Interview
Deutschland

Gefahr auf Pro-Palästina-Demos in Berlin: Polizei-Gewerkschaft schlägt Alarm

18.10.2023, Berlin: Teilnehmer einer verbotenen Pro-Palästina-Demonstration zünden in der Nähe der Sonnenallee im Bezirk Neukölln Pyrotechnik. Es wurden auch Steine und Flaschen auf Polizistinnen und  ...
Durch den Israel-Krieg eskaliert auch in Berlin die Lage immer wieder: Polizist:innen und Demonstrierende im Stadtteil Neukölln.Bild: dpa / Paul Zinken
Interview

Gewerkschaft der Polizei schlägt Alarm: "Das kann man nicht allein auf die Berliner Polizei abwälzen"

20.10.2023, 07:28
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Es fliegen Pyrotechnik, Flaschen und Steine auf Polizist:innen. Autos brennen. Es gibt 174 Festnahmen in nur einer Nacht. Die Schadensbilanz der pro-palästinensischen Proteste in Berlin ist beachtlich – dafür, dass diese Demos eigentlich gar nicht erlaubt sind.

Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), spricht mit watson über den Umgang mit den verbotenen Demos und darüber, wie groß die Gefahr für Polizist:innen aktuell ist.

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watson: In Berlin-Neukölln eskaliert die Situation bei pro-palästinensischen Demos aktuell immer wieder. Dabei sind sie eigentlich verboten. Wie verbietet man so eine Pro-Palästina-Demo eigentlich?

Benjamin Jendro: Losgelöst davon, dass Deutschland eine ganz besondere Verantwortung gegenüber Israel trägt, Terrorverherrlichung und Hass-Parolen in unserem Land verboten sind: Pro-Palästina-Demos werden momentan gemäß Gefährdungsprognose untersagt, weil man davon ausgehen muss, dass es dabei zu gewalttätigen Aktionen kommt. Das haben wir in der Vergangenheit leider auch immer wieder erlebt.

Generell gibt es natürlich ein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Wir haben aber gerade eine besondere Lage in Nahost. Da auf diesen Demos nicht nur gehetzt wird, sondern auch Straftaten begangen werden und das den Frieden in Berlin gefährdet, kann diese Versammlung natürlich untersagt werden. Dagegen können Veranstalter zwar vorgehen. Dann prüft das Verwaltungsgericht das Verbot. Aber in Berlin hatten die Verbote bisher vor Gericht Bestand.

Benjamin Jendro, GdP, Gewerkschaft der Polizei
Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei BerlinBild: GdP Berlin / GdP Berlin

Macht das Demo-Verbot die Situation nicht eigentlich viel gefährlicher – weil es statt zentral auf einer Demo dann überall eskalieren kann?

Leider. Spontan-Demos kann man schlecht verhindern: Die Leute suchen sich ihren Weg. Wenn beispielsweise eine Rakete auf Gaza fliegt, kannst du dich spontan versammeln, der Toten gedenken und zu Frieden aufrufen, auch eine Palästina-Flagge zeigen. Das ist legitim. Wenn aber Terror gefeiert, zu Straftaten aufgerufen wird oder gar selbst welche begangen werden, wird das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit missbraucht.

dpatopbilder - 17.10.2023, Berlin: Palästinenser sowie deren Unterstützer streiten sich mit der Polizei vor dem Brandenburger Tor. Nach einer Pro-Palästina-Mahnwache sind nach Angaben der Polizei Eins ...
Polizist:innen bei einer Pro-Palästina-Demo vor dem Brandenburger Tor. Bild: dpa / Paul Zinken

Wie hoch ist die Gefahr für Polizist:innen aktuell?

Wir haben über 80 verletzte Kolleginnen und Kollegen, 65 Polizisten und Polizistinnen wurden in der Nacht auf Donnerstag verletzt, 20 in der Nacht zu Mittwoch. Ich wünsche allen eine vollständige Genesung und alles Gute. Wir reden über Steinwürfe, Pyrotechnik, massive körperliche Gewalt gegen Einsatzkräfte. Es wurde auch eine sogenannte Kugelbombe auf Polizisten geschmissen. Da können wir alle nur froh sein, dass die Lunte nicht gezündet hat. Es gab beispielsweise einen Armbruch. Zum Glück mussten nicht viele in Krankenhaus. Aber wenn einer der Kollegen sein Gehör verliert und er zum Beispiel Beamter auf Probe ist, war es das für ihn mit dem Polizeidienst.

Wie schützen sich die Polizist:innen gegen Angriffe?

