Mehr Geduld, weniger Party, kluge Ratschläge wie Kniebeugen im Unterricht machen, wenn es kalt ist: Junge Menschen mussten sich seit Beginn der Corona-Krise eine Menge anhören. Während sie genauso auf soziale Kontakte und Hobbys verzichten müssen wie alle anderen auch, werden sie gleichzeitig zu Sündenböcken der Krise gemacht.
"Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts zeigen: Die 20- bis 34-Jährigen verhalten sich gerade vorbildlich", sagt hingegen Tilman Kuban, 33, Bundesvorsitzender der Jungen Union, gegenüber watson. "Unsere Generation ist der dreifache Verlierer der Krise. Wir haben schlechtere Startchancen durch ausgefallenen Unterricht, mangelhafte digitale Bildung, den Wegfall von Studentenjobs und die Rezession auf dem Markt für Berufsanfänger."
Laut dem jungen Politiker werden vor allem junge Menschen von heute sein, die nun die aufgenommenen Rekordschulden zurückzahlen werden. Und natürlich würden gerade Schülern, Auszubildenden und Studenten viele Möglichkeiten verwehrt, die für ältere Generationen selbstverständlich gewesen seien:
Viele junge Menschen denken ähnlich wie Kuban. Sie fühlen sich zu Unrecht kritisiert, obwohl sie sich Mühe geben, die Regeln zu befolgen. Gleichzeitig finden einige auch Lob für die Arbeit der Regierung, die sich seit Monaten einer nie dagewesenen Situation stellt.
Watson hat mit 30 dieser jungen Menschen unter 30 Jahren gesprochen. Hier sind ihre Sorgen und Ängste – aber auch Wünsche an die Bundesregierung, wie es nun in der Corona-Krise weitergehen soll.
Franziska Schürken, 17, ist Schülerin in Oberhausen. Bei "Hart aber fair" sprach sie vor kurzem über Corona-Maßnahmen in der Schule und darüber, dass wegen der Pandemie viel Unterricht ausgefallen sei.
"Die ständige Relativierung der Sorgen und Ängste von Jugendlichen ist nicht gerechtfertigt und trägt zu dem Entstehen eines Generationenkonfliktes bei, den es eigentlich nicht geben müsste.
Es gibt mehr als genug Jugendliche, die sich Sorgen um ihren Abschluss, ihre Bildung und ihre berufliche Zukunft machen. Sollte man sich nicht lieber auf diese gerechtfertigten Sorgen fokussieren, anstatt die allgemeine Aufmerksamkeit auf Negativbeispiele zu lenken? Was die Jugend jetzt braucht, ist nicht nur Verständnis, sondern auch Gerechtigkeit für Bildung und Zukunft."
Philipp Isterewicz, 28, ist DJ und Radiomoderator. Dass einige junge Menschen die Corona-Maßnahmen nicht befolgen, hält er für eine absolute Ausnahme.
"Diese Pandemie möchte ich in keinem anderen Land Europas erleben! Deutschland macht das gut – eigentlich: Denn seit einiger Zeit eiern wir im Kampf gegen das Virus herum. Politiker profilieren sich, greifen sich gegenseitig unnötig an, verlieren den Fokus. Wir brauchen einen klaren Fahrplan durch die Pandemie. Es reicht nicht, schöne Aussichten Richtung Impfstoff zu machen. Die Wahrheit ist, dass wir uns in einer Krise befinden, die uns noch etwas begleiten wird.
Dass sich junge Menschen nicht an die Corona-Maßnahmen halten, sind Ausnahmen. Es gibt in jeder Altersgruppe Menschen, die sich nicht an Regeln halten. Wir brauchen keinen Generationenkonflikt. Übrigens: Viele 'ältere Menschen' haben im Sommer nicht auf ihren Spanienurlaub oder die Kreuzfahrt verzichtet, obwohl es hieß, man sollte zu Hause bleiben. Meine Freunde und ich beispielsweise haben unsere Städte dieses Jahr kaum verlassen und verzichten eigentlich seit März auf viele Dinge – und das ist auch voll okay in einer so verschobenen Zeit."
Sarah-Lee Heinrich, 19, ist Aktivistin für Soziale Gerechtigkeit und im Bundesvorstand der Grünen Jugend. Sie wuchs mit Hartz IV auf und fordert vor allem Chancengleichheit.
