Kanzlerin Angela Merkel bat am Mittwoch um Verzeihung.Bild: ap / Markus Schreiber
Analyse
25.03.2021, 18:5525.03.2021, 19:04
Mittwoch, 12.31 Uhr: Bundeskanzlerin Angela Merkel tritt vor die Presse. Sie zieht die zuvor in den Bund-Länder-Beratungen beschlossene "Osterruhe" zurück. Und sie bittet die Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung. Das ist neu – neu in der Corona-Politik und auch neu in 16 Jahren Kanzlerschaft. Merkel hat sich zwar auch in den letzten Jahren schon mal entschuldigt, aber nie hatte eine Entschuldigung eine solche Tragweite.
In gelber Kostümjacke und mit ernstem Blick verkündete Merkel am Mittwoch zuerst vor der Presse und dann im Bundestag: "Um es klipp und klar zu sagen: Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler, denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung." Und weiter: "Ich weiß natürlich, dass dieser gesamte Vorgang zusätzliche Verunsicherung auslöst. Das bedauere ich zutiefst, und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung."
Nur knapp 4 Minuten dauerte ihr Auftritt vor der Presse, denn dann musste die Kanzlerin weiter, um sich den Fragen der Mitglieder des Bundestags zu stellen. Schon jetzt wird ihr Auftritt als "historisch" bezeichnet. Viele Politiker sprachen ihr bereits ihren Respekt aus, auf Social Media befürworteten es Menschen, dass sie so offen zu einem Fehler steht. Aber nicht alle sehen Merkels Auftritt positiv – viele Menschen reagieren auch wütend in der sowieso schon angespannten Situation.
Darüber, warum Merkels Entschuldigung so etwas Besonderes ist und ob sie ihr schaden könnte, hat watson mit Bernd Blöbaum gesprochen. Er ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Münster.
"Weil es so viel hämische Rückmeldungen für die Bundeskanzlerin gibt und sie so viel Gegenwind aus Politik, Wirtschaft und Medien erhält, dürfte bei vielen das Bedürfnis wachsen, Frau Merkel gegenüber auszudrücken, dass man ihr Handeln für richtig hält."
watson: Herr Blöbaum, Angela Merkels Auftritt bekommt extrem viel Aufmerksamkeit. Warum ist die Entschuldigung einer Politikerin so etwas Bemerkenswertes für viele Bürger?
Bernd Blöbaum: Politiker entschuldigen sich sehr selten. Wenn dieses Zeichen des Anstands wie im Fall der Entschuldigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel dann öffentlich wahrnehmbar ist, vermittelt das eine Nähe zur Lebenswelt von vielen Menschen. Das Bemerkenswerte ist nicht das Bitten um Verzeihung, sondern dass ein Eingeständnis von Fehlern oder falschen Einschätzungen in der Politik wie in der Wirtschaft so selten vorkommt.
Wovon hängt es denn ab, ob Entschuldigungen von Politikern als Stärke oder Schwäche gesehen werden?
Wer wenig Vertrauen in Politik und Politiker hat, wird eine Entschuldigung eher als Bestätigung von Schwäche auffassen. Menschen, die politische Akteure für vertrauenswürdig, für kompetent, integer und wohlwollend im Sinne der Bürger handelnd halten, werden vermutlich eine Entschuldigung als Stärke sehen.
Die Reaktionen auf Merkels Rede sind geteilt. Einige fordern nun die Vertrauensfrage, andere sprachen der Kanzlerin ihren Respekt aus. Wird diese Entschuldigung Frau Merkel eher schaden oder nützen?
In der Summe, denke ich, wird das Eingeständnis, etwas falsch gemacht zu haben, das Ansehen der Bundeskanzlerin in großen Teilen der Bevölkerung eher stärken als schwächen.
In den sozialen Netzwerken trendet heute der Hashtag #SolidaritätmitMerkel. War das zu erwarten oder ist das kommunikationspsychologisch überraschend?
Weil es so viel hämische Rückmeldungen für die Bundeskanzlerin gibt und sie so viel Gegenwind aus Politik, Wirtschaft und Medien erhält, dürfte bei vielen das Bedürfnis wachsen, Frau Merkel gegenüber auszudrücken, dass man ihr Handeln für richtig hält. Die oft harte Kritik in Medien an politisch Handelnden, die mit Vokabeln wie Desaster, Versagen, Chaos und Unfähigkeit zum Ausdruck gebracht wird, verkennt, dass sehr viele Menschen Deutschland die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie für richtig halten – und Politiker nicht pauschal für Versager halten.
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