Wie so viele andere habe auch ich vor kurzer Zeit "Barbie" im Kino angeschaut. Keine Sorge, das hier wird keine Filmrezension und meine Meinung zum Barbie-Feminismus ist an dieser Stelle auch nicht relevant. Vielmehr soll es darum gehen, was vor Beginn der Filmvorstellung über die Leinwand flimmerte.
Mit Popcorn in der einen und Cola in der anderen Hand ließ ich mich von den Trailern berieseln, als die Bildfläche plötzlich schwarz wurde. Statt der nächsten Filmvorschau erschien stattdessen folgender Text:
Oder in anderen Worten: Ihr befindet euch auf gestohlenem Land.
An diese Tatsache wird man hier in Australien regelmäßig erinnert. Nicht nur im Kino, sondern auch mittels Schildern an Ladentüren oder als Pop-up-Fenster auf Internetseiten. Überall wird man darüber aufgeklärt, wer rechtmäßiger Besitzer des Landes ist, auf welchem man sich gerade befindet. Die Worte des sogenannten "Acknowledgment of Country" sind dabei so gut wie immer dieselben, nur die Namen der Stämme variieren.
Wer Australien besucht, wird schnell feststellen, dass das Land offensiv mit seiner Vergangenheit umgeht. An öffentlichen Gebäuden weht neben der australischen Flagge immer auch die der Aboriginal People und an Schulen wird zusätzlich zu Französisch und Spanisch oft auch eine der über 250 Indigenen Sprachen gelehrt. Jede Kleinstadt verfügt über ein Museum oder Kulturzentrum, das über die Kolonialgeschichte Australiens aufklärt. Und sogar meine Duschgelflasche versucht, mit dem Design einer Aboriginal Künstlerin für mehr Sichtbarkeit zu sorgen.
Aber reichen Gesten wie diese aus, um die Verbrechen des Kolonialismus irgendwie wiedergutzumachen?
Für alle, die keine Ahnung haben, worum es hier überhaupt geht, folgt hier ein knapper Geschichtsdiskurs: 1770 erreichte Kapitän James Cook die Ostküste Australiens und ernannte diese kurzerhand zum Besitz der britischen Krone. Dass zu diesem Zeitpunkt bereits 600 verschiedene Nationen das Land besiedelten, wurde gekonnt ignoriert, denn die Bodenschätze Australiens waren einfach zu verlockend.
Um die überfüllten Gefängnisse in Großbritannien zu entlasten, wurden am 26. Januar 1788 dann die ersten Sträflinge nach Botany Bay deportiert. Der Tag geht als "Australia Day" in die Geschichte ein und wird noch bis heute von vielen Australier:innen mit Barbecues und Luftschlangen in Blau, Weiß und Rot gefeiert. Doch für Aboriginal People ist die Ankunft der ersten britischen Flotte kein Anlass zum zelebrieren. Der "Invasion Day" oder auch "Survival Day" erinnert sie an die zahlreichen Verbrechen, die im Zuge der Kolonialisierung an ihren Vorfahren verübt wurden – und bis heute weiterhin an ihnen verübt werden.
Während viele Aboriginal People im 19. Jahrhundert diversen Krankheiten erlagen, die von Europäer:innen importiert wurden, wurden andere auf brutalste Art und Weise vertrieben. Mündliche und schriftliche Überlieferungen erzählen von zahlreichen Massakern, die das Ziel hatten, die ursprünglichen Eigentümer:innen Australiens endgültig auszurotten.
Anfang des 20. Jahrhunderts verbreiten sich die Ideen der Rassenlehre unter den Australier:innen und das Idealbild einer weißen Gesellschaft verfestigt sich in den Köpfen vieler Menschen. Um die Kultur der Indigenen Bevölkerung zu vernichten, werden überlebende Aboriginal People in staatlich organisierten Reservaten untergebracht, wo sie sich an westliche Gepflogenheiten anpassen sollten.
Kinder werden ihren Eltern teilweise gewaltvoll entrissen, um sie deren kulturellen Einflüssen zu entziehen und als billige Arbeitskräfte auszubeuten. Schätzungen zufolge wurde jede dritte Aboriginal-Familie auf diese Weise getrennt und die Folgen dieser grausamen Taten sind weiterhin zu spüren.
Erst 1967 bekamen Aboriginal People Bürgerrechte, erst 1992 wurde von einem Gericht offiziell anerkannt, dass der Kontinent bereits vor Ankunft der Europäer:innen bewohnt wurde und erst 2008 entschuldigte sich der damalige Premierminister Kevin Rudd förmlich bei der Indigenen Bevölkerung Australiens und insbesondere bei der "gestohlenen Generation" – jenen Kindern, die ihren Eltern damals entrissen und teilweise durch Zwangsadoption freigegeben wurden.
In seiner Rede sagte er: "Die Zeit ist gekommen, um eine neue Seite in der Geschichte Australiens aufzuschlagen, das Unrecht der Vergangenheit wiedergutzumachen und mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken." Er verspricht eine Zukunft, in der alle Australier:innen gleich behandelt werden, die gleichen Chancen und den gleichen Einfluss haben.
Und obwohl inzwischen zahlreiche Maßnahmen getroffen wurden, die diese versprochene Chancengleichheit ermöglichen sollen, sind Aborginal People und Torres Strait Islanders 15 Jahre später weiterhin die marginalisierteste Bevölkerungsgruppe Australiens.
Das Parliament of Australia berichtet, dass 30 Prozent der Indigenen Haushalte ein Einkommen unter der Armutsgrenze haben und die Hälfte der Erwachsenen auf staatliche Fördergelder angewiesen sind. Aboriginal People in den Städten sind im Vergleich zu anderen Australier:innen doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen und sie haben ein höheres Risiko, Wohnungslosigkeit zu erleben.
Aboriginal People und Torres Strait Islanders leiden zudem häufiger unter Krankheiten und sterben laut Angaben des "Australian Institute of Health and Welfare" im Durchschnitt acht Jahre früher als Nicht-Indigene Australier:innen. Diese Kluft lässt sich unter anderem durch sozio-ökonomischen Faktoren, wie schlechten Wohnbedingungen und begrenzten Zugriff auf medizinische Versorgung begründen.
Und auch von der Gleichberechtigung, die Kevin Rudd 2008 in seiner Rede versprochen hatte, ist bislang noch nicht viel zu spüren. Das könnte sich mit dem "The Voice"-Referendum am 14. Oktober diesen Jahres jedoch ändern. Australier:innen stimmen an diesem Tag über eine Verfassungsänderung ab, die es Aboriginal People und Torres Strait Islanders erlaubt, der Regierung Repräsentant:innen zu stellen, die ihre Interessen vertreten sollen.
Die Verfassungsänderung wäre eine Maßnahme, die für viele Australier:innen längst überfällig scheint: Überall, wo man hingeht, bekommt man Info-Flyer zum Referendum in die Hand gedrückt, Leute stellen sich "Vote Yes"-Schilder in den Vorgarten und kleben sich die Flagge der Aboriginals auf die Stoßstange.
Denn obwohl das Anerkennen der traditionellen Eigentümer des Landes Australien vor Ausstrahlung eines Barbie-Films eine wichtige Geste ist, so ist es noch wichtiger, Betroffenen zuzuhören und ihnen eine Bühne zu geben. Ob sie die auch bekommen, wird sich erst Mitte Oktober zeigen.
(fw)