"Ich befürworte die Kontaktbeschränkungen der Bundesregierung. Aber Kontaktbeschränkungen und Lockdowns funktionieren nur, wenn es gleichzeitig eine konsequente soziale Absicherung gibt für Jung und Alt. Viele Menschen, die vorher schon wenig hatten, geraten durch Corona in Armut. Wir müssen die Ausbildungsplätze sichern, Bafög für alle Studis öffnen, eine Untergrenze für das Kurzarbeitergeld ziehen und auch Hartz IV erhöhen.
Ich vermisse Partys. Aber dass oft so getan wird, als ob das größte Problem der jungen Menschen der Partyverzicht und das Problem von älteren Menschen finanzielle und gesundheitliche Sorgen wären, jazzt die Situation zum Generationenkonflikt auf und verdeckt, wie viele junge Menschen selbst auch Sorgen um ihre Zukunft und die ihrer Familien haben. Deswegen verhindert diese Erzählung der Party-Jugend auch, dass wir zusammenhalten in dieser sozialen Krise, in der wir doch alle stecken."
Georg Kurz, 26, ist Bundessprecher der Grünen Jugend. Er beklagt Vorurteile, dass die Jugend verantwortlich sei für Ansteckungen.
"Es macht mir Angst, dass wir gerade jeden Tag hunderte Menschenleben opfern, damit das Weihnachtsgeschäft ungestört weiterlaufen kann. Dass die 'feierwütige Jugend' Schuld sei an den Ansteckungen, ist längst mit Studien widerlegt: Junge Menschen achten sehr solidarisch auf den Infektionsschutz.
Was uns fehlt, sind auch nicht vorrangig Partys, sondern oft schlicht Geld: In Tui oder Lufthansa werden Milliarden versenkt, gleichzeitig wissen viele nicht mehr, wie sie bis zum Ende des Monats durchhalten sollen. Was ist der Bundesregierung wichtiger: Menschen oder Konzerne?"
Emma J., 22, studiert in München. Sie findet, dass die Regierung die Krise gut managt, junge Menschen aber allen Grund zur Sorge haben.
"Was habe ich der Bundesregierung persönlich zu sagen? Um ehrlich zu sein, bin ich wohl die Einzige, die findet, dass unsere Regierung momentan einen guten Job macht. Anders als in anderen Ländern, wo eine totale Ausgangssperre herrscht, wurde bei uns immer darauf geachtet, dass es gelockerte Ausnahmen gibt, um das Individuum vor der kompletten sozialen Distanz zu schützen, auch Sport und Spaziergänge und das Treffen eines Freundes oder eines Lebenspartners im Freien wurden nicht untersagt, das finde ich mehr als fair.
Die meisten Menschen, die ich meckern höre, befinden sich nicht wie wir jungen Leute in den Startlöchern des Lebens, sondern sie haben die reichen Phasen, nämlich die 80er und 90er Jahre, miterlebt. Die jungen Leute, zu denen ich mich auch zähle, haben allen Grund zu meckern. Wir möchten anfangen, unser Leben zu gestalten, stattdessen müssen wir Angst haben, als Berufseinsteiger keine Chance zu haben. Das macht mir viel mehr Sorgen als Corona oder ein 'Versagen der Regierung'."
Gregor Frick, 27, Werkstudent im PR-Bereich in München, kann die Corona-Kritik an jungen Menschen teilweise nachvollziehen.
"Die Einflüsse von Corona erlebe ich sowohl im privaten, als auch beruflichen Bereich. Meine sozialen Kontakte haben sich deutlich reduziert und die Arbeit findet hauptsächlich remote statt. Außerdem merke ich in den vergangenen Wochen eine starke Trägheit, wie mir mein Sport und damit meine Bewegung fehlt. Ich denke, die Kritik an jungen Menschen ist berechtigt, da sich auch in meinem Umfeld viele Personen nicht an die Regeln halten.
Dennoch glaube ich an die Vernunft eines jeden Einzelnen und hoffe, dass, wenn sich junge Leute treffen, sie zumindest so fair sind, ihre älteren und gefährdeten Mitbürger im Anschluss nicht in Gefahr zu bringen. Vielen Dank für euren Einsatz in dieser Krise. Bitte hört aber auch die Stimme der jungen Leute und versucht, euch mit Weitsicht in ihre Lage und ihre Zukunft zu versetzen."
Lilly Blaudszun, 19, ist Nachwuchspolitikerin der SPD und politische Influencerin. Sie ärgert sich über mangelnde Konzepte für den Schulunterricht während der Pandemie.
