Jüngst haben zahlreiche Stars der deutschen Rap-Szene Post vom Landeskriminalamt Berlin bekommen. Denn: Offenbar finden sich aufgezeichnete Gespräche der Empfänger auf dem Handy von Arafat Abou-Chaker. Das berichtete die "Bild"-Zeitung. Abou-Chaker gilt den Behörden und den Medien als berüchtigter Berliner "Clan-Boss", anderen Beobachtern aber als einflussreicher Geschäftsmann.
Der Öffentlichkeit wurde Abou-Chaker spätestens als Geschäftspartner und Freund von Rapper Bushido bekannt. Auf der Liste der Stars, deren Stimmen auf dem beschlagnahmten Handy von Abou-Chaker zu hören sein sollen, stehen laut dem "Bild"-Bericht aber auch bekannte Größen wie YouTube-Star Shirin David und die Rapper Shindy, Fler und Capital Bra.
Das wirft die Frage auf: Was haben deutsche Musikstars eigentlich mit einem Mann zu schaffen, der als Führungsfigur der Organisierten Kriminalität in Berlin gilt?
Ein Überblick.
Arafat gehört zu einer libanesischen Großfamilie. Wie viele Mitglieder diese Familie hat, ist nicht genau bekannt. Laut den Berichten dürften es zwischen 200 und 300 in Berlin sein.
Die Geschichte der Familie beginnt in den 60ern in einem palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon, wie der "Stern" einmal berichtete. Nach und nach kamen die Mitglieder der Familie nach Berlin. Teile der Familie seien kriminell. "Sie erfüllen Eigenschaften der organisierten Kriminalität und weisen mafiöse Strukturen auf", berichtet die "Süddeutsche Zeitung".
Arafat Abou-Chaker soll der Kopf dieser Familie sein. Allerdings: Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte bis Anfang 2019 laut einem weiteren "Bild"-Bericht bereits 33-mal gegen ihn ermittelt – und musste jedes Mal das Verfahren aus Mangel an Beweisen einstellen.
Das änderte sich im Januar 2019: Arafat Abou-Chaker wurde zu zehn Monaten auf Bewährung wegen Körperverletzung und Bedrohung eines Hausmeisters verurteilt. Gleich nach der Urteilsverkündung wurde Abou-Chaker verhaftet. Er soll zusammen mit seinem Bruder die Entführung des einstigen Geschäftspartners und Freundes von Bushido geplant haben.
Bereits 2018 hatte sich Bushido von Abou-Chaker losgesagt. Der Rapper stand danach auch unter Polizeischutz.
In einem langen Interview mit dem Magazin "Stern" erklärten sich im September 2018 Bushido, mit bürgerlichem Namen Anis Mohamed Ferchichi, und seine Frau Anna-Maria Ferchichi.
Anna-Maria sagte über Abou-Chaker: "Er bestimmte unser gesamtes Leben, das ganze Denken meines Mannes." Der Rapper berichtete: "Die Eingriffe in mein Privatleben wurden immer massiver."
Lange Zeit aber waren Bushido und die berüchtigte Berliner Clan-Figur unzertrennlich. Ihre Geschichte begann laut der Autobiografie des Rappers, "Vom Bordstein bis zur Skyline", als Bushido sich von seinem alten Label lösen wollte, aber offenbar nicht aus dem Vertrag kam. Abou-Chaker machte das möglich – laut Bushido, indem er mit einem Gerichtsverfahren drohte.
"Der Name Abou-Chaker ist in Berlin legendär", schrieb Bushido in seinem Buch. "Alle krassen Geschichten, die in Berlin passieren, haben immer etwas mit der Familie Abou-Chaker zu tun", heißt es dort weiter. Und: Arafat selbst sei einer der mächtigsten Männer Berlins.
Der "Stern" berichtete 2013 von einer "Generalvollmacht", die Bushido dem Clan-Chef ausgestellt habe. Der Rapper habe sich Abou-Chaker somit unterworfen, so der "Stern" damals. Wie Arafat Abou-Chaker der "Zeit" sagte, bestand aber auch eine entsprechende Vollmacht des Clan-Chefs an Bushido.
