Eine Chatgruppe mit 29 Mitgliedern, in der Hitler-Bilder und menschenverachtende Witze geteilt werden. Ein Leipziger Polizeikommissar, der rassistische Äußerungen in Chats gemacht haben soll. Rechtsextremen Chats voller rassistischer Inhalte auch Verfassungsschutz in NRW und offenbar auch bei der Polizei Berlin.
Zuletzt sind erneut Fälle von Rechtsextremismus in der Polizei bekannt geworden, 350 Verdachtsfälle in den Sicherheitsbehörden meldet das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Was kann getan werden, damit Polizeibeamte sich nicht von Rechtsextremen umgarnen lassen? Und was bewirkt es, wenn mehr Menschen mit Migrationsgeschichte die Polizeiuniform tragen? watson hat darüber mit Sebastian Fiedler gesprochen, Kriminalhauptkommissar und seit 2018 Vorsitzender des Bunds deutscher Kriminalbeamter.
watson: Herr Fiedler, Sie sprechen sich als Vertreter der Kriminalpolizisten seit Monaten öffentlich dafür aus, dass Rassismus in der Polizei von außen wissenschaftlich untersucht wird. Wann haben Sie gemerkt, dass das nötig ist?
Sebastian Fiedler: Auf jeden Fall im September 2019. Da haben wir uns im Bundesvorstand des Bund Deutscher Kriminalbeamter damit auseinandergesetzt. Die Anlässe dafür waren die Entdeckung der rechtsextremistischen Prepper-Gruppe "Nordkreuz", zu der auch Polizisten gehörten, die sich mit Munition versorgt haben. Und selbstverständlich die Drohschreiben, die unter dem Kürzel NSU 2.0 verschickt wurden – und für die Daten von Polizeicomputern abgefragt worden waren.
Wie sollte so eine Rassismus-Studie konkret aussehen?
Wir haben damals gesagt, dass Wissenschaftler sich alle Sicherheitsbehörden in Deutschland standardisiert und anonymisiert anschauen sollen. Dass das ein Mosaiksteinchen in unserer Bemühung sein soll, bei der Bevölkerung um Vertrauen zu werben. Wir wollen mit einer solchen Studie herausfinden, welche Einstellung die Menschen haben, die für die Sicherheitsbehörden arbeiten.
Wie groß ist der Zuspruch für eine solche Studie bei Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Polizei?
Nach meiner persönlichen Wahrnehmung ist da die Stimmung ein Stück weit gekippt, in Richtung unserer Argumentation: Mehr Polizistinnen und Polizisten sind für eine Studie. In den vergangenen Wochen sind einige Kolleginnen und Kollegen auf mich zugekommen, die meinten, sie seien früher eher skeptisch gewesen – aber inzwischen davon überzeugt, dass eine solche Studie sinnvoll ist.
Sie haben kürzlich in den "Tagesthemen" gesagt, der Spruch "ein Ei verdirbt den Brei" könne bei der Polizei wahr werden, wenn Vertrauen bei den Bürgern durch rechtsextremistische Umtriebe verloren geht. Was muss, neben der erwähnten Rassismus-Untersuchung, getan werden, um das zu verhindern?
Wir müssen uns genauer damit beschäftigen, wie die Radikalisierung in den uns bekannten Fällen geschehen ist. Es scheint ja so zu sein, dass digitale Chatforen da eine große Rolle gespielt haben. Folglich müssen wir uns mit dieser Frage auseinandersetzen: Wie können wir die breite Masse in den Sicherheitsbehörden stärken? Wir haben bei dem Fall in Essen gesehen: 14 der 31 Polizisten in der Chatgruppe waren dort passiv unterwegs. Aber sie haben sich nicht nach außen gewandt, haben niemanden auf die rechtsextremistischen Ausfälle hingewiesen.
Sie wollen also die Zivilcourage bei Polizeibeamten in Umgang mit Rechtsextremismus unter Kollegen stärken?
Genau. Wir diskutieren gerade in vielen Bundesländern darüber, die Polizeibeauftragten neu aufzustellen: In Hessen war das zum Beispiel bisher jemand, der direkt aus der Polizei kam, jetzt soll es eine externe Person sein. Wir müssen es den Polizisten, die Missstände bemerken, leichter machen, sich nach außen zu wenden. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass das auch anonym möglich sein sollte. Ich glaube, wir sollten weniger Energie darauf verwenden, wo genau wir schwarze Schafe entdecken – sondern eher der breiten Masse der Polizisten den Rücken stärken, damit sie solche Fälle selbst melden.
Also eine Art Whistleblower-System innerhalb der Polizei.
Genau. Wir brauchen ein abgestuftes System, um etwa Fälle von Rechtsextremismus zu melden. Und die letzte Meldestufe, wenn die vorherigen Stufen nichts gebracht haben, sollte zu einer externen Stelle führen. Da müssen Profis sitzen, die solche Fälle juristisch einschätzen können. Diese Profis sollten die Polizisten, die so etwas melden, aber auch beraten. Viele Kollegen befürchten ja, dass sie am Pranger stehen, dass sie dann nicht mehr in ihrer Dienststelle arbeiten können, wenn sie so etwas gemeldet haben.
Sie haben darauf hingewiesen, dass interne Chatgruppen die Radikalisierung mancher Polizeibeamter beschleunigt haben. Wie sollte die Polizei mit diesen internen Chatgruppen umgehen?
