Bundeskanzler Olaf Scholz war am Sonntagabend bei Anne Will zu Gast. Bild: screenshot ard
Russland
28.03.2022, 01:5429.03.2022, 09:24
Seit 110 Tagen ist Olaf Scholz deutscher Bundeskanzler. Hat er es sich leichter vorgestellt? Das will Moderatorin Anne Will am Sonntagabend von ihm wissen. "Nein", sagt Scholz. Dabei stellt der Krieg in der Ukraine ihn und seine Führungsqualitäten vor enorme Herausforderungen. Will hat ihn deswegen zu einem einstündigen Einzelinterview in ihre Sendung geladen, in der er Kritik an seiner Politik kaum Raum lässt, einige Worte des US-Präsidenten Bidens teilt, andere nicht – und sich teils sichtlich gerührt zeigt.
Putins Plan, die Ukraine innerhalb kürzester Zeit militärisch zu besetzen, sei am Widerstand der Ukrainer gescheitert, sagt Scholz. Damit hätte Putin nicht gerechnet, genauso wenig damit, dass der Westen geschlossen mit "knallharten Sanktionen" reagiere und zeitgleich nationale Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben erhöht, sowie sich zunehmend aus der Abhängigkeit russischer Energieimporte befreit.
Scholz spricht von lang vorbereiteten Sanktionen
Wenn Scholz über seine Politik im Umgang mit dem Ukraine-Krieg spricht, fallen besonders oft die Worte Zeit, Vorbereitung und Sorgfalt. Und er widerspricht den Vorwürfen, die im Raum stehen: dass Deutschland mit Entscheidungen zu zögerlich gewesen sei; dass Zusagen zu Waffenlieferungen ebenso zu spät gekommen seien wie die Sanktionen gegen Russland, die Entschlüsse zum Zahlungssystem Swift oder klare Aussagen zu einem Energieembargo.
Das Sanktionspaket der EU sei "maßgeblich auch in Berlin" vorbereitet worden, sagt er. "Und zwar weit vor Kriegsausbruch."
Immer wieder beruft sich Scholz auf die europäische Staatengemeinschaft. Er betont: Das, was Deutschland mache, machen die anderen Länder auch. Das soll übersetzt heißen: Wenn Deutschland Versäumnisse und Zurückhaltung vorgeworfen werden, dann gelte das auch für die anderen.
Bundeskanzler lässt kaum Kritik zu – und kontert Will
Scholz lässt kaum Raum für Kritik, den Großteil von Wills Nachfragen entgegnet er mit pragmatischen Erklärungen. Es sei so abgemacht gewesen, dass die Ukraine auch Waffen in Deutschland kaufen könne. Das sei getrennt von den Waffenlieferungen der Bundesregierung zu betrachten. Dass diese nur zögerlich geliefert werden, kommentiert Scholz nicht, sondern wiederholt die Sätze von Verteidigungsministerin Lambrecht und Außenministerin Baerbock: Es werde fortlaufend geliefert, aber öffentlich werde darüber nicht im Detail gesprochen.
Moderatorin Anne Will fragt Scholz nach Versäumnissen und Kritik an seiner Politik während des Ukraine-Kriegs. Bild: screenshot ard
Der Bundeskanzler wirkt an diesem Sonntagabend ausgeruht, souverän, bedacht. "Sie liegen falsch", entgegnet Olaf Scholz einmal Wills kritischen Nachfragen. Mehrfach widerspricht er der Moderatorin in der Sendung, immer mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Es wirkt, als wolle er sagen: "Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber so ist es nicht."
"Die wichtigste Waffe ist die Waffe, die wir einsetzen, und das sind die Sanktionen."
Bundeskanzler Olaf Scholz
Kein überstürzter Energieboykott
Gleichzeitig strahlt er Optimismus aus: Es könne schnell gelingen, die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu verringern. Die Pläne lagen alle lange in der Schublade – er sei schon lange dafür gewesen, sie rauszuholen.
Die Bundesregierung habe er bereits seit Dezember darauf vorbereitet. Sagt er. "Vor Kriegsbeginn!, lässt er in einem Nebensatz einfließen.
"Mit dem größten Tempo" gehe man jetzt den Ausbau von LGN-Terminals an, dafür habe er sich bereits als Bürgermeister von Hamburg eingesetzt. Erneuerbare Energien würden jetzt vorangetrieben werden wie nie zuvor. Gleichzeitig müsse man akzeptieren, dass Energieimporte aus anderen Ländern teurer seien als die russischen.
