste.

Mittendrin steht ein DJ am Mischpult, Strobolicht flackert durch die Räumlichkeiten, der Bass wummert. Doch getanzt werden darf nur im Sitzen. Steht doch jemand übermütig auf, wird die Musik unterbrochen, es folgt eine Ansage. Hier will niemand auffliegen.

Iran: Schilder sollen Frauen daran erinnern, das Kopftuch zu tragen.
Überall präsent in Iran: Appelle an die Frauen, ihr Kopftuch zu tragen.Bild: privat

Löst der Iran Heimat-Gefühle aus?

Es schwingt eben doch immer eine gewisse Angst mit, und das Wissen, zumindest unbewusst, gerade etwas nicht ganz Legales zu tun. Genaugenommen sogar etwas Hochillegales: Spaß haben.

Für Roya ist es nicht nur diese Erkenntnis, die sie mit nach Hause, nach Deutschland, nimmt. "Ich hatte so hohe Erwartungen an meinen Besuch – und sie wurden alle sogar übertroffen." Doch sie habe auch gelernt: "Iran ist nicht meine Heimat."

Denn sie sei angestarrt worden, wie im Zoo, wie sie sagt. Menschen wollten Fotos mit ihr machen, haben laut gerufen: "Guckt mal, Ausländer!" Dabei fühlt sie sich der persischen Kultur doch so nahe.

Roya habe gemerkt: Es fühle sich alles vertraut an, heimelig. Anders als andere Länder, die sie besucht hatte. Aber "hier hin" gehöre sie eben dennoch nicht. Trotzdem sagt sie: "Ich bin auch Iranerin, und verdammt stolz drauf!"

Jetzt, wenige Wochen später, ist Roya froh, zu einer vergleichsweise unbeschwerten Zeit in Iran gewesen zu sein. Denn Iran hat seine Drohung wahrgemacht und Israel angegriffen. Es wird mit einem Gegenschlag gerechnet. Die Menschen in Iran haben Angst. Mal wieder. Niemand will einen Krieg.

Doch bereits jetzt merken sie die Auswirkungen des Angriffs: Verstöße gegen die Scharia werden wieder stärker geahndet. Nun sogar mit Kameras.

Roya spürt die Auswirkungen ihres Besuchs auch persönlich: "Ich darf nicht in die USA einreisen", schreibt sie in einer Whatsapp-Nachricht. Ihr Reisevisum wurde abgelehnt. "Willkürliche Diskriminierung", sagt sie.

(*Jegliche Merkmale, die auf die Identität schließen können, wurden von der Redaktion aus Sicherheitsgründen geändert.)

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