Man könnte es sich leicht machen: Eigentlich haben dienstliche Inhalte in solchen Chatgruppen nichts zu suchen, da ist die Rechtslage aus meiner Sicht klar. Aber um zu verhindern, dass Polizisten Dienstliches zum Beispiel in privaten WhatsApp-Nachrichten besprechen, brauchen sie eine Alternative. Sie brauchen also erstens Dienst-Smartphones und zweitens einen polizeiinternen Messenger. In vielen Unternehmen werden ja auch dienstliche Messenger wie Slack genutzt. Die Kommunikation über private Chats zu verbieten, ohne eine dienstliche Alternative zu ermöglichen, wäre weltfremd: Heutzutage kommuniziert man eben vieles über Messenger.
Besonders Menschen mit Migrationsgeschichte erzählen oft, dass ihr Vertrauen in die Polizei gering ist: Weil sie an öffentlichen Orten oft die einzigen sind, die kontrolliert werden. Weil sie das Gefühl haben, alleine ihr Aussehen mache sie in den Augen vieler Polizisten verdächtig. Was sagen sie jemandem, der solche Erfahrungen gemacht hat?
Erstens, dass ich es ernst nehme, wenn Menschen das Gefühl haben, von der Polizei wegen ihres Aussehens diskriminiert zu werden. Und dann, dass solche Kontrollen rein wegen des Aussehens rechtswidrig und für die Polizeiarbeit auch gar nicht zielführend sind. Wir müssen zwei Dinge stärken, um Polizisten für Diskriminierung zu sensibilisieren: die Bildungsarbeit von Polizeibeamten und den Dialog zwischen Sicherheitsbehörden und Organisationen von Migrantinnen und Migranten. Es ist wichtig, dass sich Polizisten anhören, was Menschen mit Migrationshintergrund zu sagen haben – und andersrum. Ein Aspekt kommt mir in der Debatte um Rechtsextremismus und Rechtspopulismus aber zu kurz...
Was meinen Sie?
Wir sollten nicht nur beobachten, was in der Polizei selbst passiert. Sondern wir müssen auch darauf schauen, wie zum Beispiel die AfD versucht, bei der Polizei und anderen Sicherheitsbehörden um Sympathie zu werben. Die legen es auf Destabilisierung an, sie wollen den Staat in ihren Grundfesten erschüttern. Und ein Teil davon ist der Versuch, zum Beispiel Polizisten zu umarmen: Die Rechten stellen sich als die einzigen dar, die angeblich wirklich den Rechtsstaat durchsetzen können. Und sie sprechen immer wieder die Missstände an, mit denen Polizisten tatsächlich Tag für Tag zu tun haben. Bei einigen Fällen von Rechtsextremismus in der Polizei haben wir gesehen, dass diese Strategie auch funktioniert hat. Eine wichtige Frage ist deshalb, wie wir die Polizei widerstandsfähiger gegen solche Strategien machen können.
Mit der Strategie, die Sie da beschreiben, docken Rechte an ein bekanntes Problem an: Viele Polizistinnen und Polizisten treffen Menschen aus bestimmten Bevölkerungsgruppen vor allem, wenn die etwas Schlechtes getan haben. Und diese Erfahrungen können dann zu negativen Urteilen über die gesamte Gruppe führen oder bestehende Vorurteile verstärken. Was lässt sich dagegen tun?
Ich will das mit einer Parallele erklären: Um die Kollegen in der Polizei, die sich bei Ermittlungen kinderpornografisches Material anschauen müssen, kümmert sich die Polizeiseelsorge. Dadurch soll verhindert werden, dass die Polizisten seelische Schäden davontragen. Aber wenn zum Beispiel Kollegen auf einer bestimmten Wache in einer Großstadt im Ruhrgebiet regelmäßig mit Kriminellen migrantischer Herkunft zu tun haben und sie dann vielleicht auch noch erleben, dass sie Menschen vor Gericht bringen und diese dann wieder frei kommen, dann können sich diese Kollegen an niemanden wenden. Oder Kollegen, denen auf Demonstrationen hin und wieder Steine um die Ohren fliegen: Für die gibt es nichts, keine Organe, an die sie sich wenden können.
Wie lässt sich das ändern?
Wir müssen in der Polizei ein Risikomanagement etablieren: Wer hat ein höheres Risiko, auf die Strategien von Rechtsextremen hereinzufallen – und wer ein geringeres? Ich war zum Beispiel in der Abteilung Wirtschaftskriminalität: Okay, ich rede heute vielleicht hin und wieder schlecht über Banker. Aber mein Risiko, auf rechtsextreme Strategien hereinzufallen, ist doch eher gering. Bei anderen Kollegen ist das größer. Und um die Kollegen, bei denen das Risiko größer ist, müssen wir uns stärker kümmern.
Die Polizeibehörden stellen seit Jahren mehr Menschen mit Migrationsgeschichte ein, um die Gesellschaft besser abzubilden. Wie sehr kann das aus Ihrer Sicht dazu beitragen, Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei vorzubeugen und entgegenzuwirken?
Es ist ein Teil der Lösung, und das ist auch wirksam. Aber es reicht nicht. Wir brauchen auch die Instrumente, die ich vorhin angesprochen habe. Und auch ein türkischstämmiger Kollege kann ja gewissen Risiken unterliegen: Wenn er zum Beispiel eine Demonstration der türkischen Regierungspartei AKP begleitet, die sich gegen kurdische Parteien richtet.