"Während im Bundestag über Wirtschaftshilfen debattiert wird, fällt die Jugend hinten runter. Bundesweit wurde verschlafen, ein langfristiges Schulkonzept auf den Weg zu bringen: Ich glaube zumindest nicht, dass man Lüften bei eisigen Außentemperaturen als solches bezeichnen sollte. Ich finde es enorm wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler Präsenzunterricht haben, aber dazu gehören eben auch Ideen, wie das funktionieren kann."
Daniel Ackermann, 19, macht eine Ausbildung zum Bürokaufmann und ist Bezirksschülervertreter für den Kreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen. Er ärgert sich, dass die Politik jungen Menschen Vorwürfe macht, sie aber in Schulen nicht unterstützt.
"Junge Menschen zu Sündenböcken zu machen, halte ich für unfair. Viele sind Schülerinnen und Schüler, die gerade hier in NRW von der Politik allein gelassen werden. Sie haben keine Kontrolle, können ein Ansteckungsrisiko nicht minimieren, weil sie in den Schulen anwesend sein müssen. Ich finde es traurig, sie wegen des Infektionsgeschehens, das zweifellos problematisch ist, verantwortlich zu machen, zu sagen, sie würden feiern oder Regeln ignorieren. Sowas verunsichert uns. Dann gehen wir gleich mit einem noch mulmigeren Gefühl in die Schulen.
Mein Appell an die Politik: Ich wünsche mir, dass die Politik, Schülerinnen und Schüler aus sozialschwachen Familien berücksichtigt. Wenn sie in Quarantäne kommen und zwangsweise auf Homeschooling umsteigen müssen, sind sie aufgeschmissen. Es braucht eine finanzielle Förderung, damit sie alle nötigen Materialien zur Verfügung haben. Das geht nur, wenn die Regierung in die Schulen investiert."
Sarah L., 25, Studentin aus Berlin, findet, dass zu wenig gegen die Verbreitung von Verschwörungsmythen getan wird.
"Ich bin – wie so viele andere – sehr müde. Der harte Lockdown, der effektiver und kürzer wäre, kommt nicht rechtzeitig. Stattdessen befinden wir uns in einer hadernden Schwebe. Hunderte Menschen sterben jeden Tag an Corona und dann muss man plötzlich auch noch irgendwie damit umgehen, dass Familie oder Freunde das Virus an sich leugnen und von einer 'PLANdemie' faseln. Wie sprechen wir mit Wissenschaftsverdrossenen, die an kein faktenbasiertes Wissen mehr glauben wollen? Was wird gegen die Verbreitung von Verschwörungstheorien unternommen? Ich bin müde."
Johanna Börgermann, 17, ist Schülerin einer Oberstufe in Löhne nahe Bielefeld.
"Als Schülerin der Oberstufe mache ich mir natürlich Sorgen, dass mein Abitur durch einen zweiten Lockdown an Wert verliert und schwieriger wird. Andererseits ist die Gesundheit oberste Priorität, und selber einschätzen, wie gravierend die Lage ist, kann ich als Schülerin nicht. Das bedeutet also, dass wir uns auf die Experten verlassen müssen. Im Endeffekt möchte ich, dass diese Krise schnell und erfolgreich beendet werden kann."
Till B., 23, ist Student in München. Sorgen macht er sich vor allem um Schülerinnen und Schüler, die in der aktuellen Lage mit Homeschooling und Fernunterricht besonders gefordert sind.
"Mir persönlich tun die Schüler wirklich leid. Während wir Studenten vor allem, wenn man mit dem Studium weit fortgeschritten ist, wissen, wie man sich Dinge selbst aneignet, müssen die Schüler wirklich einiges leisten. Viele meiner Arbeitskollegen, die schon Kinder haben, sagen, dass es kaum mehr wirklichen Unterricht gibt. Meistens bekommen die Schüler Arbeitsaufträge und müssen versuchen, sich den Stoff selbst anzueignen. Wenn es technisch mal nicht hinhaut, haben sie Pech gehabt.
Für die Erwachsenen ist das natürlich auch eine extreme Herausforderung. Nicht jeder hat das Geld für die benötigte Technik, und die meisten haben auch nicht die Zeit oder das Know-how, ihre Kinder mit dem Lernstoff zu unterstützen. Hier müsste die Regierung mehr hinschauen und Hilfe anbieten. Ansonsten habe ich das Glück, einen Vertrag in einer Firma zu haben, in der mir ein geregeltes Einkommen sicher ist. Ich finde, wir jungen Leute machen das schon ganz gut, Ausnahmen gibt es leider immer, aber sie bestätigen nicht die Regel!"
