Nach der Strafmaßverkündung gegen den Ex-Poliisten, der George Floyd getötet hat, gingen erneut Menschen auf die Straße, um gegen Polizeigewalt zu demonstrieren.Bild: dpa / Julio Cortez
Interview
26.06.2021, 15:4627.06.2021, 09:19
Lukas Armbrust
22 Jahre und sechs Monate Haft. So lautet das Strafmaß für den Angeklagten Derek Chauvin im Gerichtsprozess zum Mord am Schwarzen US-Amerikaner George Floyd, das am 25. Juni endlich verkündet wurde. Der Ex-Polizist war bereits im April in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen geworden.
Im vergangenen Jahr hatte Chauvin bei einem Polizei-Einsatz mehr als neun Minuten auf dem Hals des am Boden liegenden Afroamerikaners Floyd gekniet, der daraufhin das Bewusstsein verlor und starb. Die Szene wurde auf einem Handyvideo festgehalten und löste weltweit Massenproteste gegen rassistische Polizeigewalt aus.
Mit der "Black Lives Matter"-Bewegung solidarisierten sich auch in Deutschland zehntausende Menschen. Dadurch rückten auch Rassismus und Rechtsextremismus in deutschen Sicherheitsbehörden in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte: Menschen mit Rassismuserfahrungen kritisierten "Racial Profiling" – also die Praxis, dass Polizisten eine Person nicht aufgrund eines konkreten Verdachts, sondern allein aufgrund ihres Aussehens kontrollieren.
Menschen verschränken die Arme miteinander, als das Urteil für Derek Chauvin vor dem Hennepin County Government Center in Minneapolis, Minnesota verlesen wird.Bild: dpa / Evan Frost
Im vergangenen Jahr wurde außerdem bekannt, dass einige Politikerinnen und Politiker sowie andere Personen des öffentlichen Lebens teils volksverhetzende Drohschreiben mit dem Absender "NSU 2.0" erhalten hatten. Der kürzlich ermittelte Tatverdächtige ist zwar kein Polizist, es bleibt jedoch weiterhin ungeklärt, warum die Adressen der Drohschreiben-Empfänger vorab auf Polizeicomputern abgerufen wurden.
In mehreren Bundesländern wurden polizeiinterne Chatgruppen bekannt, in denen Beamtinnen und Beamte rechtsextreme Inhalte geteilt hatten. Nach Fällen in Nordrhein-Westfalen und Berlin machte jüngst der hessische Innenminister bekannt, dass in Frankfurt 49 aktive Beamte an einem Chat beteiligt gewesen sein sollen, in denen unter anderem Hakenkreuze und Hitler-Bilder ausgetauscht wurden. Einige von ihnen waren auch beim Terroranschlag von Hanau im Einsatz, bei dem neun Menschen ermordet wurden.
Wie hat sich der Umgang mit rassistischer Polizeigewalt in Deutschland verändert? Braucht es eine neutrale Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger, die der Polizei Rassismus vorwerfen?
Darüber hat watson mit Sebastian Fiedler gesprochen, Kriminalhauptkommissar, seit 2018 Vorsitzender des Bunds deutscher Kriminalbeamter (BDK) – und SPD-Bundestagskandidat im Wahlkreis Mülheim – Essen I.
"Überrascht hat mich, dass viele Politikerinnen und Politiker die Zustände in den USA mit denen in Deutschland gleichgesetzt haben. Das hat mich geärgert."
Watson: Vor über einem Jahr hat sich das Video, auf dem ein Polizist George Floyd brutal tötet, rasant online verbreitet. Was haben Sie gedacht, als sie das Video gesehen haben?
Fiedler: Ich habe dasselbe gedacht wie wahrscheinlich alle Menschen: Dass man sich so etwas nicht hätte vorstellen können. Ich hatte mir schon einige Male vorher gedacht, dass ich die Zustände in den Vereinigten Staaten relativ dramatisch finde.
Es ist in den USA passiert. Aber auch hier in Deutschland sind nach Floyds Tötung zehntausende Menschen auf die Straße gegangen. Viele Aktivistinnen und Aktivisten machten darauf aufmerksam, dass es auch hierzulande Fälle rassistischer Polizeigewalt gab und gibt. Hat Sie das überrascht?
Wir führen solche Diskussionen in Deutschland schon lange, auch schon vor dem Fall von George Floyd. Überrascht hat mich aber, dass viele Politikerinnen und Politiker die Zustände in den USA mit denen in Deutschland gleichgesetzt haben. Das hat mich geärgert.
Was hat sich in Deutschland im Umgang mit rassistischer Polizeigewalt seit dem vergangenen Jahr verändert?
In Nordrhein-Westfalen wurde beispielsweise eine neue Stabstelle für Rechtsextremismus eingerichtet, an der auch Wissenschaftler beteiligt sind. Viele Dinge, die wir schon länger angemahnt haben, werden dort umgesetzt: Es soll begleitete Beobachtungen im Dienstalltag der Polizeibeamten geben und so etwas wie Supervision soll eingepflegt werden.
Und sonst?
In der öffentlichen Debatte hat sich viel verändert. Ich kann mich noch gut an die Diskussionen zu Studien über Rassismus in der Polizei erinnern, die ich mit Bundesinnenminister Horst Seehofer teils über die Medien geführt habe. Es hat sehr lange gedauert, aber jetzt bekommen wir zumindest eine Studie zur Polizei in Deutschland.
