Im Kampf gegen Kindesmissbrauch haben Ermittler jüngst einige Erfolge erzielt: Bei Durchsuchungen in vier Bundesländern verhafteten Polizisten am Dienstag drei Männer, die wegen der Missbrauchsfälle von Münster ins Visier geraten waren.
Im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach war die Polizei am Montag auf 30.000 Spuren zu Verdächtigen gestoßen und hatte ein weit verzweigtes Netzwerk von Kriminellen entdeckt. Ihnen wird eine Vielzahl von Missbrauchstaten sowie Besitz und Weiterverbreitung von Kinderpornografie zur Last gelegt.
Von bis zu 30.000 Verdächtigen ist die Rede. Diese hohe Zahl hat viele Menschen schockiert. Der Vorsitzende des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Sebastian Fiedler, erklärt im Gespräch mit watson, warum ihn diese Zahl keineswegs überrascht, von wie vielen potenziellen Tätern wir ausgehen müssen – und warum der Bevölkerung gerade langsam klar wird, wie groß das Problem tatsächlich ist.
watson: Bis zu 30.000 Verdächtige in einem Kindesmissbrauch-Komplex – diese Zahl hat viele Menschen erschreckt, weil ihnen die Dimension dieses Themas bisher nicht bewusst war.
Sebastian Fiedler: Das stimmt. Es ist aber gleichzeitig problematisch, wenn man bedenkt, dass wir seit mehreren Jahren in dieser Größenordnung unterwegs sind. Wir haben im vergangenen Jahr schon 16.000 Taten bearbeitet. Wenn Sie nur den Münsteraner Fall nehmen, bei dem wir es mit um die 500 Terabyte Daten (an kinderpornografischem Material, Anm.) zu tun haben, dann ist doch klar, von wie vielen Taten und entsprechend vielen Tätern wir sprechen.
Also ist diese Dimension im Prinzip gar nichts Neues?
Das Neue ist eigentlich nur, dass die Zahlen jetzt bekannt geworden sind und das Justizministerium sagt, wir wollen unsere Organisation anpassen. Im Ministerium ist man offensichtlich der Meinung, dass im Bereich der Kriminalpolizei etwas kompensiert werden muss. Außerdem: Dass wir konkretere Spuren haben in dieser Größenordnung macht es natürlich deutlich, wie viel oder wenig Chancen wir haben, mit unserer Arbeit zurande zu kommen. Das wird jetzt immer deutlicher. Das ist der neue Effekt.
Aber der Fall an sich zeigt eigentlich keine neue Dimension, meinen Sie?
Es gab in der Vergangenheit schon ganz, ganz viele Anhaltspunkte, die uns deutlich machen, wie groß das Problem eigentlich ist. Wenn ein Prozent der Bevölkerung pädophile Neigungen hat, dann wissen wir, über wie viele Hunderttausende mögliche Täter wir sprechen. Jetzt sprechen wir mal konkreter über solche Zahlen und der Bevölkerung wird klarer, in welcher Dimension wir uns ungefähr bewegen.
Warum erst jetzt?
Na ja, im Fall Bergisch Gladbach haben wir uns in die Ermittlungen gestürzt. Wir haben immer gesagt: Wenn wir mal richtig anfangen, dann stoßen wir in ein Wespennest. Das macht auch deutlich, warum jetzt der NRW-Justizminister gesagt hat, dass auch die Justiz organisatorisch nachzieht. Weil das Personal bei der Kriminalpolizei nicht ausreicht.
Braucht es also mehr Ermittler?
Sicher. Es werden aber nicht mehr Ermittler eingesetzt, sondern der Justizminister versucht auf seiner Ebene – der Justiz – Lücken bei der Polizei zu kompensieren. Unter anderem, indem er zusätzliche Staatsanwälte einsetzt.
Spricht das dafür, dass das Problem immer noch nicht ernst genug genommen wird?
Das spricht aus meiner Sicht dafür, dass auch, wenn diese Landesregierung im Bereich der Polizei kleine Schritte unternommen hat, die Probleme um ein Vielfaches größer sind als bisher gedacht. Das weiß natürlich auch der Justizminister.
Also ist es ein organisatorisches Problem?
Organisatorisch, Ressourcen, Kompetenzen, Software – all das. Da wird jetzt nach und nach nachgezogen. Aber das sind zu kleine Schritte im Moment.
Können solche Fälle wie in Münster oder Bergisch Gladbach, so schrecklich sie sind, helfen, mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen?
Auf jeden Fall. Weil dann der Öffentlichkeit und der Politik bewusst wird, wie viele Opfer es tatsächlich gibt. Die Bundesjustizministerin hat sich innerhalb der Bundesregierung den Hut aufgesetzt, und ich habe den Eindruck, nun tut sich auf vielen Ebenen wirklich was.