Seit gut einem Monat sind die neuen SPD-Vorsitzenden im Amt. Während Norbert Walter-Borjans eine Nebenrolle zu spielen scheint, ist es vor allem Saskia Esken, die mit ihren Vorstößen polarisiert. Wie auch am Wochenende.
Auch Harald Christ ist wenig begeistert von Eskens Vorstoß. Der Unternehmer war bis vor kurzem der Mittelstandsbeauftragte der SPD. Nach 30 Jahren Mitgliedschaft in der Partei trat Christ – nach der Wahl von Esken und Walter-Borjans – im Dezember 2019 aus der SPD aus. Gegenüber watson erklärt er die Gründe für seinen Austritt – und sagt, warum er sich mittlerweile in seiner Entscheidung bestätigt fühlt.
watson: Sie sind Ende letzten Jahres aus der SPD ausgetreten. Bereuen Sie ihre Entscheidung oder war es der richtige Schritt?
Harald Christ: Nach 31 Jahren ist das ein schmerzhafter Prozess, die bisherige politische Heimat zu verlassen, das ist nach wenigen Wochen noch nicht abgeschlossen. Ich bin ja nicht nur aus der Partei ausgetreten, ich habe auch mein gesamtes politisches Engagement für die SPD beendet. Als Letztes der Rücktritt und Austritt als Vizepräsident des Wirtschaftsforums der SPD. Für mich war konsequentes Handeln und Glaubwürdigkeit immer wichtig. Daher waren die Entscheidungen alternativlos. Ich bin in der Bewertung einige Wochen später sehr zufrieden und sehe mich bestätigt in meinen Prognosen. Ich fühle mich frei und kann wieder zuversichtlich mit meinen politischen Überzeugungen nach vorne schauen. Dieser SPD hätte ich mit meinen begrenzten Möglichkeiten nicht mehr helfen können. Dazu ist zu viel zerstört worden an dem, was meine Überzeugungen sind.
Wie beurteilen Sie die Aussage von Saskia Esken, der demokratische Sozialismus sei ein Zielbild der SPD?
Ich halte das für grundlegend falsch und gefährlich für die Zukunft der SPD. Die SPD ist eine linke Volkspartei – das ist auch in Ordnung. Sie tritt für den Ausgleich ein, vor allem Chancengleichheit. Dafür, dass es den Nicht-Privilegierten der Gesellschaft besser geht und dass soziale und gerechte Aspekte berücksichtigt werden müssen. Frau Esken möchte eine sozialistische Bundesrepublik mit demokratischer Legitimation. Sie möchte Enteignungen und staatliche Steuerung in vielen Belangen salonfähig machen – weit über die Bereiche hinaus, wo es durchaus auch vernünftig sein kann, dass der Staat eine starke Rolle haben sollte.
Wie kommen Sie zu dieser Überzeugung?
Esken hat keine Ahnung von der Komplexität und den Zusammenhängen ökonomischer Auswirkungen, woher auch. Sie streut den Menschen Sand in die Augen, wenn sie die Hoffnung erweckt, in einem demokratischen Sozialismus würde es vielen besser gehen. Im Gegenteil – wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verlieren, unsere Innovationskräfte verloren gehen, hat es sehr negative Auswirkungen auf unterschiedlichen Ebenen. Wenn Frau Esken morgen könnte, würde sie sofort eine Regierung mit der Linken im Bund eingehen. Das ist nicht mein Modell für Deutschland – dagegen werde ich kämpfen, mit allen Ressourcen die mir zur Verfügung stehen.
Naja, immerhin gelingt es Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, dass sie Ideen präsentieren, über die gerade ganz Deutschland diskutiert.
Sie meinen die inflationären Vorstöße in den Medien und der Populismus, der damit verbunden ist? Ich erkenne dahinter keine Strategie und es macht so auch keinen Sinn. Die letzten Umfragen zeigen, dass die SPD auch davon nicht profitiert – im Gegenteil.
Sie meinen die 12,5 Prozent in der Insa-Umfrage vom Dienstag. In dieser Größenordnung sind die SPD-Umfragewerte aber doch schon seit der Europawahl im Mai.
