Berlin und die Clubs: Zwei Dinge, die zusammengehören. Als in den Neunzigerjahren viele Orte im ehemaligen Ost-Teil der Stadt brachlagen, siedelten sich dort Clubs an. Besonders die Technoszene fand in der einst geteilten Stadt ein Zuhause und wurde weltweit bekannt. Die zu Anfang teils ohne Genehmigung operierenden Clubs zogen viele internationale Künstler:innen und Kreative an – und Tourist:innen. Die Stadt profitierte vom Tourismus und vom Flair, den die legendäre Clubszene nach Berlin brachte.
Die goldenen Zeiten sind lange vorbei. Wie in anderen europäischen Großstädten kam die Gentrifizierung und mit ihr die Verdrängung von Kulturräumen, vom "Clubsterben" war die Rede. Und dann auch noch Corona. Die Kulturszene und die Kulturschaffenden haben unter den Einschränkungen der Pandemie gelitten, besonders aber auch die Clubszene, die gemeinhin nicht als "Hochkultur" gilt. Der bevorstehende Herbst und Winter macht vielen Berliner Clubbetreiber:innen Angst.
Die Berliner Clubcommission, ein Zusammenschluss aus rund 200 Berliner Clubs, Bars, Veranstaltungen und Kulturzentren, hat bei einem Pressetermin am Holzmarkt und im Golden Gate Club berichtet, mit welchen Problemen die Branche in der Hauptstadt momentan zu kämpfen hat. Watson war dabei.
Während der Corona-Pandemie haben viele Mitarbeiter:innen in der Branche ihren Job verloren – viele sind aufgrund der unsicheren Situation aber auch freiwillig gegangen. "Wir haben so viele Leute verloren. Und es ist schwierig, die zurückzubekommen", sagt Pamela Schoßberg, Inhaberin des "Gretchen" in Kreuzberg und erste Vorsitzende der Clubcommission. Die Arbeit im Nachtleben ist eine ganz besondere. Man lebt einen anderen Rhythmus als die meisten Menschen. Wenn das Personal da erstmal raus ist, gibt es meist kein Zurück mehr.
Im Laufe der vergangenen zwei Jahre haben deutschlandweit rund 1,5 Mio. Menschen der Kultur- und Veranstaltungsbranche den Rücken gekehrt. "Wir haben viele Leute an die Rewe-Kasse verloren", berichtet Robin Schellenberg, Inhaber des Klunkerkranich in Neukölln. "Die Menschen haben die Lust daran verloren, nachts zu arbeiten. Das Arbeiten in der Clubkultur lebt von der Gemeinschaft, von den Geschichten. Wenn zwei Jahre nichts passiert, gibt es wenig, was die Leute motiviert, diese besondere Arbeit zu leisten."
Auch Hubertus "Hubi" Graf Strachwitz, Besitzer des Golden Gate nahe des Alexanderplatzes, ist mit der derzeitigen Situation nicht zufrieden. "Die letzten zwei Jahre waren scheiße. Aber wir haben überlebt", berichtet er resigniert. Seine Angestellten mussten in Kurzarbeit gehen. Die Kurzzeitangestellten musste er entlassen und hat nun, zwei Jahre später, wie andere Clubbesitzer Probleme, Ersatz zu finden. "Der Altersdurchschnitt der Mitarbeiter:innen ist mittlerweile auch höher. Sie wünschen sich ein geregeltes Leben, seit sie aus dem Nachtleben raus sind."
Mit großer Sorge blickt die Szene dem Herbst und Winter entgegen. Die Menschen wollen sicher feiern gehen und sorgenfrei Konzerte genießen. Das wäre ihnen auch einen PCR-Test wert, ist man sich in der Berliner Clubcommission sicher. Lutz Leichsenring, Pressesprecher der Clubcommission, sagt: "Man kann Veranstaltungen mit PCR-Test durchführen."