Jens Teutrine, 26, ist Vorsitzender der Jungen Liberalen (Julis). Er studiert Philosophie und Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld und war bis 2020 Landesvorsitzender der Julis in Nordrhein-Westfalen.
"Die Corona-Krise stellt auch junge Menschen vor große finanzielle, psychische und persönliche Herausforderungen. Viele Studierende haben beispielsweise ihren Nebenjob verloren und mussten monatelang auf Anja Karliczeks Mini-Überbrückungshilfe warten. Eine längst überfällige Bafög-Reform bleibt komplett aus.
Schülerinnen und Schüler frieren bei Klausuren die Beine ein, weil trotz historischem Rekordschuldenhaushalt angeblich kein Geld für Luftfilteranlagen da ist und stattdessen im Winter die Fenster im Klassenraum offenbleiben müssen. Dass Frau Merkel frierenden Schülern empfiehlt, sich mit Kniebeugen und Händeklatschen warm zu halten, zeigt die oft fehlende Empathie der Bundesregierung für die junge Generation."
Lennart, 25, arbeitet in einer Weinhandlung in München. Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Gastronomie erlebt er also direkt mit.
"Ich arbeite in einer Weinhandlung und bin eigentlich für die Münchner Gastronomie, also unter anderem Restaurants und Hotels, zuständig. Dadurch kann ich mit Sicherheit sagen, dass die Gastronomie ein Sektor ist, der mit am meisten unter den Maßnahmen leidet. Wie groß letztlich der Schaden ist, werden wir aber erst in ein paar Monaten sehen, denn wenn es weiterhin so große Einschränkungen gibt, werden auch größere Betriebe die Pandemie nicht überleben. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Gastronomie für eine Stadt unvorstellbar wichtig ist, denn hier geht es nicht nur um simples Essen und Trinken, sondern vielmehr um Kultur und Gemeinschaft.
In meiner persönlichen Erfahrung habe ich genauso viele jüngere wie ältere Leute gesehen, die sich nicht an die Regeln halten. Ich habe das Gefühl, dass die jungen Leute immer noch nicht verstanden haben, wie gefährlich das Virus eigentlich ist, während ältere oftmals schlicht nicht daran glauben, dass es existiert. Leider hat Ignoranz keine Altersbeschränkung. Mein größtes Problem daran ist, das dann letztendlich die Sektoren beziehungsweise Menschen darunter leiden müssen, die am wenigsten dafür können.
Die Kritik sollte sich jeder zu Herzen und unsere Situation ernst nehmen. Wir müssen alle mit den Einschränkungen leben, und keiner hat das Recht, sich über den anderen zu stellen. Niemand möchte sich vorschreiben lassen, was man tun und nicht tun kann, aber manchmal gibt es Dinge, die größer sind als man selbst. Und das gilt für jede Altersgruppe."
Nora Zabel ist 23 Jahre alt, CDU-Mitglied und Studentin der Philosophie und Politikwissenschaft an der Universität Rostock. Sie arbeitet zudem als Social-Media-Referentin in der CDU-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern.
"Es ist ein schreckliches Gefühl, zu wissen, dass jeden Tag in Deutschland so viele Menschen an Covid-19 sterben, wie es Einwohner in kleinen Dörfern gibt. Jeden Tag sterben rund 500 Menschen. Da würde ich sofort sagen: Merkel, mach alles dicht. Wenn wir mit unserem Verzicht auch nur ein Menschenleben retten können, ist es das wert.
Aber auf der anderen Seite darf man es jungen Menschen wie mir nicht verübeln, dass wir auch einfach mal wieder dicht sein wollen. Zusammen mit Freunden. In der aufregendsten Zeit seines Lebens zu Hause sitzen zu müssen, ist extrem herausfordernd, aber eben auch das Vernünftigste, was wir machen können, um gemeinsam die Ausbreitung zu verringern."
Marcel Seidenzahl, 22, schloss seine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann diesen Sommer in einem Berliner Hotel ab, ist durch die Corona-Krise seitdem jedoch arbeitslos.
"Ich finde es schade, dass bei allen Planungen zu Corona, also den damit einhergehenden Maßnahmen, die psychische Belastung der Menschen und den damit verbundenen Suizidfällen kaum bis gar nicht thematisiert wird. Ich finde hier sollte es Fördermaßnahmen geben, um Menschen mit Depressionen, die mit ihren eigenen Gedanken nichts weiter machen können, als zu Hause zu bleiben, zu helfen, sie zu stabilisieren und auch abzulenken.
