Die Empörung über ein kurzes Video des WDR ist immer noch riesig: Am Freitag hatte der Sender die Aufnahme eines satirischen Liedes, gesungen vom WDR-Kinderchor, veröffentlicht. "Meine Oma ist ne alte Umweltsau", hieß es darin.
Mittlerweile ist das Video gelöscht, der WDR hat sich entschuldigt. Die Aufregung aber ebbt nicht ab.
Schon kurz vor Weihnachten hatte ein satirisch gemeinter Tweet von "Fridays for Future" auf Twitter einen Shitstorm ausgelöst. Ziel des Spottes war auch hier die Großeltern-Generation.
Wie groß ist der Konflikt zwischen Jung und Alt in Deutschland? Wie berechtigt ist die Kritik der "Fridays For Future"-Generation an den Älteren? Über diese Frage haben wir mit dem Generationenforscher Wolfgang Gründinger gesprochen. Er ist Autor des Buchs "Alte Säcke Politik" und Botschafter der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen.
Watson: Wie fanden Sie das WDR-Video?
Wolfgang Gründinger: Es war nicht meine Humorebene. Aber die wird auch selten getroffen, wenn ein Radio- oder Fernsehsender eine humoristische Einlage bringt. Das Video ist aber nicht etwas, über das ich mich aufgeregt hätte.
War es dann falsch, das Video zu löschen?
Ja, wenn wir schon eine Humorzensur machen, wenn sich rechte Kräfte angegangen fühlen, müssten wir noch mehr verbieten. Das ZDF hat sich im Fall Böhmermann lange bemüht, den Rechtsstreit gegen Erdogan zu gewinnen. Wenn jetzt selbst Intendanten den eigenen Sender kritisieren, dann sind die Maßstäbe verrutscht.
Ziel der Satire des WDR waren ganz klar ältere Generationen. Ist die Kritik beim Thema Klimaschutz gerechtfertigt?
Es geht in diesem Lied um eine fiktive Person, nicht um eine bestimmte Generation. Auch das Kinderlied "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" handelt ja von einer fiktiven Person, nicht von einer echten Oma. So ist das Video des WDR zu verstehen: Auch dort fährt eine Oma im Hühnerstall Motorrad – eine absurde Situation, die gar nicht stimmen kann, und daher klar Satire. Eine fiktive Person wird verballhornt. Jeder, der klar denken kann, kann das als Witz verstehen.
Aber die Botschaft des Liedes ist schon deutlich.
Selbst wenn man es als Generationenbild auffassen sollte, trifft es nicht die Generation, die in den 50er Jahren im Nachkriegsdeutschland lebte. Sondern die Großeltern der Kinder, nämlich die Boomer-Generation, die heute an den Hebeln von Politik, Wirtschaft und Kultur sitzt. Dazu zählt auch der WDR-Intendant selbst. Diese Generation hat aufgrund ihrer Ressourcenausstattung einen hohen Klimaverbrauch. Sollte man das Lied so interpretieren, ist die darin raushörbare Kritik also größtenteils richtig.
Was stört Sie an der Debatte über das WDR-Video?
Wenn im privaten oder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen junge Menschen beleidigt werden, regt sich niemand auf. Letztens hat sich ein Moderator im rbb eine halbe Stunde über Philipp Amthor lustig gemacht wegen seines Alters, da hat keiner aufgeschrien. Niemand nimmt junge Menschen in Schutz. Aber wenn es um die Alten geht, ist die Aufregung riesig. Das zeigt die Macht der Boomer und die damit verbundene Macht von rechten Kräften, die den Diskurs so stark bestimmen, dass selbst so harmlose Beiträge wie dieser gelöscht werden.
"Umweltsau" ist ja schon ein deftiges Wort. "Fridays for Future" twitterte kürzlich: "Warum reden uns die Großeltern eigentlich immer noch jedes Jahr rein? Die sind doch eh bald nicht mehr dabei." Ist das nicht zu provozierend?
Dieser Tweet von Fridays for Future war in der Tat missglückt. Man hat sich entschuldigt, damit ist die Sache vom Tisch. Es gibt auch die Grandparents For Future, die gesagt haben, wir haben uns von diesem Tweet nicht beleidigt gefühlt und wussten, was ihr damit sagen wolltet. Jedenfalls war das nur ein Tweet.
