Penelope S. (27) ist Ingenieurin in Boston, Massachusetts. Bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl hat sie für den demokratischen Kandidaten Joe Biden gestimmt – obwohl sie in einer republikanischen Familie aufgewachsen ist. Vor allem ihr Vater ist ein großer Fan von Donald Trump.
Bei watson erzählt Penelope, wie sie die unterschiedlichen politischen Meinungen innerhalb ihrer Familie wahrnimmt – und was sie von ihrem Trump-wählenden Vater gelernt hat.
Mein Vater ist ein wahnsinnig intelligenter Mann. Er entwickelt Lasertechnologien für Weltraumunternehmen und hat schon mit der NASA und dem MIT zusammengearbeitet. Als ich noch jünger war, habe ich deswegen immer zu ihm heraufgeschaut, weil ich dachte, er weiß einfach alles. Seine Meinung wird schon die richtige sein.
Mittlerweile glaube ich das nicht mehr. Denn mein Vater ist Republikaner und ein großer Verfechter von Donald Trump. Ich allerdings habe Joe Biden gewählt.
Politik ist ein sensibles Thema in unserer Familie. Meine Eltern sind – obwohl sie beide einen akademischen Hintergrund haben, sehr intellektuell und kein bisschen religiös sind – sehr konservativ. Sie vertreten einfach eher traditionelle Werte und haben eine, meiner Ansicht nach, etwas eingeschränktere Weltsicht. Die Demokraten zu wählen, wäre für sie ein Zeichen von Schwäche gewesen – und mit diesem Glauben bin ich aufgewachsen: Politisch Liberale sind Menschen, die jegliche Mühe scheuen und sich das Leben einfach machen wollen.
Als Kind und als Jugendliche habe ich die Ansichten meiner Eltern einfach hingenommen, teilweise auch selbst so wiedergegeben. Deine Eltern leben dir schließlich dein Weltbild vor – und warum solltest du ihnen auch nicht glauben?
Erst als ich ans College kam, habe ich gemerkt, dass es mehr Meinungen gibt als die meiner Eltern. Dass zum Beispiel jeder Mensch das Recht haben sollte, die Person zu heiraten, die er liebt – ungeachtete der Sexualität. Oder dass eine Frau prinzipiell das Recht haben sollte, ein Ungeborenes abzutreiben. Im Studium wurde ich mit Ansichten konfrontiert, die viel weltoffener waren als die meiner Familie – und das hat mich nachhaltig geprägt.
Seitdem ist vor allem die Beziehung zwischen meinem Vater und mir angespannter geworden. Mit meiner Mutter ist es etwas entspannter – sie hat sich schon vor Jahren von meinem Vater scheiden lassen und ist nach Kalifornien gezogen, einem Bundesstaat, der traditionell von den Demokraten regiert wird. Durch ihr neues Umfeld sind ihre Ansichten auch ein wenig liberaler geworden. Mein Vater allerdings hält an seiner konservativen Meinung fest, und manche seiner Haltungen nerven mich richtig. Dass er zum Beispiel leicht homophob und gegen die Ehe für alle ist, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen – und er meine Meinung dazu genauso wenig.
Bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl habe ich für Joe Biden gestimmt – obwohl er, zugegeben, nicht meine erste Wahl gewesen ist. Ich habe alle Präsidenschaftsdebatten mit ihm verfolgt und stimme nicht mit all seinen Antworten überein, aber Biden ist eben das kleinere Übel. Ich würde mich eigentlich als sozialliberal sowie wirtschaftlich konservativ bezeichnen und fühle mich deswegen den Libertären nahe, die auf der politischen Bühne der USA eigentlich kaum eine Rolle spielen. Bevor ich aber gar nicht wähle, weil mein Wunsch-Kandidat nicht vertreten ist, stimme ich lieber für Biden, um ein Zeichen gegen Trump zu setzen.
Mein Vater hat für Trump gestimmt. Und das nicht nur, weil er eben der republikanische Kandidat ist – sondern weil er Trump richtig gut findet. Er ist ein regelrechter Trump-Fan und spricht nicht nur häufig, sondern vor allem mit großer Begeisterung von ihm.
Ein bisschen kann ich das ehrlicherweise nachvollziehen. Mal abgesehen davon, dass viele US-Amerikaner Trump für seine unverblümte Art schätzen – ich vermute, dass mein Vater ihn aus noch anderen Gründen feiert: Sie scheinen schlichtweg eine ähnliche Persönlichkeit zu haben. Genauso wie Trump ist mein Vater, obwohl er so gebildet ist, auch ein sehr ich-bezogener und charismatischer Mensch, der gleich die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, sobald er einen Raum betritt. Ich wette, ein Stück weit sieht mein Vater sich in unserem Präsidenten.
Ich hingegen finde Trump regelrecht peinlich. Von jemandem, der sich so plump und unbeholfen gibt, fühle ich mich einfach nicht vertreten. Meiner Meinung nach taugt Trump einfach nicht zum Staatsoberhaupt, weil ich den Eindruck habe, dass er sich keine Mühe gibt, die USA würdevoll zu vertreten.
So unterschiedlich mein Vater und ich über unseren derzeitigen Präsidenten denken und so schlimm ich Trump finde: Unsere Auseinandersetzungen über ihn und die Republikaner allgemein haben mir im Endeffekt dabei geholfen, meine eigene politische Meinung zu schärfen. Indem ich ständig gegen meinen Vater argumentieren musste, habe ich gelernt, welche Ansichten mir wirklich wichtig sind und wie ich sie erklären sowie verteidigen kann.
Auch ist mein Vater der Beweis dafür, dass nicht alle Trump-Wähler gleich oder schlechte Menschen sind. Wer die Republikaner wählt, wird oft stigmatisiert – es scheint ein ständiges "wir" gegen "die" zu sein, gut gegen böse, Demokraten gegen Republikaner. Das stimmt so natürlich nicht. Auch wenn man Trump anhängen mag, rassistisch, homophob und sexistisch zu sein, werden nicht alle seine Wähler genauso sein.
Ich schätze, das ist ein Problem der US-amerikanischen Debattenkultur: Sie ist nicht besonders vielfältig, oder zumindest erfahren nicht alle politischen Meinungen dieselbe Bühne. Auch innerhalb der Demokraten und Republikaner gibt es Facetten – ganz zu schweigen von den Menschen, die sich politisch weder zu dem einen, noch zu dem anderen politischen Lager zählen.
Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Debatten mit Vertretern unterschiedlicherer Parteien miterleben könnten, nicht nur immer die klassischen Demokraten und Republikaner. Dass unterschiedliche Meinungen nebeneinander bestehen, muss eine Demokratie auch aushalten können. Jeder Mensch darf seine eigene Ansicht haben. Nur weil es nicht meiner eigenen entspricht, muss sie nicht schlecht sein.
Was meinen Vater betrifft, würde ich mir wünschen, dass er manchmal ein bisschen mehr Verständnis für meine politischen Meinungen zeigt. Dafür versuche auch ich, ihn besser nachzuvollziehen – am Ende ist er schließlich immer noch mein Vater.
Protokoll: Agatha Kremplewski