Ich finde die Kritik an jungen Menschen oftmals falsch, da die Jugend wirklich sehr bemüht ist, alle Regeln zu befolgen. Es gibt in meiner Altersgruppe leider schwarze Schafe. Wenn ich jedoch zurückdenke, wie ich in den letzten Monaten im Treptower Park am Wasser saß und dann Menschenmassen mit dem geschätzten Altersdurchschnitt von 60 Jahren beobachtet habe, die ohne Maske und jeglichen Abstand die Spreepromenade entlangspaziert sind, sollte keiner mit dem Finger auf andere zeigen. Junge Menschen sind auf soziale Kontakte angewiesen. Sie sind hochmotiviert, die Welt kennenzulernen, und dazu gehört es einfach auch, sich sozial zu verknüpfen. Das hat nicht gleich etwas mit Party zu tun, wie es meiner Altersgruppe gerne unterstellt wird."
Theresia Crone, 17, ist im Zukunftsrat der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern und Kolumnistin der Schweriner Volkszeitung.
"Das aktuelle Motto der Bundesregierung scheint zu sein: Wir reden über junge Menschen – aber nicht mit ihnen. Wenn die Kultusministerkonferenz über den Schulunterricht entscheidet, dann ist die Bundesschülerkonferenz nicht dabei. Wenn über Universitäten und Hochschulen entschieden wird, werden die Studenten vorher nicht gefragt. Karliczek, Scholz und Merkel treffen Aussagen, die nach 'Jetzt hab euch mal nicht so' klingen. Das ist pure Ignoranz gegenüber dem Alltag vieler junger Menschen."
Mona H., 23, Studentin aus Göttingen, fragt sich, ob ein härterer Lockdown die zweite Corona-Welle nicht schon früher beendet hätte.
"Wir haben alle keine Lust mehr auf die Pandemie, aber Einheitlichkeit bezüglich der Regelungen in ganz Deutschland wäre wünschenswert gewesen. Wären wir bei einem kompletten härteren Lockdown vielleicht schon durch (siehe Australien)?
Es sollte sich zunehmend mit jungen Menschen (nicht Querdenkern) ausgetauscht werden, da diese womöglich bessere und zukunftsorientierte Ansätze liefern würden. Die Ängste und Sorgen werden einem nicht genommen, wenn es permanent um politische Selbstdarstellung geht."
Dario Schramm, 19, ist Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz und macht derzeit sein Abitur an einer Gesamtschule in Bergisch Gladbach.
"Gerade die junge Generation hat in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sie den Begriff Verantwortung sehr ernst nimmt. Ich kenne einige junge Menschen, die sich selbst isoliert haben, um ihre Eltern oder Großeltern nicht in Gefahr zu bringen. Wir Jungen verzichten, genauso wie alle anderen in dieser Gesellschaft. Wir verzichten auf große Treffen, bleiben in der Regel zu Hause. Dass uns andere Generationen schlechtreden, ist schlicht keine Art, wie wir heutzutage kommunizieren sollten."
Lina Gobbelé, 18, ist Studentin in Aachen und Aktivistin bei Fridays for Future.
"Die Bundesregierung mutet uns Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden gerade eine Menge zu. Dafür, dass sie die Klimakrise aktuell sehr konsequent verschläft, schafft sie es gleichzeitig, in der Corona-Krise beeindruckend inkonsequent zu sein. Jeden Tag gehen insbesondere Schüler und Schülerinnen mit der Angst in die Schule, sich in einem Klassenzimmer mit 30 verschiedenen Haushalten mit Covid-19 zu infizieren und möglicherweise gefährdete Familienmitglieder anzustecken, während außerhalb der Schulen strikte Hygienekonzepte vorherrschen.
Die Bundesregierung sollte ihre Verantwortungen nicht mehr auf uns Jugendliche abwälzen, sondern endlich klare Linien vorgeben. Das gilt sowohl im Hinblick auf die Klimakrise, als auch auf die Corona-Krise."
Jakob Fichter, 26, ist Werkstudent in einem Architekturbüro. Er glaubt, jungen Leuten fällt es möglicherweise besonders schwer, ihre Kontakte zu beschränken.
"Ich merke, dass sich mein Sozialleben, wie wohl bei jedem, stark verändert hat. Vor Corona bestand mein Ausgleich von der Arbeit größtenteils darin, mich mit Leuten zu treffen, sei es nur auf ein Feierabendbier in einer Bar oder eine Party. Der Austausch mit Menschen außerhalb meines Haushalts ist ein wichtiger Punkt in meinem Leben, und diese Nähe lässt sich nicht mit Skype ausgleichen.
