Noch vor einigen Tagen hatten sich Politiker gegen Schulschließungen wegen des Coronavirus ausgesprochen. Am Freitag folgte nun die Kehrtwende: Die meisten Bundesländer haben inzwischen beschlossen, die Schulen ab kommender Woche zu schließen.
Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sieht die Entscheidung durchaus kritisch, auch, wenn er der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts vertraut. Im Interview mit watson verrät er, was ihn an der Umsetzung gestört hat, was er sich stattdessen gewünscht hätte und wie Schüler und Lehrer mit der Schließung umgehen.
watson: Wie beurteilen Sie die Maßnahme mehrerer Bundesländer, die Schulen ab kommender Woche zu schließen?
Heinz-Peter Meidinger: Wir sind nicht grundsätzlich gegen generelle Schulschließungen, sie müssen aber zum richtigen Zeitpunkt erfolgen und dürfen keine isolierte Maßnahme sein. Nun hat sich heute unter dem Eindruck der steigenden Infektionszahlen die Lageeinschätzung offenbar schnell geändert. Ich habe immer gesagt, wir als Lehrerverband sind keine Fachleute für Virologie, sondern vertrauen auf die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und darauf, dass die Einschätzungen der Gesundheitsminister der Länder und des Bundes verlässlich und zutreffend sind.
Das klingt nicht so, als würden Sie die Schulschließung uneingeschränkt begrüßen. Was genau stört Sie?
Wir kritisieren, dass in so einer zentralen Frage, wo alle Bundesländer von Corona betroffen sind, keine bundeseinheitliche Lösung gefunden wurde. Warum hat sich denn nur in ein paar Bundesländern die Lageeinschätzung geändert? Die Zahlen geben das nicht her.
Sie hätten sich also ein gemeinsames Vorgehen gewünscht?
Ich hätte mir zwei Dinge gewünscht: Erstens ein gemeinsames Vorgehen, denn die Verunsicherung wird in den Ländern, wo die Schulen nicht geschlossen werden, umso größer sein. Zweitens erleben wir leider, dass es offensichtlich keinen Notfallplan gegeben hat. In allen Bundesländern, in denen die Schulen geschlossen werden, warten die Schulen noch auf Lösungsvorschläge für die Umsetzung.
Welche Probleme sehen Sie konkret?
Hier in Bayern wissen wir nicht, wie es mit der Abiturvorbereitung weitergeht. Wir hätten uns einen längeren Vorlauf gewünscht, sowohl im Interesse der Lehrer wie der Schüler. Natürlich stehen uns neben digitalen Plattformen auch traditionelle Mittel zur Verfügung, wie etwa Schulbücher durchzuarbeiten. Der bayerische Bildungsminister meinte vorhin, es sei auch denkbar, Arbeitsaufträge auf postalischem Weg zu verschicken. Das wird an manchen Schulen tatsächlich notwendig sein, weil die digitale Ausstattung einfach mangelhaft ist.
Was bedeutet das konkret?
Naja, der Andrang auf die offizielle digitale Lernplattform war in Bayern so groß, dass sie heute direkt zusammengebrochen sind. Wir sind gespannt, ob es gelingt, die Serverkapazitäten entsprechend hochzufahren, sodass es funktioniert.
Sie meinten vorhin, Schulschließungen dürften keine isolierte Maßnahme sein. Was meinen Sie damit?
An unserer Schule, aber auch generell, muss die Botschaft an die Schüler sein: Ihr habt Verantwortung. Schulschließungen bewirken wenig, wenn auch ihr selbst nicht auf überflüssige soziale Kontakte verzichtet, das heißt, weiter in Kinos, Kneipen oder Jugendzentren geht. Jugendliche sind selbst keine Risikogruppe, haben aber eine soziale Verantwortung gegenüber Risikogruppen. Im schlechtesten Fall bleiben die Kinder zuhause, die Eltern sind auf der Arbeit und die Großeltern als Hauptrisikogruppe passen auf die Kinder auf. Das wäre ein großer Fehler.
Gibt es für das Betreuungsproblem schon Lösungsvorschläge?
Bayern hat eine Notbetreuung zugesagt, allerdings nur für Kinder bis zwölf Jahre, und nur Kinder von Eltern mit systemrelevanten Berufen, also Ärzte, Feuerwehrleute, Polizisten und Krankenschwestern.
In vielen Bereichen ist man also nicht ausreichend auf die Maßnahme vorbereitet?
Schulen zu schließen geht eben schnell für den Staat. Firmen zu schließen oder eine Reduzierung des öffentlichen Nahverkehrs sind da schon andere Hausnummern. Wir vertrauen darauf, dass die Entscheidung notwendig war. Die Zukunft wird zeigen, ob sie sinnvoll war. Wir hoffen aber, dass es einen Effekt gibt.
Wie waren denn eigentlich die Reaktionen der Lehrer?
Die Lehrer haben vor allem ihre Schüler im Blick – vor allem die, die sitzenzubleiben drohen oder eben die Abiturienten.
Und wie haben die Schüler reagiert?
Unterschiedlich. Die jüngeren Schüler eher mit Jubel, nach dem Motto: Hurra, Ferien! In der Mittel- und Oberstufe waren die Reaktionen dagegen kritischer. Die wissen eben, dass sich das durchaus nachteilig auf ihre Schullaufbahn auswirken kann.