Frankreich ist wütend. Seit die Regierung den Verfassungsartikel 49.3 genutzt hat, um die Rentenreform ohne Abstimmung im Parlament durchzusetzen, nahmen die Proteste im Land zu. Jetzt demonstrieren nicht nur die Gewerkschaften. Millionen von Menschen folgen dem Aufruf.
Nicht einmal König Charles III. will in diesem Tumult seinen Kopf riskieren.
Ein Überblick:
Am Donnerstag riefen die Gewerkschaften zu einem weiteren Streik auf. Die Stimmung war in einigen Städten bereits tagsüber angespannt. Allein für die Demonstration in Paris meldete die CGT mit 800.000 Menschen die bisher größte Teilnehmerzahl in der französischen Hauptstadt seit Beginn der Proteste. Dabei kam es auch zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstrierenden. Die Polizei feuerte Tränengas ab und setzte Schlagstöcke gegen die Menge ein. Einige Demonstranten setzten Berge von nicht abgeholtem Müll in den Straßen in Brand, so dass die Feuerwehr eingreifen musste.
Hunderte Menschen wurden festgenommen. Innenminister Gérald Darmanin sprach am Freitag im Sender CNews von 457 Festnahmen. Etwa 440 Polizisten und Gendarmen seien bei Ausschreitungen verletzt worden. Allein in Paris habe es etwa 900 Feuer am Rande der Proteste gegeben.
Auch in Bordeaux, Nantes und Rennes war die Stimmung aufgeheizt. In Lorient in der Bretagne wurde nach Angaben der Zeitung "Outes-France" der Hof einer Polizeiwache in Brand gesetzt.
Meinungsforscher und Soziologe Hugo Touzet macht sich Sorgen über das gewaltvolle Eingreifen der Polizei: "Hunderte wurden in den letzten Tagen verhaftet, die Polizei hat Schlagstöcke und Tränengas eingesetzt. Es machen Videos davon die Runde, wie die Polizei offenbar ohne Grund auf Demonstrierende einprügelt", sagt Touzet gegenüber der NZZ.
Auch die Ansprache des Präsidenten Emmanuel Macron war ernüchternd. Während zwei Monaten hatte er nichts gesagt und den Protestierenden das Gefühl gegeben, dass er eigentlich anderes zu tun habe: Er war auf Staatsbesuch im Ausland und empfing eine Reihe von Politikern im Élysée-Palast.
Ob und wann sich die Situation beruhigen wird, ist unklar. Laut Touzet läuft nun alles auf ein Kräftemessen hinaus: "Entweder gewinnt Macron seine Wette. Er rechnet damit, dass nach einiger Zeit automatisch wieder Ruhe einkehrt. Oder aber, die Protestierenden können eine so große Kraft entwickeln, dass der Präsident Konzessionen machen muss."
Die Proteste richten sich gegen die, inzwischen verabschiedete, schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre und das Vorgehen der Mitte-Regierung unter Präsident Emmanuel Macron. Laut Behörden demonstrierten am Donnerstag landesweit knapp 1,09 Millionen Menschen. Die Gewerkschaft CGT sprach von 3,5 Millionen Beteiligten. Für Dienstag haben die Gewerkschaften zu neuen landesweiten Streiks und Protesten aufgerufen. Der britische König Charles III. soll dann zu Besuch in Frankreich sein.
Bereits seit Jahresanfang wird gegen die Rentenreform demonstriert. Die Streik- und Protesttage waren wochenlang überwiegend friedlich verlaufen. Doch seit die Regierung die umstrittene Reform vergangene Woche ohne Abstimmung durch die Nationalversammlung gedrückt hat, kommt es vermehrt zu Gewalt – vor allem bei spontanen Protesten. Demonstranten hatten ihrerseits der Polizei Gewalt vorgeworfen.
Die Rentenreform gilt als eines der zentralen Vorhaben von Präsident Macron. Mit ihr soll ein drohendes Loch in der Rentenkasse abgewendet werden. Die Gewerkschaften halten das Projekt für ungerecht und brutal. Der Text ist verabschiedet, liegt zur Prüfung aber beim Verfassungsrat. Noch steht nicht fest, wann die Instanz über die Reform entscheidet. Macron will, dass sie bis zum Jahresende in Kraft tritt. Der Streit um die Reform hat die Regierung erheblich geschwächt.
Derzeit liegt das Renteneintrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt später: Wer für eine volle Rente nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Rente ohne Abschlag – dies will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahljahre für eine volle Rente schneller steigen soll. Die monatliche Mindestrente will sie auf etwa 1200 Euro hochsetzen.
Der Staatsbesuch von König Charles III. in Frankreich ist wegen der dortigen Proteste gegen die Rentenreform verschoben worden. Das teilte der Élysée-Palast am Freitag mit. Ein neues Datum für den Besuch steht noch nicht.
Ursprünglich hatte Charles auf seinem ersten Auslandsbesuch als britischer König von Sonntag bis Mittwoch nach Frankreich kommen sollen. Vom 29. März an wird er in Deutschland erwartet.
(oee)