Ich denke, für junge Menschen, die gerade dabei sind, sich selbst zu finden, ist der Austausch mit Gleichaltrigen sehr wichtig. Daher denke ich, für diese Altersgruppe ist die Beschränkung der Sozialkontakte besonders schwer. Ich möchte damit nicht herunterspielen, dass die Bestimmungen auch für andere Gruppen schwierig sind. Aber was die persönliche Entwicklung angeht, haben Jugendliche momentan das schwerste Los gezogen. Ich denke, dass die daraus entstehenden Probleme nicht unter den Teppich gekehrt werden sollten. Was natürlich nicht heißt, dass es deshalb okay wäre, Risiken für den Rest der Gesellschaft einzugehen.
Jugendliche sollten mit ihren Problemen und Bedürfnissen nicht alleine gelassen werden, vielleicht würden sie sich dann auch nicht so häufig über die Bestimmungen hinweg setzen. Aber ganz ehrlich, ich wollte gerade nicht in euren Schuhen stecken. Ich hoffe, wir schaffen das alle gemeinsam, ohne durchzudrehen."
Paula Maaß, 28, ist Altenpflegerin in Berlin. Sie lobt Bundeskanzlerin Merkels politische Arbeit in dieser herausfordernden Zeit.
"Ich bin froh, dass wir Angela Merkel als Bundeskanzlerin in dieser Krise haben, eine bedacht und logisch, dennoch aber menschlich handelnde Frau, die mir persönlich immer wieder ein Gefühl der Sicherheit gibt. Dass es in der letzten Zeit augenscheinlich recht chaotisch zuging, mag an den einzelnen Bundesländern und den jeweiligen Ministern und Ministerinnen gelegen haben und selbstverständlich daran, dass dieses Virus für uns alle neu ist.
Wichtig ist es, sich in dieser Zeit über vertrauenswürdige Wege zu informieren, solidarisch zu handeln und nicht vorschnell zu urteilen. Denn neben all der einschneidenden Verzichte sind Zugeständnisse für andere, aber auch für einen selbst unabdingbar."
Anna Westner, 21, ist Bundessprecherin der Linksjugend Solid. Sie wünscht sich, dass reiche Menschen einen größeren Teil der in der Pandemie entstandenen Kosten tragen.
"Das Aufbauschen der Pandemie zu einem Generationenkonflikt halten wir für grundfalsch. Es muss doch vielmehr darum gehen, wie alle einen Beitrag zur Eindämmung der Krise leisten können: Alle müssen sich an die AHACL-Regeln halten, Reiche müssen selbstverständlich größere Teile der entstandenen Kosten stemmen, und nicht lebensnotwendige Unternehmen müssen Homeoffice gewähren oder vorübergehend und bei Lohnausgleich geschlossenen werden.
Es kann nicht sein, dass die Schuld für steigende Infektionszahlen nur in der Freizeitgestaltung gesucht wird, offene Großraumbüros und Dauer-Coronapartys in Schlachtbetrieben aber weiterhin geduldet werden. Statt den von Merkel vorgeschlagen Kniebeugen fordern wir Luftfilter und eine Teilung der Klassen – wer die Lufthansa bezuschussen kann, kann auch das finanzieren."
Nick van der Velden, 21, studiert Journalismus an der Macromedia University in Berlin. Er findet, dass man nicht eine einzelne Gruppe für Corona verantwortlich machen kann.
"Ich bin der Meinung, wer behauptet, die Jugend sei an allem schuld, der macht es sich zu einfach. An einer weltweiten Pandemie ist keine einzelne Gruppe schuld. Nichtmal die verirrten Seelen der 'Querdenken'-Demos können alleine für die hohen Infektionszahlen verantwortlich gemacht werden.
Viele junge Menschen sind längst bereit, härtere Maßnahmen gegen die steigenden Infektionszahlen zu akzeptieren. Unter dem Virus leiden die Menschen unterschiedlich. Nicht zur Risikogruppe zu gehören, bedeutet für Jugendliche in Corona-Zeiten, immer unten in der Prioritätensetzung zu stehen, was angesichts der Umstände okay ist. Es ist aber auch anstrengend. Ich habe keinen Appell an die Bundesregierung, nur die Bitte, alles dafür zu tun, dass Covid-19 bald besiegt ist."
Lena Schreiner, 26, ist Pastoralreferentin in der katholischen Kirche. Sie sorgt sich um die psychischen Folgen der Corona-Krise.