Aber die Gegenbewegung steht jetzt vor dem WDR-Gebäude und grölt antisemitische Parolen. Die Gegenbewegung hängt Greta-Puppen an einer Autobahnbrücke auf. Ein Gericht urteilt, dass eine Politikerin die Beleidigung "Drecksfotze" hinnehmen muss und auf der anderen Seite wird ein harmloses Video, das den Begriff "Umweltsau" enthält, gelöscht. Da verrutschen die Maßstäbe in der Debatte.
Sie haben ja angesprochen, dass die Boomer-Generation ihren Teil zum Klimawandel beigetragen hat. Hat diese Generation da eine besondere Verantwortung in Sachen Klimaschutz?
Die Boomer-Generation hat den Klimawandel geschehen lassen und hat jetzt die Verantwortung als wohlhabendste und zahlenstärkste Generation, ihren Teil beizutragen und zu helfen, die Klimakrise zu lösen. Die junge Generation ist ja noch gar nicht an der Macht. Die jungen Klima-Demonstranten haben oft noch nicht mal das Wahlrecht. Die Boomer müssen die richtigen Regeln beschließen, damit Klimaschutz nicht nur auf das Individuum abgeschoben wird, sondern dass die gesamte Gesellschaft nachhaltig leben kann.
Wie müsste denn eine Debatte aussehen, die uns diesem Ziel näherbringt?
Wenn uns etwas aufregt in den sozialen Medien, sollten wir uns ordnen und fragen: Stimmt das wirklich, was da gesagt wird? Oft sind Schlagzeilen der Presse oder Tweets in ihrer Überspitzung falsch, sie sind aus dem Kontext gerissen und damit nicht ganz wahr. Das ist bei den meisten Dingen so, die uns aufregen. Tweets sind so formuliert, um Retweets und damit die Verbreitung von politischen Botschaften zu erreichen.
Deswegen sollte Regel Nummer eins sein, jede Behauptung zu überprüfen. Leider tun das vor allem die Babyboomer nicht. Sie sind nicht mit Online-Medien aufgewachsen und können Fake News schlechter von wahren Nachrichten unterschieden als junge Menschen.
Ergab nicht die Pisa-Studie, dass die Schüler ein Problem damit haben, Meinung und Tatsachen auseinanderzuhalten?
Leider wird die Pisa-Studie nicht generationsübergreifend geführt, wir haben also keine Vergleichswerte zu den Älteren. Es gibt aber Studien etwa aus den USA, die das Problem Fake News altersübergreifend untersucht haben. Mit dem Ergebnis, dass junge Menschen besser zwischen Falschnachrichten und Tatsachen-Berichten unterscheiden können.
Noch einmal zurück zur Art und Weise, wie die "Fridays for Future"-Generation kommuniziert. Sollte sie nicht etwas vorsichtiger in der Debatte vorgehen?
Junge Menschen sind zurecht sehr fordernd und ungeduldig. Sie wünschen sich klare und radikale Antworten. Sie sind aufgewachsen und sehen, dass für das Klimaproblem seit 30 Jahren keine Maßnahmen ergriffen wurden, die dessen Ursachen lösen. Deswegen sind die Tweets so radikal formuliert. Ich würde mir wünschen, dass man da auch manchmal nochmal überlegt und jemanden drüber gucken lässt, bevor man den Tweet abschickt.
Wie viel Streit zwischen Jung und Alt verträgt eine Gesellschaft?
Wir müssen streiten, das gehört zum Konflikt dazu und ist natürlich in jeder Gesellschaft. Aber der Vorwurf an die Jungen, sie würden den Generationenkrieg ausrufen, ist absurd. Die Jungen könnten so einen Krieg gar nicht gewinnen, denn die Alten haben die Macht. Und deshalb müssen sich die Alten zu den Bündnispartnern der Jungen machen. Und zwar nicht nur der eigenen Kinder und Enkel, sondern aller jungen Menschen – vor allem derjenigen, die diese Solidarität am dringendsten benötigen. Liebe Alte: Wir brauchen euch!