Ich möchte fair bleiben. Nicht alles, was von Esken und Walter-Borjana gesagt und gefordert wird, ist falsch. Ich würde mir nur wünschen, ein Gesamtkonzept für die Zukunft unseres Landes dahinter zu erkennen. Das fällt mir schwer. Gut, dass es in der SPD-Bundestagsfraktion und auch in der Regierung weiterhin gute Sozialdemokraten gibt, die es schaffen, diese Entgleisungen einigermaßen aufzufangen. Übrigens habe ich nie ausgeschlossen, gute Köpfe parteienübergreifend weiterhin zu unterstützen.
Glauben Sie denn nicht, dass die SPD mit einem Linksruck auch verloren gegangene Wähler zurückholen kann?
Nein, ich halte das für einen völlig falschen Weg. Ich war immer der Meinung, eine starke SPD muss sich breit aufstellen und dafür ein politisches Angebot machen. Das ist auch einer der Gründe für meine konsequente Entscheidung. Einfach weil ich diese Überzeugungen nicht mehr als realisierbar einschätze. Die SPD macht eine ordentliche Regierungsarbeit und hat auch vieles erreicht in dieser großen Koalition, die ich von Anfang an kritisch gesehen habe. Ich möchte das inhaltlich mal gar nicht weiter bewerten. Es gibt keinen Grund für einen Kurswechsel. Vielmehr sollte die Partei darüber nachdenken, wie sie verlorenes Vertrauen wieder zurückgewinnen kann bei den Wählerinnen und Wählern, auch bei jungen Menschen. Ständig neue Verteilungsvorschläge und Angriffe gegen die da "oben", was derzeit auch den besser verdienenden Facharbeiter trifft, helfen da nicht weiter. Es steht mir aber nicht zu, hier ständig den "Konzertkritiker" zu mimen. Ich bin raus!
Was hätte eine andere Parteispitze in Ihren Augen denn besser gemacht?
Es ist kein Geheimnis. Ich hätte mir gewünscht, dass Klara Geywitz und Olaf Scholz, in dieser für die deutsche Sozialdemokratie herausfordernden Zeit, die Partei führen. Ein Parteivorsitzender muss jederzeit auch in der Lage sein, Kanzler zu sein. Das trifft auf Olaf Scholz zu. Nicht nur seine Erfahrung und politische Lebensleistung zeigt das, auch die jüngsten Umfragen in der Bevölkerung. Olaf Scholz ist sicher nicht der schillernde Volkstribun mit populistischen Fähigkeiten. Er ist ein besonnener und pragmatischer, kluger Mann, der Verantwortung übernimmt und dieser auch gerecht wird. Ich bin mir sicher, wäre er gewählt worden, dann würden wir dieses Interview mit Ihren Fragen so nicht führen.
Haben Sie inzwischen eine andere politische Heimat gefunden?
Nein. Auch wenn das zwischenzeitlich die Gerüchteküche besser wissen wollte als ich selbst. Ich habe von Anfang an gesagt, ich denke den gesamten Januar darüber nach und das an einem anderen Ort in dieser Welt. Abstand tut gut dabei. Es gibt zahlreiche Optionen und Anfragen, aber so etwas sollte gut durchdacht sein. Nur eins ist für mich klar – auch wenn ich kein politisches Amt derzeit anstrebe – eine politische, konstruktive Stimme für unser Land möchte und werde ich bleiben. Also: Es bleibt spannend.
Das heißt? Gibt es eine Partei, die Ihre Vorstellungen von Sozialdemokratie besser vertritt?
Es geht nicht um meine Vorstellungen von Sozialdemokratie. Es geht um meine Vorstellung von besserer Politik und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Es geht mir darum, dass wir alle Verantwortung tragen und die komplexe Transformation unserer Zukunft sozial, ökonomisch und ökologisch ausbalanciert organisieren. Ein starkes Deutschland in einem starken Europa mit einer verantwortungsvollen Rolle nach innen und nach außen. Frei von ideologischen Barrieren und vor allem für die Menschen, die wieder mehr Vertrauen suchen in das, was wir Politik nennen.