Freudentränen am Donnerstag: Auf dem Flughafen von Ankara ging ein ungewöhnlicher und beispielloser Gefangenenaustausch zwischen Russland, Belarus und mehreren westlichen Ländern über die Bühne.
Es war eine hochkomplexe Operation, an der auch der türkische Geheimdienst MIT beteiligt war. Sie führte zur Freilassung von insgesamt 26 Gefangenen. Unter den Freigelassenen befanden sich prominente politische Gefangene, Kreml-Kritiker:innen und auch deutsche und US-amerikanische Staatsbürger:innen.
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Im Gegenzug ließen Deutschland, die USA und andere Partnerländer mehrere russische Staatsbürger:innen frei – darunter auch einen verurteilten Mörder und Häftlinge, die unter Spionageverdacht standen.
Nicht nur deshalb wird der Deal in Deutschland und den USA kontrovers diskutiert. Grund sind etwa möglicherweise problematische Zugeständnisse sowie politische Signale an Russland, wie Expert:innen erklären.
David Sirakov ist Politologe und Leiter der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz. Er hebt nach dem Gefangenenaustausch zunächst die beeindruckende diplomatische Leistung der beteiligten Staaten hervor.
Sirakov betont jedoch, dass dieser Austausch keinesfalls als Zeichen einer Annäherung zwischen Russland und dem Westen zu werten sei: "Dieser Austausch zeigt, dass die aus dem Kalten Krieg bekannte Strategie der Freipressung weiterhin Teil des diplomatischen Repertoires von Russland und Belarus ist", sagte er laut der Deutschen Presseagentur (dpa).
Der Deal verdeutliche, dass das Vertrauen in die Beziehungen zu Moskau und Minsk nach wie vor stark beeinträchtigt sei.
Zwei Flugzeuge mit Freigelassenen sind am Donnerstag auf dem Flughafen Köln/Bonn gelandet. Dort hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sie in Empfang genommen. Insgesamt fünf Deutsche waren Teil des Deals. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach von einem "Tag der Erleichterung", wies aber auch auf das "hochsensible Dilemma" hin, das diese Entscheidung mit sich brachte.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bezeichnete den Gefangenenaustausch als eine schwierige Abwägung. Ähnlich äußerte sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), der den Austausch verteidigte: "Um 16 Menschen ein neues Leben in Freiheit zu ermöglichen, haben wir einen verurteilten Mörder nach Russland ausgewiesen." Im Zweifel müsse man sich für die Freiheit entscheiden, sagte er.
In Deutschland wird der Austausch vor allem aufgrund einer Tatsache kontrovers diskutiert: wegen der Freilassung von Wadim Krassikow, der auch bekannt als "Tiergartenmörder" ist. Er ist ein verurteilter Attentäter, der in Deutschland eigentlich eine lebenslange Haftstrafe absitzen müsste.
Lange gab es Spekulationen, dass Krassikow gegen den in russischer Haft sitzenden bekannten Putin-Gegner Alexej Nawalny getauscht werden sollte. Dann wurde Nawalny im Februar in einem Gefangenenlager getötet.
Im Februar hat Präsident Wladimir Putin in einem Interview angedeutet, dass Russland bereit sei, Krassikow gegen den amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich auszutauschen. Er war bei einer Recherchereise in Russland festgenommen worden. Beide waren Teil des Deals am Donnerstag.
Für die US-Regierung unter Präsident Joe Biden ist die Rückkehr von Journalist:innen wie Evan Gershkovich und Paul Whelan ein bedeutender Erfolg. "Diese Freilassungen senden ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit und die Presse, dass die USA ihre Bürger nicht im Stich lassen", sagt Sirakov. Das dürfte natürlich auch für deutsche Staatsbürger gelten.
Die jüngsten Entwicklungen knüpfen an frühere diplomatische Erfolge an, wie die Freilassung der US-Basketballerin Brittney Griner im Jahr 2022. Auch der Fall von Wikileaks-Gründer Julian Assange wurde immer wieder im Zusammenhang mit solchen Verhandlungen diskutiert.
Der ehemalige US-Marine-Oberst Stephen Ganyard verweist jedoch auf eine Taktik des Kreml und äußert gegenüber "ABC News" eine Befürchtung: "Putin wird seine KGB-Agenten nach Hause bringen. Es ist für die Russen gängige Praxis, Menschen unter offensichtlich konstruierten Anklagen festzuhalten, um Verhandlungsmasse zu haben."
Elizabeth Neumann, eine ehemalige Beamtin des US-Heimatschutzministeriums, äußerte diesbezüglich ähnliche Bedenken. Sie sprach laut "ABC News" über die Befürchtung, dass der Austausch möglicherweise ein gefährliches Signal an feindlich gesinnte Staaten sende: "Füttern wir mit diesem Gefangenenaustausch tatsächlich das Biest und machen es wahrscheinlicher, dass sie noch mehr Menschen unrechtmäßig festnehmen?"
Auch Thomas Graham vom Council on Foreign Relations warnte, dass dieser Tausch Anreize schaffen könnte, weitere Staatsbürger:innen aus dem Westen ins Visier zu nehmen. Sorge gibt es also insofern, als dass der Gefangenenaustausch Russland zu weiteren ungerechtfertigte Festnahmen bestärken könnte.
Die UN-Sonderberichterstatterin zur Menschenrechtslage in Russland, Marijana Kazarowa, bezeichnete den Austausch in einer Mitteilung als beispiellos. Sie hob hervor, dass dies die größte Gruppe politischer Gefangener sei, die seit dem Kalten Krieg ausgetauscht wurde. Trotz der Freude über die Freilassung betonte sie, dass noch zahlreiche politische Gefangene in Russland inhaftiert seien. Ihre Freilassung müsse weiterhin Priorität haben.
(mit Material der dpa)