Einsamkeit fragt nicht, wie dein Tag war. Einsamkeit geht mit dir keinen Kaffee trinken. Einsamkeit lässt die schönsten Erfahrungen fremd, trist und traurig aussehen. Einsamkeit fühlt sich aber auch für jeden anders an.
In Augsburg gibt es deshalb nun einen roten Punkt, der gegen Einsamkeit helfen soll. Das Ziel: Begegnung und Austausch statt Einsamkeit. Doch was steckt dahinter und wie groß ist das Problem mit der Einsamkeit? 4 Fragen und Antworten.
Wie soll ein roter Punkt helfen, wenn ich einsam bin?
Erfunden hat den roten Punkt mit dem Namen "opendot" das Kunstkollektiv "Utopia Toolbox" in Augsburg. Die Kreativen fahren immer wieder in andere Städte und befragen Menschen. Was wünschen sie sich für ihr eigenes und auch für das gesellschaftliche Leben für die Zukunft?
In München traf sie dabei auf einen Mann, der sich mehr Kontakt wünschte. Dabei kam Juliane Stiegele die Idee, mit Hilfe eines roten Punkts auf der Tür die Einsamkeit in Wohnungen zu bekämpfen. Sie selbst nennt Einsamkeit einen "gesellschaftlichen Schwellbrand".
Und so funktioniert der rote Punkt:
In den vergangenen
Wochen wurden rund 7000 Punkte in Augsburg verteilt, unter anderem in den
größten Wohngebäuden der Stadt, wie dem Schwabencenter, dem Hotelturm, aber
auch im großen Studentenwohnheim an der Lechbrücke.
Zusätzlich wurden Punkte an öffentlichen Stellen ausgelegt,
damit sie die Menschen dort mitnehmen können.
Wer möchte, kann sich den Punkt an die Wohnungstür kleben.
Der Punkt soll für andere Menschen eine Einladung sein, zu klingeln, ins Gespräch zu kommen und sich zu verabreden. Im Idealfall entstehen so neue Freundschaften.
Wie kommt der rote Punkt an?
Zwar wird der rote Punkt erst seit wenigen Wochen in der schwäbischen Stadt verteilt. Die große Aufmerksamkeit erlangte er aber im Rahmen des Friedensfestes am Mittwoch, wo er Teil des Programms war.
Einige Menschen haben sich den Punkt schon an die Tür geklebt.
Wie die Rentnerin Karin Eisenmann-Martin. Sie macht das,
"damit jemand, der vorbeigeht weiß, hier kann ich mal läuten, wenn ich das Bedürfnis habe."
Belastbare Erfahrungswerte gibt es nach wenigen Tagen und in der Testphase noch nicht. Allerdings werde der Punkt gut angenommen, viele Menschen würden sich auch beim Kollektiv selbst melden, so Juliane Stiegele.
Auch die Städte Köln und Karlsruhe hätten schon angefragt, ob sie das Projekt übernehmen können.
Aber ist der Punkt nicht auch eine Einladung für Verbrecher?
Mit diesem Gegenargument haben sich Stiegele und die anderen Kreativen lange und intensiv auseinander gesetzt, das Kollektiv hat sich sogar juristisch abgesichert. Und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich ein Restrisiko nie ausschließen lässt.
Sich den Punkt auf die Türe zu machen ist eine freiwillige
Entscheidung. Wem das Risiko zu groß ist, der sollte es auch nicht machen. Und
selbst wenn: Es liegt immer noch in der eigenen Freiheit eines jeden Einzelnen,
jedes Mal aufs Neue zu entscheiden, ob ich meine Türe jetzt öffnen möchte. Aber
dauernd nur wegen lauter Bedenken das Leben einzuschränken, ist auch keine gute
Option.
Juliane Stiegele
Haben wir wirklich so ein krasses Problem mit Einsamkeit?
Einsamkeit hat ein Problem. Nach dem wichtigsten internationalen System ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) ist sie bislang keine offiziell anerkannte Diagnose. Die meisten Ärzte und Psychologen sehen Einsamkeit nicht als eigenständige Krankheit, sondern als einen Faktor (ähnlich wie bei Armut oder Arbeitslosigkeit), der wiederum andere Krankheiten verursacht.
Wie wird Einsamkeit definiert?
Einsamkeit ist subjektiv. Menschen, die sich soziale Kontakte wünschen, die sie aktuell aber nicht haben, sind einsam. Das kann der grundsätzliche Mangel an sozialen, aber auch der temporäre Mangel an sozialen Kontakten sein.
Rentner sind vielleicht einsam, aber ich doch nicht!
Falls du dich jetzt bei genau diesem Gedanken ertappt hast, dann liegst du falsch. Maike Luhmann, Professorin für Psychologische Methodenlehre an der Ruhr-Universität Bochum schätzt, dass jeder zehnte bis fünfte Mensch in seinem Leben vom Gefühl der Einsamkeit mindestens manchmal betroffen ist. Zwar mangelt es aufgrund der fehlenden Diagnose von Einsamkeit an belastbaren Zahlen, aber die Forschung hat inzwischen zwei Phasen herausgearbeitet, in denen wir Menschen uns besonders einsam fühlen:
Wenn wir alt sind. Die Gründe sind offensichtlich: Freunde, Partner und Familie sind vielleicht schon verstorben oder haben wenig Zeit. Zudem gehen ältere Menschen nicht mehr arbeiten. Das soziale Netz fehlt.
Das Kunstkollektiv glaubt, dass Einsamkeit nicht ohne Hilfe der Politik bekämpft werden könne.
"'Utopia Tollbox' kann den Opendot auf die Dauer logistisch nicht alleine stemmen"
Juliane Stiegele
Deshalb treffen sie sich mit Verantwortlichen der Stadt, stellen den Kontakt zwischen ihnen und Experten auf den Gebieten der Einsamkeitsforschung und der Kulturanthropologie her und haben der Stadt vorgeschlagen, das Projekt zu übernehmen. Auch anderorts gibt es Versuche, der Einsamkeit entgegen zu wirken.
Das prominenteste Beispiel kommt aus England. Dort gibt es seit diesem Jahr eine Einsamkeitsministerin. Für Tracey Crouch wurde ein eigener Ministerposten geschaffen. Ihre Aufgabe: Die Einsamkeit von 9 Millionen als einsam erklärten Menschen bekämpfen.
Auch in Deutschland fordern einige Politiker eine ähnliche Lösung. Getan hat sich aber noch nichts.
Zusätzlich gibt es Selbsthilfegruppen, Nachbarschaftsnetzwerke und andere lokale Angebote. Ein Großteil davon richtet sich aber an Senioren und kommt von privaten Initiatoren und nicht von der Politik.
Anonym mitmachen:
Jede zehnte bis fünfte Mensch fühlt sich manchmal einsam. Darüber müssen wir sprechen. Fühlst auch du dich einsam oder kennst das Gefühl und möchtest mit uns – gerne anonym – darüber sprechen? Dann schreib uns an redaktion@watson.de.
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