Eigentlich ist Portland bekannt für gute Donuts, feine Gin-Bars und mildes Wetter. Doch momentan gleicht die hippe Stadt im US-Staat Oregon eher einem Kriegsschauplatz: Tränengas und Polizei in voller Kampfmontur sind Nacht für Nacht in der Innenstadt zu sehen, seit US-Präsident Donald Trump seine Sicherheitstruppen gegen die #BlackLivesMatter-Demonstranten einsetzt.
Für viele Portländer sind die Polizeikräfte des dort sowieso eher unbeliebten Präsidenten ein rotes Tuch. Sie berichten von unrechtmäßigen Verhaftungen und unverhältnismäßigem Vorgehen gegen Demonstranten. Die Lage spitzt sich zu. Das musste nun auch Billy J. erleben, der Montagnacht mitten zwischen die Fronten geriet.
Er wohnt in Portland, ist Mitte 20 und geht seit dem Tod von George Floyd im Mai regelmäßig gegen Polizeigewalt auf die Straße. Im Protokoll bei watson erzählt der US-Amerikaner, wie heftig er das Eingreifen der Truppen erlebte und warum diese Auseinandersetzungen nicht umsonst gewesen sein dürfen.
Tagsüber sind die Proteste völlig friedlich, der Hauptort, um seiner Wut durch Singen und Skandieren Luft zu machen, ist das Mark Hatfield US-Gerichtsgebäude. Das steht gegenüber einem wunderschönen Stadtpark und einem alten Gebäude, in dem sich das Polizei-Hauptquartier und das Gefängnis befinden. Am Tag sieht man dort hunderte, wenn nicht tausende Demonstranten, die sich vor dem Gericht sammeln und bis auf die Straßen ausbreiten. Dahinter werden Burger auf einem Grill gebraten, Menschen haben Zelte aufgeschlagen und viele Dutzende hängen auf den Parkbänken herum oder lehnen sich gegen die Bäume.
Aber je dunkler es draußen wird, desto wütender wird die Masse, Randalierer mischen sich dann unter die Menge. Sie sprühen Anti-Polizei-Slogans gegen die Wände der umliegenden Gebäude und sind inzwischen sogar so weit gegangen, mehrere Park-Statuen anzuzünden. Der Höhepunkt war, dass sie Feuer unter einer hier sehr bekannten, 100-jährigen Statue eines Elchs gelegt haben. Diese stand in der Mitte einer Straße und war so stark beschädigt, dass die Stadt sie danach entfernen musste, aus Angst, die Trümmer könnten mitten in der Menschenmenge einstürzen. Sie schmeißen auch die Barrikaden und Zäune um, die vor dem Gerichtshaus installiert sind und versuchen, mit Hammer, Glasflasche und anderen Gegenständen das Gebäude zu stürmen.
Als Antwort darauf hat Donald Trump unsere Bundespolizei, die "federal law enforcment officers" (kurz Feds) geschickt, um das Haus zu schützen, das faktisch US-Eigentum ist. Ich glaube, auch ein paar US-Soldaten sind hergesandt worden. Die Stadt Portland und der Bundesstaat Oregon haben Trump dafür kritisiert und werfen ihm vor, die Stimmung damit unnötig eskalieren zu lassen, nur um seine politische Agenda zu untermauern.
Gestern Nacht stand ich gerade gegenüber der Straße zum Polizei-Hauptquartier, als die Leute anfingen zu schreien, dass die Feds kommen. Und so war es. Sie marschierten langsam in Sichtweite, trugen alle beige Camouflage-Kleidung, Militär-Equipment und waren bewaffnet mit verschiedensten Utensilien: Tränengas-Werfern, Paintball-Gewehren und Gewehren mit Gummi-Projektilen.
Sie kamen weiter auf uns zu und liefen dann um die Ecke zum Gerichtsgebäude, vor dem mindestens ein paar tausend Menschen demonstrierten. Dort öffneten sie eine Reihe von Gaskartuschen und ließen extrem laute Feuerwerkskörper los, um die Menge zu zerstreuen. Das passierte in dieser Nacht mehrfach und führte dazu, dass die Menschen in die anliegenden Straßen flohen, um sich danach wieder zu Gruppen im Park und vor dem Gericht zusammenzufinden.
Ich hatte extremes Glück, dass ich mit ein paar Freunden unterwegs war, die früher Kunden in dem Gemischtwarenladen waren, in dem ich arbeitete. Ich fand sie immer wieder, wenn wir durch die chaotischen Zusammenstöße mit den Feds getrennt wurden. Berichten zufolge ist das Tränengas, das die Feds einsetzen, deutlich heftiger als das, mit dem die Polizisten von Portland normalerweise ausgestattet sind, auch ich bekam es mehrfach in Augen und Rachen, als ich durch die Straßenzüge ging und es brannte wirklich heftig.
Bei solchen Auseinandersetzungen dabei zu sein, ist für mich völlig neu und war extrem nervenaufreibend. Plötzlich war ich nur noch dabei, in Deckung zu rennen, weil ich von einem Mann gehört hatte, der von einer dieser Gaskartuschen auf den Kopf getroffen wurde und danach mit einem ernsten Schädelbruch im Krankenhaus landete. Und tatsächlich sah ich mehrere Kartuschen, die in meine Richtung geworfen wurden, dann zwar über den Boden schlitterten, aber immernoch mit ausreichend Tempo, um ernsthafte Verletzungen zu verursachen.
Trotzdem kamen die meisten Demonstranten immer wieder zurück zum Gerichtsgebäude, wenn die Feds sich zurückzogen, die Masse war da sehr viel mutiger als ich. Eine Frau, die ich nicht kannte, lächelte stolz, als sie uns ihre apfelgroße, schwarz-blaue Wunde am Innenschenkel zeigte, wo sie von einer der Kartuschen getroffen wurde. Und da viele mit Gasmasken, Erste-Hilfe-Sets und Fahrradhelmen unterwegs waren, war klar, dass die Masse darauf vorbereitet war, zusammenzuhalten und auch zu bleiben. Ich selbst kam in dieser Nacht erst gegen halb sechs Uhr morgens ins Bett.
Die Leute hier sind entschlossen, die Gesellschaft zu verändern, bei vielen mischt sich die Wut über die letzten Todesfälle durch Polizisten mit linksradikalen Ideen. Während ich mit den meisten dieser politischen Ideen nicht konform gehe, bewundere ich trotzdem, wie stark diese Leute sogar gegen die Regierung und ihre Truppen einstehen. Es muss endlich zu einer Reform der Polizei kommen, die Verantwortlichen müssen für den Machtmissbrauch in unseren Gemeinden belangt werden. Die Leute hier sind wütend und sie wollen die Wucht dieses Protest-Moments nutzen, damit es endlich zu einem wahren Wandel kommt.
Protokoll: Julia Dombrowsky