Nach sechs Monaten Corona-Pause dürfen die Bordelle in Hamburg wieder öffnen. Damit wolle die Hansestadt verhindern, dass Sexarbeiter in die Illegalität abdrifteten, gab der Senat am Dienstag bekannt. Die plötzliche Lockerung überrascht die Frauen der Reeperbahn. "Die Freude ist riesig. Endlich haben wir wieder ein normales Leben und können arbeiten", erzählt Sexarbeiterin Hanna im Gespräch mit watson. "Es war ein harter Kampf."
Seit dem Berufsverbot im März waren die Sexarbeiter zunehmend in Existenznot geraten, mussten sich von Freunden Geld leihen oder an das Ersparte für die Rente gehen. "Da hat sich ein Schuldenberg aufgehäuft", erzählt auch Hanna. "Den muss man jetzt erstmal abarbeiten."
Das Geld wieder reinzukriegen wird schwierig, weil das Hauptgeschäft der Prostituierten im Sommer stattfindet. "Aber egal", sagt Hanna. "Jetzt freuen wir uns erstmal, dass überhaupt etwas geht. Gestern haben wir schon alle miteinander telefoniert und heute treffen wir uns und stoßen erstmal darauf an!" In der Herbertstraße will man keine Zeit verlieren und so schnell wie möglich mit den Vorbereitungen beginnen. Hanna sagt:
Erst am Freitag hatte Hanna als Teil der Initiative "Sexy Aufstand Reeperbahn" in einem Eilverfahren Klage gegen das Berufsverbot beim Verwaltungsgericht eingereicht, das ursprünglich noch bis zum 30. November gelten sollte.
"Zwei Werktage später wurde vom Senat eingelenkt. Wir glauben schon, dass es da einen Zusammenhang gibt", sagt Hanna. Vermutlich ist die Klage damit hinfällig, das wird jedoch noch von den damit beauftragten Anwälten von Klemm & Partner begutachtet: "Ob die Lockerungen im Detail den Forderungen der Initiative 'Sexy Aufstand Reeperbahn' entsprechen, werden wir noch im Detail prüfen", gibt die Kanzlei an.
Die genauen Auflagen zur Wiedereröffnung sind noch nicht bekannt, aber was man bislang zum Hamburger Beschluss weiß: Dienstleistungen in Bordellen oder im Rahmen von Vermittlungen können ab dem 15. September unter bestimmten Corona-Richtlinien wieder stattfinden. Dazu gehört die Vorlage eines Hygienekonzepts, eine ständig zu tragende Mund-Nasen-Bedeckung und ein Alkoholverbot. Untersagt bleiben Sex-Partys oder Prostitution in Fahrzeugen.
"Diese Auflagen werden für uns kein Problem", sagt Hanna. Das Hygienekonzept der Herbertstraße steht seit Wochen. Sie planen unter anderem, Sex nur noch mit Maske anzubieten und dem Gast dabei den Rücken zuzuwenden, die Fenster aufzulassen und nur Eins-zu-Eins-Kontakt zu erlauben. Gäste, die sich weigern, ihre Kontaktdaten zu hinterlassen oder eine Maske zu tragen, wären "bei uns nicht willkommen". Auch, weil es wichtig sei, dass die Kunden die Ansagen der Sexarbeiter generell respektierten, ganz gleich welcher Natur. Querulanten würden nicht empfangen.
"Wir sind schon ein wenig sauer, dass es so lang gedauert hat und haben Angst, dass wir unser Geld nie wieder reinholen", gibt Hanna zu. "Aber wir haben endlich wieder eine Perspektive, einen Plan für die Zukunft – und das ist das Wichtigste." Trotz Berufsverbot hat Hanna die Corona-Pandemie nicht nur negativ erlebt, sie sagt:
Nicht nur in Hamburg, auch in Nordrhein-Westfalen, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein werden die Bordelle wieder geöffnet. In NRW gilt das sogar ab sofort. Dort hatte das Oberverwaltungsgericht am Dienstag entschieden, dass Prostitution wieder zulässig sein müsste, da die weitere Untersagung den "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" verletze. Das Gericht erklärte weiter, dass der "Ausstoß von Aerosolen bei sexuellen Handlungen" gleichermaßen hoch sei wie zum Beispiel in Fitnessstudios. Außerdem sei für das Gericht nicht ersichtlich, dass das Ansteckungsrisiko bei sexuellen Handlungen zwischen zwei Menschen deutlich größer sei als bei privaten Feiern mit bis zu 150 Menschen.
Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. begrüßte die Entscheidung. "Das war längst überfällig. Das weitere Verbot war mit epidemiologischen Gründen nicht zu rechtfertigen; wie auch nicht die ständigen Vorwürfe, die Sexarbeitsbranche könne die üblichen Corona-Hygienemaßnahmen nicht umsetzen", so der Vorstand Stephanie Klee in einem Statement. "Damit sind die Gerichte und die Nordländer endlich unseren Argumenten gefolgt, aber auch den positiven Erfahrungen, die Bordelle in Berlin und Bayern bereits mit der Beachtung der Hygienemaßnahmen gemacht haben." Dort ist Prostitution seit ein paar Wochen bereits wieder erlaubt.
(mit Material von afp)