Die vom Coronavirus überschattete UN-Generaldebatte hat wachsende Spannungen in der Welt offenbart und Sorge vor einem Kalten Krieg zwischen den USA und China geschürt. Bei der vor allem virtuell abgehaltenen Konferenz dominierten zum Auftakt am Dienstag gegenseitige Vorwürfe der Staatschefs zum Umgang mit Covid-19. US-Präsident Donald Trump forderte, Peking dafür zur Rechenschaft zu ziehen, die Ausbreitung des "China-Virus" nicht gestoppt zu haben. Chinas Staatschef Xi Jinping dagegen sprach sich in Richtung Washingtons gegen Alleingänge und für Solidarität in der Pandemie aus.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte die Führung der Vereinten Nationen in der Corona-Krise und forderte eine Reform der Weltorganisation. "Wir haben gesehen, wie ineffektiv die bestehenden globalen Mechanismen in dieser Krise sind", sagte Erdogan in seiner Videobotschaft. UN-Generalsekretär António Guterres sagte, dass Populismus und Nationalismus an der Aufgabe gescheitert seien, das Virus einzudämmen. Russlands Staatschef Wladimir Putin warb für die von Moskau entwickelte Impfung und für eine Online-Konferenz auf höchster Regierungsebene, um die Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines Wirkstoffes voranzutreiben.
Vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie wird die 75. Generaldebatte der UN-Vollversammlung in diesem Jahr größtenteils virtuell abgehalten. Die Vertreter aller 193 Mitgliedstaaten – darunter weit mehr als 150 Staats- und Regierungschefs – sprechen nicht wie sonst live im UN-Hauptquartier in New York. Ihre Reden wurden vorab per Video aufgezeichnet. In der Halle der Vollversammlung ist jedes Land nur mit einem örtlichen Diplomaten vertreten. Deutschland wird von Außenminister Heiko Maas (SPD) voraussichtlich erst am letzten Tag der Veranstaltung, dem 29. September, vertreten.
Zum Auftakt der Generaldebatte warnte UN-Chef Guterres vor einem "Kalten Krieg" zwischen den USA und China.
Eine technologische und wirtschaftliche Kluft könne leicht eine militärische entstehen lassen.
Es folgte ein indirekter Schlagabtausch Trumps und Xis, bei dem vor allem der US-Präsident Peking sechs Wochen vor der Wahl in den Vereinigten Staaten scharf angriff: "Die chinesische Regierung und die Weltgesundheitsorganisation – die praktisch von China kontrolliert wird – haben fälschlicherweise erklärt, dass es keine Beweise für eine Übertragung von Mensch zu Mensch gäbe". Die UN müssten China für dessen Handlungen zur Rechenschaft ziehen.
Xi, dessen Videobotschaft lange vor Ausstrahlung der Trump-Rede aufgezeichnet wurde, wies Vorwürfe wegen Chinas Umgang mit dem Coronavirus zurück: "Alle Versuche, zu politisieren oder zu brandmarken, sollten vermieden werden". Ohne Trump beim Namen zu nennen, kritisierte er nationale Alleingänge und warb für internationale Lösungen. In den vergangenen Monaten hatten sich die Beziehungen zwischen den USA und China auch wegen der Corona-Pandemie massiv verschlechtert. Der Konflikt berührt mittlerweile fast jeden Aspekt der Beziehungen zwischen den beiden Großmächten.
Der iranische Präsident Hassan Ruhani klagte in seiner Rede über die harten Sanktionen der Trump-Regierung gegen den Islamischen Staat – und wählte dafür einen gewagten Vergleich. "Die Bilder über den Umgang der amerikanischen Polizei mit einem demonstrierenden US-Bürger sind für uns nicht Neues. Das Knie auf dem Hals des US-Bürgers ist wie das Knie des Imperialismus auf dem Hals unabhängiger Staaten", sagte Ruhani.
Er spielte damit auf die Tötung des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in der US-Großstadt Minneapolis Ende Mai an. Ein weißer Beamter drückte sein Knie minutenlang auf Floyds Hals, während dieser flehte, ihn atmen zu lassen. Floyd verlor das Bewusstsein und starb. Sein Tod führte im ganzen Land zu Massenprotesten gegen Polizeigewalt und Rassismus.
Der Iran zahle seit Jahrzehnten einen "ähnlich hohen Preis", sagte Ruhani. Gegenwärtig sei die iranische Bevölkerung den "härtesten Sanktionen" durch die USA ausgesetzt. US-Präsident Trump fährt gegenüber dem Iran einen Kurs des "maximalen Drucks" und hat zahlreiche Sanktionen gegen das Land verhängt.
Frankreich warb für eine Initiative für eine dauerhafte Waffenruhe im vom Bürgerkrieg gezeichneten Libyen. Zusammen mit den den Vereinten Nationen müsse es darum gehen, "alle Nachbarländer zu versammeln", um eine Lösung für das Krisenland auf den Weg zu bringen, sagte Staatschef Emmanuel Macron in seinem Video. "Wir waren gemeinsam zu still im Hinblick auf diese Machenschaften, und wir müssen viel härter in den kommenden Wochen sein", forderte Macron.
Tatsächlich ist am 5. Oktober eine Libyen-Konferenz geplant, die von Deutschland und den Vereinten Nationen organisiert wird. Neben UN-Chef Guterres und Bundesaußenminister Maas sollen auch Vertreter der Vetomächte und der Konfliktparteien teilnehmen.
(lin/dpa)