Auch Kinder aus Risiko-Haushalten müssen in Brandenburg zum Präsenzunterricht. Bild: E+ / Imgorthand
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In Brandenburg hat eine Familie geklagt, weil sie ihren 13-jährigen Sohn vom Präsenzunterricht befreien lassen wollte. Der Hintergrund: Alle Familienmitglieder bis auf ihn gehören zu Corona-Risikogruppen. Doch nun wurde ihr Eilantrag vom Verwaltungsgericht Potsdam abgelehnt: Der Junge muss in der Schule erscheinen – sonst drohen ernste Konsequenzen.
"Ich bin fix und fertig", sagt Mutter Petra Schulze (Name von der Redaktion geändert) im Gespräch mit watson über die Ablehnung. "Wir sind doch keine Spinner, die grundlos die Schulpflicht verweigern. Wir wollen doch, dass er unterrichtet wird. Nur eben so, dass unsere anderen Kinder keinem Ansteckungsrisiko ausgesetzt werden."
Die Entscheidung des Gerichts
Seine jüngeren Geschwister, sowie sein Vater leiden unter Kugelzellenanämie, genetisch vererbbarer Blutarmut, die Mutter hat Herz-Rhythmusstörungen und Anstrengungs-Asthma. Alle vier nutzen daher seit März die Möglichkeiten von Distanzunterricht und Homeoffice, gehen sonst nur für Einkäufe vor die Tür. Nur der älteste Sohn ist gesund. Daher muss er physisch in der Schule erscheinen, so sieht es das Ministerium vor.
"Für Schülerinnen und Schüler, bei denen Haushaltsangehörige einer Risikogruppe (vgl. Robert-Koch-Institut: Personen mit bestimmten Vorerkrankungen) angehören, besteht Schulpflicht im Präsenzunterricht."
Angaben des Bildungsministeriums Brandenburg Die Eltern hatten gehofft, eine Ausnahme erwirken zu können, vor dem Hintergrund, dass eine Corona-Infektion für die Familie lebensgefährlich werden könnte; das Recht auf körperliche Unversehrtheit stehe doch schließlich in Artikel 2 des Grundgesetzes, sagt Petra. Deshalb klagten sie, um ihren Sohn vorläufig im Distanzunterricht beschulen zu lassen. Doch sie scheiterten.
Die Bildungschancen des Jungen dürften nicht durch "übermäßige Infektionsangst" gefährdet werden, entschied das Gericht. In der Urteilsbegründung, die watson vorliegt, heißt es weiter: "Zudem treten bei der Mehrzahl von Kindern eher mildere und unspezifischere Krankheitsverläufe auf als bei Erwachsenen. Nur ein sehr kleiner Teil benötige eine intensivmedizinische Versorgung und werden beatmungspflichtig."
Und schließlich: "Die Covid-19-Pandemielage erreicht derzeit nicht ein solches Ausmaß, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, die Antragsteller vom Präsenzunterricht freizustellen." Die Lage sei also insgesamt nicht schlimm genug. "Wir sind verzweifelt", sagt Petra. "Die Ministerien gefährden die Gesundheit unserer Kinder."
Angst vor Sorgerechtsentzug
Seit Beginn der Sommerferien dauert der Streit der Familie mit Schule und Ämtern an. Diese fordern die Schulpflicht ein und teilten den Eltern mit, dass andernfalls juristische Konsequenzen drohen: "Das bedeutet erst Bußgeld, dann Anzeige wegen Kindeswohlgefährdung und als letzte Möglichkeit der Sorgerechtsentzug. Das macht mir echt Angst", sagt Petra. Zumal sie diesen Streit ja nur begonnen habe, um das Wohl ihrer Kinder eben nicht zu gefährden.
Petra zu watson:
"Eine Befreiung von der Präsenzpflicht ist doch in keiner Weise als Boykott der Schulpflicht zu werten."
In anderen Bundesländern ist eine solche Befreiung übrigens möglich, wenn ein Haushaltsmitglied zur Risikogruppe gehört. Die Schulzes werden nun neue Krankheitsatteste einholen und mit ihrem Anliegen vor die nächste Instanz, das Oberverwaltungsgericht, gehen, ihr Sohn ist weiterhin daheim. "Wenn alles ausgeschöpft ist, bleibt noch das Verfassungsgericht – aber das ist langwierig", sagt Petra. Und es bleibt unklar, ob ihr Sohn in der Zwischenzeit nicht doch mithilfe der Polizei in die Schule zitiert wird. Im Verwaltungsjargon nennt sich das: "Zuführung des Schülers durch unmittelbaren Zwang."
Die ganze Vorgeschichte lest ihr hier.
Für die Eltern wäre das eine Horrorvorstellung, auch weil Petra den Umgang mit Corona-Regeln dort bemängelt: "Die Schule sagte, es sei doch kein Problem, sie hätten ja ein Hygienekonzept. Aber ich habe mir das in der Pause angeschaut und schon eine Minute nach dem Klingeln gab es Umarmungen, Essen und Handys wurden geteilt", sagt sie.
Mit ihren Sorgen ist sie nicht alleine. Inzwischen ist sie in Kontakt mit anderen Eltern, die vor demselben Dilemma stehen: "Eine Mutter ist akut krebskrank und selbst dort gibt es keine Ausnahme", sagt sie. "Ich bin entsetzt, dass die Situation so vieler Familien von der Politik nicht gesehen wird. Das ist nicht nur unser individuelles Problem. Allein schon deshalb müssen wir jetzt weiterkämpfen."
(jd)
Ich habe eine sehr wütende E-Mail erhalten von einer Leserin als Reaktion auf meine Sexismus-Kolumne. Es war die erste Kolumne, die erschienen ist, und es ging darin um Vanessa Mai und mein Unverständnis über sie: weil sie sich nicht als Feministin versteht.