Die Kolleginnen und Kollegen sind natürlich entsprechend ausgestattet mit Schutzkleidung und Helm. Sie tragen auch Schlagstöcke und Pfefferspray. Zudem lässt sich kein Polizist auf ein 1:1 ein. Es braucht dann eben auch fünf bis sechs Polizisten, um auf einer Demo jemanden festzunehmen. Und es gibt verschiedene Haltetechniken, die angewandt werden können. Im Nachgang kommt von außen immer die Frage, warum man einer Person, die am Boden liegt, den Arm verdrehen muss. Aber Festnahmen müssen durchgezogen werden und dabei ist die Eigensicherung der wichtigste Baustein. Sie werden nicht glauben, welche Kraft ein Mensch aufbringen kann, wenn er wild um sich tritt, schlägt oder spuckt.

19.10.2023, Berlin: Teilnehmer einer verbotenen Pro-Pal�stina-Demonstration z�nden im Bezirk Neuk�lln Pyrotechnik. Foto: Schreiner/K�uler/TNN/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Pro-palästinensischer Protest in Berlin: Teilnehmer:innen zünden Pyrotechnik.Bild: TNN / Schreiner/Käuler

Was ist gerade am Polizeidienst anders als sonst – ganz konkret?

Wir mussten in Berlin mit ganzen Polizeiketten das Holocaust-Mahnmal am Brandenburger Tor schützen. Allein das sind Bilder, die wollen wir nicht haben. Abgesehen davon sind unsere Kolleginnen und Kollegen 13 bis 14 Stunden am Stück im Dienst. Ich habe diese Woche mit einem Kollegen gesprochen, der von Donnerstag bis Montag gearbeitet hat – und zwar insgesamt 68 Stunden.

Was genau passiert eigentlich mit Leuten, die bei Anti-Israel-Demos festgenommen werden?

Zunächst werden natürlich die Personalien aufgenommen, es werden Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen, wenn noch keine vorliegen. Dafür werden alle festgenommenen Personen zunächst mit an einen anderen Ort genommen. Dann werden entsprechende Strafanzeigen geschrieben. Und es wird überlegt: Wäre es mit Blick auf die Gefährdung sinnvoll, wenn wir die Person dabehalten oder nicht? Wenn eine Person zum Beispiel mit Steinen geschmissen hat, kann sie in Gewahrsam genommen werden. Das geht aktuell für maximal zwei Nächte. In der Regel werden die Leute allerdings direkt wieder entlassen. Nach ein paar Wochen oder auch Monaten bekommen sie dann Post, wo sie informiert werden, dass Ermittlungen aufgenommen wurden.

CDU und SPD haben sich darauf verständigt, den maximalen Gewahrsam auszuweiten – in besonderen Fällen, wie zum Beispiel Gefahr eines terroristischen Anschlags auf sieben, oder Terrorverherrlichung auf fünf Tage. Diese Änderung ist auch mit Blick auf häusliche Gewalt oder die Europameisterschaft wichtig. Da geht es um die Frage, wie wir dann mit der Hooliganszene umgehen: Ob wir jemanden in Gewahrsam nehmen können, damit eine Person nicht nach Berlin kommt, nur um sich zu prügeln.

"Die Polizei bekommt immer einen Vorwurf, entweder sie war zu langsam oder zu brutal."

Viele haben die Polizei dafür kritisiert, dass sie die Demos in Berlin-Neukölln zu langsam aufgelöst hat.

Die Polizei bekommt immer einen Vorwurf, entweder sie war zu langsam oder zu brutal.

Woran liegt es, dass es nicht schneller geht?

Mal ein Beispiel: Am Sonntag hatten die Beamten einen Wasserwerfer dabei. Aber da waren auch Frauen, da waren Kinder. In so einer Situation kannst du keinen Wasserwerfer nutzen. Da sind Tausende Leute auf so einer Demo. Aber die Polizei kann nicht alle wegknüppeln, sie kann auch nicht einfach Tausende Leute festnehmen. Das geht nicht. Du musst also diejenigen finden, die alle anheizen, die Rädelsführer und die, die Straftaten begehen.

Aber wie findet man denn den Rädelsführer einer Demo?

Bei so einer Demo brüllen glücklicherweise nicht Tausende Leute Parolen. Der Rädelsführer ist meist der, der besonders laut brüllt.

Es wirkt aktuell nicht so, als hätten die Politiker:innen Antworten auf die Situation: Fühlen sich die Polizist:innen alleingelassen?

Die Haushaltsberatungen müssen umgehend gestoppt werden, damit wir zusätzliche Finanzmittel für die technische Ausstattung bei Polizei und Justiz bekommen. Wir brauchen jetzt schnell die besprochenen Gesetzesänderungen bezüglich Gewahrsam und müssen das Versammlungsfreiheitsgesetz anpassen. Bei der aktuellen Eskalation ist die Bundespolitik in der Verantwortung, wir haben in der Ausprägung nur in der Hauptstadt diese Lagen und da kann man das nicht allein auf die Berliner Polizei abwälzen.