"Corona ist schlimm, keine Frage. Was mir in der Debatte aber zu kurz kommt, sind die psychischen Folgen, die viele Menschen wahnsinnig hart treffen. Das erlebe ich in meiner täglichen Arbeit als Pastoralreferentin in der katholischen Kirche. Seelsorge ist eine meiner wichtigsten Aufgaben im Alltag. Wenn Menschen der finanzielle Ruin droht, ändert das für sie alles. Wenn alte Menschen sich vor ihrem Tod nicht mehr von ihren Angehörigen verabschieden können, tut das im Herzen weh. Diese Menschen haben es nicht verdient, in den letzten Tagen ihres Lebens entmündigt zu werden.
Wenn das aber passiert, und wenn physische gegen psychische Gesundheit ausgespielt wird, dann habe ich ein Problem damit, wenn man so tut, als sei Lebensschutz das oberste Ziel. Als Pastoralreferentin beschäftigt mich besonders, dass ich keinen Gottesdienst mehr im Altenheim feiern und kranken Menschen nicht die Kommunion bringen darf. Das ist so wichtig für viele Menschen und gibt ihnen den nötigen Halt, der jetzt einfach wegbricht."
Jessica Rosenthal, 28, ist Kandidatin für den Vorsitz der Jusos, der Jugendorganisation der SPD. Sie fordert mehr höhere Investitionen im Bildungssektor.
"Junge Menschen halten sich an die Maßnahmen, denn auch für uns steht die Gesundheit aller an erster Stelle. Doch unsere Interessen sind derzeit absolut unterrepräsentiert. Studierende werden von der CDU-Bildungsministerin in finanzieller Notlage im Stich gelassen, und die Kanzlerin rät Schülern und Schülerinnen zu Kniebeugen, um sich in kalten Klassenräumen aufzuwärmen.
Es ist an der Zeit, Schüler und Schülerinnen mit ausreichend Investitionen durch FFP2-Masken, Luftfilteranlagen und kleinere Lerngruppen umfassend zu schützen und das Bafög für alle zu öffnen. Die Perspektive junger Menschen muss viel mehr Gewicht bekommen und genau dafür setzen wir uns als Jusos ein."
Moritz Reiss, 26, macht seinen Master im Management-Bereich in Baden-Baden. Er ist für eine konsequentere, datengestützte Verfolgung von Neuinfektionen.
"Mir gefällt nicht, dass die Bevölkerung in Deutschland aktuell unter Generalverdacht gestellt wird. Außerdem verstehe ich nicht, dass vielen anscheinend das Recht auf Datenschutz wichtiger ist, als das Recht auf Bewegungsfreiheit. Durch konsequentere, datengestützte Nachverfolgung der Infektionen, hätten Infektionsherde schneller identifiziert werden können. Andere Staaten haben das bereits vorgemacht und kommen weitestgehend ohne weitere Beschränkungen aus."
Alice Preat, 26, studiert Journalismus in Berlin. Ursprünglich kommt sie aus Paris und hatte wegen der Pandemie kaum Gelegenheit, sich in Deutschland einzuleben.
"Wie für viele andere auch war es hart für mich, im vergangenen Jahr zu Hause zu bleiben. Ich bin erst vor kurzem aus Frankreich nach Deutschland gezogen und hatte wegen des Lockdowns kaum Gelegenheit, hier neue Leute kennenzulernen, geschweige denn den Ort, an dem ich nun lebe, richtig kennenzulernen. Gleichzeitig verstehe und befürworte ich die aktuellen Maßnahmen.
Ich glaube, um zu verstehen, warum manche Menschen die Corona-Regeln nicht befolgen, sollte man sich vergewissern: Wir haben es hier nicht mit der Beulenpest zu tun, sondern mit einer Krankheit, die man nicht sieht. Selbst wenn man jemanden kennt, der Corona hatte oder sogar daran gestorben ist, denke ich nicht, dass irgendjemand Junges jemand in seinem Umfeld hat, der besonders betroffen gewesen ist.
Wir hören also immer wieder diese Zahlen, die in Bezug auf Menschenleben nicht wirklich etwas bedeuten. Stattdessen haben wir all diese Restriktionen, die unsere Leben beeinflussen. Seine Entscheidungen nach etwas zu richten, das man nicht sieht und das sich nicht real anfühlt, ohne sein psychisches Wohlbefinden zu vernachlässigen, ist schwer – und manchmal treffen wir eben die falsche Entscheidung.
