Seit über 70 Tagen wird in Portland gegen Polizeigewalt demonstriert und während dieser Zeit wurde es rund um die Proteste im US-Staat Oregon immer brutaler, auch weil Präsident Donald Trump zwischenzeitlich Bundestruppen in die Stadt geschickt hatte, die mit ihrem harten Vorgehen weltweit für Entsetzen sorgten. So kritisierte selbst Amnesty International die "unverhältnismäßige und oft exzessive Gewalt" der Staatsmacht gegenüber ihren Bürgern.
Auch die 33-jährige Abby (Name geändert) bekam während der Proteste mehrfach Tränengas in Augen und Lunge und erlebte, wie ein Mitdemonstrant einen Herzstillstand erlitt. "Die Flashbacks verfolgen mich, ich komme kaum mehr aus dem Bett", sagt sie im Gespräch mit watson. Inzwischen wurde bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, sie ist in Therapie.
Abby ist Hairstylistin und hatte mit Demonstrationen bis dahin nie etwas zu tun. "Es ist das erste Mal gewesen, dass ich mich einem Protest angeschlossen habe", erzählt sie. "Wir protestieren für Black Lives und wollen, dass der Polizei in Portland Geld gestrichen wird, um es für BIPOC-Gemeinden (Black, Indigenous and People of Color) in der Nachbarschaft einzusetzen. Wir wollen, dass die Polizeibrutalität endet und unser Bürgermeister Ted Wheeler zurücktritt."
Dafür ging sie wochenlang in voller Montur auf die Straßen, denn das harte Vorgehen der Polizeikräfte gegen die Demonstranten hatte sich herumgesprochen. Mit Atemmaske, Brille und Bauhelm marschierte Abby vor die städtischen Regierungsgebäude, um zu singen und Plakate hochzuhalten. Auch ein paar Flaschen mit Wasser und aufgelöstem Magnesium trug sie bei sich, um sich die Augen nach einem Tränengas-Einsatz ausspülen zu können.
Tränengas muss eigentlich nach etwa fünf Jahren ersetzt werden. Doch wie lokale Medien berichten, wurden Zünder gefunden, die bis zurück ins Jahr 2006 datiert sind. "So etwas macht unsere Regierung mit ihren Bürgern. Das macht die Polizei mit den Menschen, die sie schützen und denen sie dienen wollen (Anm. der Redaktion: "protect and serve" ist der Slogan der US-Polizei)", ist Abby entsetzt. "Sogar ein paar Mütter haben Tränengas abbekommen, die sich als Kette zum Schutz der Demonstranten aufgestellt haben."
Abby hat Angst, dass es zu noch Schlimmerem kommen könnte. Der Tod eines Mannes bei Protesten in Austin hätte sie diesbezüglich sehr geschockt. "Wir sollten doch demonstrieren dürfen, ohne Angst um unser Leben zu haben", sagt sie. Doch auch in Portland sähe man schwer bewaffnete Beamte. "Auf den umstehenden Gebäuden des Protestgeländes stehen Scharfschützen. Das ist furchteinflößend. Einige Polizisten sehen aus, als ob sie das alles richtig genießen."
Die Proteste zollten ihren Tribut. Nach mehreren Nächten auf den Straßen bemerkte Abby, dass es ihr nicht mehr gut ging, am 25. Juli wollte sie schon nicht mehr vor die Tür. "Die Nächte waren so heftig, dass ich inzwischen unter posttraumatischen Belastungsstörungen leide. Ich erlebe seitdem Flashbacks, Schlaflosigkeit und gehe durch große Tiefs, weshalb ich es kaum mehr aus dem Bett schaffe", erzählt sie. Beruflich ist das für sie fatal.
Um aus dem Tief herauszufinden, geht sie nun einmal die Woche zur Therapie. "Momentan ist es echt schrecklich, aber es wird sicher wieder besser werden", sagt sie. Manchmal überlege sie, das Land zu verlassen. Sie glaubt aber auch, dass all die Brutalität den Protest weiter und weiter stärkt und die Solidarität der Bevölkerung hervorruft.
"Am Anfang protestierten ein paar hundert Menschen, inzwischen sind es Tausende", sagt sie. Darunter die Gruppe der Mütter, welche die WallofMoms bilden, aber es gibt auch eine WallofDads. Es gibt eine Truppe von Anwälten, die unter dem Motto #lawyers4blacklives demonstrieren geht, auch Klinikpersonal und Armee-Veteranen. "Selbst Leute, die niemals ans Demonstrieren dachten, sind nun auf der Straße. So wie ich ja auch", so Abby. Viele hoffen, dass sich die Lage nun etwas beruhigt, nachdem die Bundestruppen wieder abgezogen sind. Doch das Vertrauen in die Staatsgewalt ist durch die Ereignisse der letzten Woche dahin. Abby: "Diese Polizeigewalt selbst zu erleben lässt mich noch stärker für die BIPOC-Gemeinde kämpfen, denn im Gegensatz zu uns, sind diese Menschen jeden Tag davon betroffen. Nicht nur auf Protesten."