"Das Geld, das Russland hat, kann Russland nicht nutzen."
Olaf Scholz
Während in Mariupol Menschen in Bunkern verharren, überlege sich Deutschland, wie Gas am günstigsten für seine Bevölkerung bleiben könnte, lautet der Vorwurf vieler, auch der Regierungschefs der baltischen Staaten. Geht es wirklich nur um Geld? "Drei Antworten", stellt Scholz klar. Erstens: Die russische Zentralbank sei sanktioniert, so könne Putin sein Energiegeld gar nicht nutzen. Zweitens: Viele, die einen Boykott fordern, beziehen selbst russische Energie. Drittens: Es gehe um tausende Arbeitsplätze, nicht nur um die eigene Heizung. Wenn Putin den Gashahn abdrehen würde, sei man zwar vorbereitet, trotzdem würden ganze Industrien zusammenbrechen und Arbeitsplätze verloren gehen. Ein überstürzter Stopp, selbst für nur einen Monat, würde eine Wirtschaftskrise auslösen. Doch der langfristige Plan stehe, und "das ist eine Entscheidung, die…", Scholz zögert, "… den Mann im Kreml umtreiben muss."
Bundeskanzler Scholz war kurz vor der russischen Invasion Mitte Februar bei Putin zu Gast.Bild: screenshot ard
Als Scholz über russische Soldaten spricht, wirkt er sichtlich gerührt
Angesprochen auf seinen Besuch beim russischen Präsidenten nur wenige Tage vor Kriegsbeginn, räumt Scholz ein Gefühl der Beängstigung ein. "Ich bin sehr wohl weggegangen mit der Vorstellung, dass eine Invasion passieren kann", erinnert er sich. Beängstigt habe ihn Putins Verständnis von Geopolitik, Grenzen als wertlos anzusehen. Beängstigt habe ihn auch der Anblick der russischen Soldaten bei seinem Besuch in Moskau. "Ich werde die jungen Gesichter der Soldaten nicht vergessen", sagt Scholz sichtlich gerührt. "Ich habe sie mir genau angeschaut und wusste, wenn ein Krieg beginnt, dann werden viele sterben."
Einige Worte Bidens wiederholt Scholz – andere nicht
Ist Putin also ein Schlächter und Kriegsverbrecher, wie US-Präsident Joe Biden es formuliert? Auch auf mehrfache Nachfrage nimmt Scholz diese Worte nicht in den Mund. Es scheint, als wolle er nicht, dass ihm dasselbe passiere wie Biden, der nach seiner Warschauer Rede für einen Satz Kritik einstecken musste. "Dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben", hatte Biden mit Bezug auf Putin gesagt. Ein Fehler sei der Satz nicht gewesen, sagt Scholz, wenn auch zögerlich. Doch: Es sei nicht Ziel der Nato, einen "Regime-Change" in Russland zu vollziehen. Das wolle auch Biden nicht.
Andere Aussagen des amerikanischen Präsidenten wiederholt Scholz dann aber sehr wohl: "We will respond", unterstreicht Scholz Bidens Worte – sollte Russland Chemiewaffen einsetzen. Genauso betont er: Sollte Putin Polen und die baltischen Staaten angreifen, werde man jeden Zentimeter des Nato-Territoriums verteidigen.
"Wer Gewalt einsetzt, um Grenzen zu verschieben, der wird das wieder tun."
Olaf Scholz
Doch eine Vorrausetzung wäre Scholz lieber: "Wir machen uns so stark, dass niemand es wagen kann, uns anzugreifen." Dafür sei das 100-Milliarden-Euro Sondervermögen für die Bundeswehr gedacht, die Scholz, erwähnt er wieder einmal beiläufig und doch bedacht, schon als Bürgermeister in Hamburg stärken wollte. Er sei zuversichtlich, dass gemeinsam mit Oppositionsführer Friedrich Merz die für die Grundgesetzänderung benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht werde. Gekonnt setzt Scholz die Union unter Druck: Niemand in Deutschland würde sich vorstellen wollen, dass das nicht komme, weil "die CDU/CSU es verhindert".
Ein Teil der Verteidigungsstrategie sei es auch, ein Raketenschutzschild über Deutschland zu installieren. Einzelheiten würde er aber nicht "ausplaudern", sagt Scholz. Zu viel über interne Regierungsbesprechungen würde er aber generell nicht erzählen: "Nicht mal in meiner Biografie, falls ich jemals eine schreiben sollte."