Ich denke, wir sollten uns vor allem Sorgen machen wegen Großveranstaltungen, die schnell zu Superspreader-Events werden könnten. Laut Expertenmeinungen sind es schließlich nicht Begegnungen von Einzelpersonen, die eine besondere Rolle bei der Übertragung spielen. Ich denke, dass sich mehr Menschen die Corona-Warn-App installieren sollten, damit wir unsere Kontakte besser nachverfolgen können. Das wäre ein guter Anfang."
Leonard Frick, 25, studiert Journalismus in Berlin. Er findet es schwierig, unter den aktuellen Umständen in der Hauptstadt einen Freundeskreis aufzubauen.
"Ich finde es natürlich sehr schade, dass man sich nicht in Bars oder Cafés treffen kann, aber ich bin der Meinung, dass jeder seinen Teil beitragen muss. So groß ist das Opfer dann auch nicht. Womit sich aber wirklich zu wenig beschäftigt wird, ist die psychische Gesundheit vieler Leute, die unter den Maßnahmen leiden. Besonders Personen, die in Quarantäne sind, haben es nicht einfach, das sollte man berücksichtigen. Ich sehe auch in meinem Freundeskreis, dass sich viele nicht an die Regeln halten, was mich ärgert. Die Kritik ist auf jeden Fall berechtigt.
Viele junge Leute (so wie ich) starten aber oft in neue Lebensumstände. Sie ziehen in eine neue Stadt und beginnen ein neues Studium. Es ist schwierig, sich einen Freundeskreis und ein Leben aufzubauen, wenn man nicht die Möglichkeit hat, rauszugehen und Leute kennenzulernen. Digital ist das einfach nicht dasselbe.
Die Kritik trifft mich persönlich nicht, weil ich mich an die Regeln halte, aber ich kann es nachvollziehen. Wie gesagt, jeder muss seinen Teil beitragen. Die Bundesregierung hätte aber auch einiges besser machen können, von einer einheitlichen und übersichtlichen Regelung bis zur grundsätzlichen Strategie. Deutschland hat sich aber vergleichsweise gut verhalten in der Krise."
Amelie Schreiner, 18, ist Auszubildende zur Erzieherin. Obwohl sie nun volljährig ist, kann sie viele Freiheiten wegen der Pandemie nicht genießen.
"Was ich von der Politik vermisse, ist das Verständnis für junge Menschen. Ich bin gerade 18 Jahre alt geworden. Das ist ein so wichtiger Punkt im Leben, jeder erinnert sich in seinem Leben an diese Zeit. Doch was alle anderen ab ihrem 18. Geburtstag sofort machen konnten, ist mir und meinen Freunden nun nicht möglich. Endlich feiern, endlich so lange ausbleiben, wie lange man möchte. Ohne Begleitung, ohne Eltern. All die Freiheiten, die Menschen mit 18 erhalten, bleiben uns gerade verwehrt. Ich habe nicht das Gefühl, dass gerade ausreichend Verständnis für die Situation von uns jungen Menschen besteht.
Ich mache gerade eine Ausbildung zur Erzieherin. Mimik und Gestik spielen eine große Rolle in der Entwicklungsstufe der Kinder, die ich betreue. Hier geht gerade viel verloren, weil Kinder und wir Erzieherinnen und Erzieher den ganzen Tag Maske tragen. Ich hoffe, dass das bald wieder vorbei sein kann. Auch in der Berufsschule läuft das alles nicht optimal, Stichwort Homeschooling. Die Lehrer haben mit Technik oft nichts am Hut. Zuvor wurde ihnen das digitale Unterrichten nie beigebracht, nun wird es von ihnen verlangt. Und kaum einer bekommt es richtig hin. Hier wurde in der Vorbereitung so viel versäumt. Ich hoffe, man lernt daraus."
Julius Zimmer, 27, arbeitet als DJ und Werbetexter in München.
"Auch wenn mir mein Nachtleben natürlich fehlt, macht mir die völlig verfehlte Corona-Politik der Bundesregierung in deutschen Schulen mehr Sorgen als das Clubsterben.
Da bauen sich Schülerinnen und Schüler mithilfe einer Anleitung vom Max-Planck-Institut für 250 Euro einen Luftfilter, der 90 Prozent der Aerosole im Klassenzimmer filtert, aber die Regierung eines der wirtschaftsstärksten Länder der Welt bekommt es nicht mal hin, gratis FFP2-Masken bereitzustellen. Das ist fahrlässig, lebensgefährlich und obendrein hochgradig peinlich."
Watson hat die Bundesregierung um Stellungnahme gebeten. Sie verwies auf ein 90-minütiges Gespräch, das Angela Merkel mit Studenten geführt hat. Dort ging es um deren Situation in der Pandemie.
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