Die Clubcommission habe bereits mit Testlaboren verhandelt. Gäste könnten unter der Woche ihre Proben einschicken, um dann am Wochenende feiern und auf Konzerte gehen zu können. Die Selbstbeteiligung solle bei rund 15 Euro pro Test liegen. Wer den Rest bezahlen soll? "Die Gesellschaft muss sich überlegen, ob ihr Kultur wichtig ist. In Österreich funktioniert das Modell auch", meint Lutz Leichsenring. Ob öffentliche Gelder dafür bereitgestellt werden, sei jedoch noch nicht sicher.
Sicher sei jedoch: "Wenn Masken in Innenräumen getragen werden müssen, dann können wir nicht mehr veranstalten", erklärt Pamela Schoßberg vom Gretchen. Eine Maskenpflicht bei Hunderten Feiernden durchzusetzen, das sei allein aufgrund des fehlenden Personals nicht durchführbar. "Dann werden wir wieder freiwillig schließen müssen", schildert Pamela Schoßberg die Lage. "Während der Corona-Pandemie wurden Clubs stigmatisiert. Obwohl sich beispielsweise auf privaten Hochzeitsfeiern deutlich mehr Leute infiziert haben."
Vor allem Konzerte trifft es hart, sie müssen regelmäßig abgesagt werden. Pamela Schoßberg erklärt: "Es entfallen Konzerte, weil die Leute nicht genug Tickets gekauft haben". Zurzeit gebe es ein Überangebot von Konzerten. Denn immer noch werden Auftritte nachgeholt, die bereits vor zwei Jahren hätten stattfinden sollen.
Bei den Konzert- und Partygänger:innen sitzt das Geld momentan auch nicht mehr so locker, bestätigt Robin Schellenberg vom Klunkerkranich. Statt jedes Wochenende auszugehen, gehen viele nur noch einmal pro Monat weg. "Das Ticketing ist implodiert, die Leute wollen nur noch spontan feiern gehen", sagt Schellenberg. Viel weniger Menschen als noch vor der Pandemie kaufen sich die zum Teil teuren Konzertkarten weit im Voraus. Was, wenn im Herbst eben doch wieder alles dicht macht?
Ein weiteres Problem sind die Lieferkettenengpässe, die steigenden Energiepreise und die explodierenden Mietpreise in Berlin. Damit müssen auch die Eintritts- und Getränkepreise angehoben werden. "So gibt man als Feiernder schnell mal 30 bis 40 Euro an einem Abend aus", bedauert Robin Schellenberg. Auf diese Weise sei das Feiern nicht mehr allen Menschen zugänglich und die Berliner Clubszene werde elitär.
Das Besondere an der Berliner Club- und Kulturszene sei die Inklusivität, erklärt Emiko Gejic, die als freischaffende Tänzerin und Schauspielerin in Berlin arbeitet. "Clubs sind politische, kulturelle und soziale Orte. Es kommen Menschen verschiedener Herkunft und verschiedenen Alters zusammen. Sie sind oft ein Safe Space", sagt die Berlinerin. Viele Clubs in Berlin sind aus einer linken, alternativen Szene entstanden, die sich als antikapitalistisch versteht und nicht gewinnorientiert arbeitet. Gegen zahlungskräftige Investoren ziehen solche kulturellen Einrichtungen oft den Kürzeren.
Emiko Gejic fasst zusammen: "Berlin schmückt sich mit der Club- und Kulturszene, hilft dann aber nicht, wenn ein Club stirbt. Das ist Teil der neoliberalen Stadtplanung."
Berlin ist die Startup-Hauptstadt Deutschlands und auch im europäischen Vergleich weit vorne. Robin Schellenberg zieht einen düsteren Vergleich zu San Francisco: Auch dort gab es einst eine blühende Kulturszene. Als sich immer mehr Tech-Firmen in der Stadt ansiedelten, schossen die Miet- und Lebenshaltungskosten in die Höhe. "In Berlin könnte es die gleiche Entwicklung geben", befürchtet Schellenberg.
Pamela Schoßberg mahnt: "Wenn es keine finanziellen Fördermittel gibt, wird es die Clubszene, die wir heute noch haben, in Zukunft nicht mehr geben."