Sebastian Fiedler ist Vorsitzender des Bunds deutscher Kriminalbeamter und SPD-Bundestagskandidat.bild: Bund deutscher kriminalbeamter
Sie sprechen von der Studie, die Seehofer vergangenes Jahr in Auftrag gegeben hat. Darin soll laut Innenministerium die Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeibeamtinnen und -beamten untersucht werden. Der Bund deutscher Kriminalbeamter, dessen Vorsitzender Sie sind, hatte sich das anders vorgestellt.
Richtig. Wir haben bereits 2019 gefordert, in einer wissenschaftlichen Untersuchung breiter anzusetzen und die Einstellungen der Menschen zu untersuchen, die in den Sicherheitsbehörden arbeiten. Rassismus ist nur eines von vielen Vorurteilen. Wenn ich die Studie nur darauf beschränken würde, würde ich beispielsweise homophobe Vorurteilsmuster ausschließen. Deshalb haben wir die Einstellungen als Untersuchungsgegenstand eingefordert. Aber die Diskussionen, die wir im vergangenen Jahr geführt haben, haben solche Untersuchungen nicht leichter gemacht.
"Ganz allgemein gesprochen kann eine persönliche Einstellung auch im Dienstalltag in Erscheinung treten. Dafür gibt es durchaus Indizien."
Wie meinen Sie das?
Wir müssen befürchten, dass viele jetzt die Antworten geben, die erwartet werden. Deswegen halten wir es für wichtig, dass es auch beobachtende Untersuchungen gibt wie in NRW.
Demonstration in Berlin gegen Polizeigewalt und Rassismus.Bild: dpa / Christoph Soeder
Es werden immer wieder Fälle von Rechtsextremismus innerhalb der Polizei bekannt. Vergangene Woche löste der hessische Innenminister das Frankfurter Spezialeinsatzkommando (SEK) auf. Insgesamt 20 SEK-Beamte werden beschuldigt, in Chats rechtsextreme Beiträge geteilt haben. Besteht ein Zusammenhang zwischen solchen Chatgruppen und rassistischer Polizeigewalt?
Ich habe für diesen Fall begründeten Anlass dafür, eine differenzierte Darstellung abzuwarten. Ihre Frage können Ihnen nur Wissenschaftler beantworten. Ganz allgemein gesprochen kann eine persönliche Einstellung auch im Dienstalltag in Erscheinung treten. Dafür gibt es durchaus Indizien.
Glauben Sie, es braucht unabhängige Anlaufstellen für Beamte, die womöglich bei ihren Vorgesetzten kein Gehör finden, wenn sie rechtsextreme Chatgruppen melden?
Ich persönlich halte eine Diskussion über unterschiedliche Stellen für angezeigt. Eine interne Ansprechstelle für Polizisten, die sich aus der Organisation heraus melden wollen, finden wir sehr begrüßenswert. Dazu gibt es auch eine EU-Richtlinie, die eigentlich bis Ende des Jahres umgesetzt werden muss.
"Das Vertrauen in die Polizei in Deutschland ist im Vergleich zum Ausland immer noch ausgesprochen hoch. Aber es ist nicht in allen Bevölkerungsgruppen gleich ausgeprägt."
Und was halten Sie von der Forderung, eine neutrale Ansprechstelle für Bürgerinnen und Bürger einzurichten, die sagen, dass sie rassistische Polizeigewalt erlebt haben?
Es gibt politische Forderungen, dass die gleiche interne Ansprechstelle für Polizisten auch Bürgern offenstehen sollte. Das halte ich jedoch nicht für überzeugend, weil es einen Widerspruch mit sich bringt: Ein und dieselbe Stelle würde sich einerseits für die Polizei engagieren und andererseits Beschwerden gegen die Polizei aufnehmen. Deshalb bräuchte es aus meiner Sicht eine Diskussion über eine weitere Stelle, speziell für Bürgerinnen und Bürger. Krude finde ich allerdings die Vorstellung, diese externe Stelle dann mit Ermittlungskompetenzen zu betrauen. Unter anderem weil letztlich die Personen, die dort ermitteln, vorab bei der Polizei ausgebildet werden müssten.
Wie viel Vertrauen verliert die Polizei durch Berichte über rechtsextreme Chatgruppen?
Man muss ganz allgemein sagen, dass das Vertrauen in die Polizei in Deutschland im Vergleich zum Ausland ausgesprochen hoch ist. Aber es ist nicht in allen Bevölkerungsgruppen gleich ausgeprägt. Bei bestimmten Veranstaltungen bekomme ich von verschiedenen Communitys immer wieder beschrieben, dass man sich nicht gut fühlt.
Inwiefern?
Das hat weniger mit der Berichterstattung über solche Chatgruppen zu tun, sondern eher mit der Frage, wann die Person von der Polizei kontrolliert wird und wie sie dabei behandelt wird.
Wie kann die Polizei Vertrauen zurückgewinnen bei Menschen, die solche Erfahrungen machen?
Zum Beispiel durch Austausch und Dialog auf speziellen Veranstaltungen. Dort kann man auf der einen Seite erklären, dass nicht alles, was für „Racial Profiling“ gehalten wird – also dass die Polizei Personen nur wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert – auch genau das ist. Es ist nicht verboten, das äußere Erscheinungsbild einer Person miteinzubeziehen. Es darf nur nicht das einzige Kriterium sein – das ist der entscheidende Punkt. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass man versucht, die Sorgen und Nöte migrantisch geprägter Communitys ernst zu nehmen. Wegen der Corona-Pandemie sind viele Veranstaltungen ausgefallen, aber das könnte man eventuell bald wieder aufnehmen.