Abou-Chaker soll auch zu gleichen Teilen Anteile an Bushidos Rap-Label "Ersguterjunge" gehalten haben, laut anderen Berichten war er lediglich als Mitarbeiter eingetragen. So oder so: Irgendwann wurde dem Rapper der Einfluss von Abou-Chaker auf sein Leben und seine Arbeit offenbar zu groß; es kam zum Bruch. Laut der "Bild"-Zeitung ist mittlerweile Bushido wieder alleiniger Inhaber des Labels.
Bushido und Arafat hatten mit "Ersguterjunge" zahlreiche namhafte deutsche Künstler gesignt.
Darunter etwa Kay One, der das Label 2012 verließ. In einem Interview behauptete er 2013, Bushido sei ein Sklave des Abou-Chaker-Clans. Auch Kay One stand danach unter Polizeischutz.
Über Kay One kam Deutschrapper Shindy zu Bushidos Label. Als es zum Bruch zwischen Kay One und Bushido kam, blieb Shindy bei "Ersguterjunge". Über die Zeit, als Bushido und Abou-Chaker sich stritten, sagte Shindy einmal hinterher: "Die letzten Monate waren absoluter Psychoterror."
Seine Single "DODI" veröffentlichte der Rapper im Januar 2019 unter seinem eigenen Label "Friends With Money".
Samra unterschrieb 2017 bei "Ersguterjunge". Auch während des Streits zwischen Bushido und Abou-Chaker blieb der Rapper dem Label treu. Erst seit Januar ist bekannt, dass Samra nicht mehr bei "Ersguterjunge" ist.
Der Rapper kam über Abou-Chaker zu Bushido: "Wegen Bushido habe ich angefangen zu rappen und mein Onkel ist mit Arafat befreundet (...)."
Im Sommer 2018 überraschte Bushido alle, als er mit Capital Bra den erfolgreichsten Rapper des Landes unter Vertrag nahm. Doch schon im Januar 2019 war alles vorbei. Capital Bra trennte sich von Bushido, er warf ihm auf Instagram vor, mit der Polizei zusammenzuarbeiten.
Capi gründete sein eigenes Label. Die "Bild"-Zeitung wiederum berichtet, dass es nach Informationen der Polizei zu einem Treffen zwischen dem Bratan und dem Clan-Chef gekommen sein soll. Und zwar, bevor Capi bei Bushido einstieg. Das war bereits zu einer Zeit, als sich Bushido und Arafat nicht mehr leiden konnten. Offenbar ist aus diesem Treffen nichts hervorgegangen.
Shirin David, YouTuberin und Sängerin, hat in der Vergangenheit bereits mit Shindy zusammengearbeitet. Das ganze aber endete mit einem bizarren Streit.
Aber womöglich ist der Verbindungspunkt zwischen Shirin und Arafat nicht Shindy – laut der "Bild" soll der Manager von Shirin David ein enger Bekannter von Arafat Abou-Chaker sein. Die Musik-Welt ist offenbar klein in Berlin.
Als es zum Bruch mit Bushido kam, gründete Arafat Abou-Chaker sein eigenes Rap-Label S44. Hier stehen bisher Ali Bumaye und Baler unter Vertrag.
Seine Kontakte in die Musikwelt nutzt Abou-Chaker also offenbar noch immer. Auch wenn die großen Namen noch auf seinem Label fehlen.
Die große Frage ist: Wer wird sich nach all den Schlagzeilen mit Abou-Chaker noch einlassen? Andererseits verspricht doch nichts mehr Street Credibility, als bei einem verurteilten Clan-Boss unter Vertrag zu stehen, ne?
Das wissen wir nicht. Dass die Musiker aber nun Post vom LKA bekommen haben, muss nicht heißen, dass es in ihren Gesprächen mit Abou-Chaker um strafrechtlich relevante Belange ging, wie ein Beamter der "Bild"-Zeitung erklärte.
Das Handy das Clan-Chefs wurde im November bei einer Razzia beschlagnahmt. Warum Arafat Gespräche aufgezeichnet hat, ist noch nicht klar. Immerhin könnte er sich damit selbst belastet haben.
Noch aber dauern die Ermittlungen an.
(ll)