Ein Politiker wurde aus nächster Nähe erschossen. Der mutmaßliche Täter ist ein Neonazi, der bereits wegen rechter Gewalttaten vorbestraft ist. Und trotzdem ist aus der Bundesregierung und vor allem aus der Union bislang kaum ein Aufschrei zu hören. Die CDU-Parteispitze war in den letzten Tagen erstaunlich ruhig. Wirtschaftsminister Peter Altmaier zeigt in einem Tweet seine Ahnungslosigkeit.
Dabei ist klar: Rechtsextreme Gewalt und rechtsextremer Terror müssen endlich ernst genommen und entschlossen bekämpft werden.
Und trotzdem wird die Bedrohung durch rechtsextremen Terror von vielen immer noch nicht ernst genommen. Von manchen Behörden und vor allem von Teilen der deutschen Politik. Wirtschaftsminister Altmaier zeigte das am Montagabend geradezu exemplarisch.
Dabei schrieb er nicht nur den Namen des getöteten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke falsch. Er zeigte vor allem, wie falsch und verharmlosend seine Einschätzung der rechtsextremen Bedrohungslage in Deutschland ist.
Wer einen "kaltblütigen rechtsextremen Mord" seit den Taten des NSU nicht mehr für möglich gehalten hat, der hat sich in den vergangenen Jahren offenbar kaum mit der Realität befasst. Der hat verpasst, gegen wie viele rechte Terrorgruppen die Polizei vorgegangen ist – und wie viele neue rechtsterroristische Strukturen entstanden sind. Der hat verpasst, wie sich die Reichsbürgerszene radikalisiert hat und wie Attentate wie das von Christchurch auch Rechtsextreme in Deutschland beeinflussen.
Kurzum: Niemand, der sich mit dem Rechtsextremismus in Deutschland näher auseinandergesetzt hat, kann eine solche Aussage treffen.
Unverständlich ist auch das laute Schweigen in Teilen der Bundespolitik. Besonders in der Unions-Spitze war es bislang erschreckend still dafür, dass ein CDU-Politiker mutmaßlich von einem rechtsextremen Attentäter getötet wurde.
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich am Montag zu den Ermittlungen und begrüßte, dass die vom Generalbundesanwalt übernommen wurden. Zur rechtsextremen Bedrohungslage verlor sie dabei jedoch kein Wort.
CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer äußerte sich seit der Verhaftung des Tatverdächtigen bislang gar nicht zu dem Fall.
Auch von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak: Funkstille.
Aus der CDU-Parteizentrale heißt es bisher auf Anfrage nur, man wolle sich für eine überlegte Reaktion auf den Vorwurf des Schweigens genügend Zeit nehmen. Es ist also nicht auszuschließen, dass da noch etwas kommt. Frei nach dem Motto: Besser spät als nie.
Wenn es um islamistischen Terrorismus geht, wird nicht so lange gewartet und abgewägt. Das lange Schweigen im Fall Lübcke ist ein fatales Signal. Es wird nicht nur von Rechtsextremen gesehen, sondern auch von deren potentiellen Opfern. Es bestätigt ihnen, was sie seit Jahren erleben: Wir werden bedroht, und der Staat tut nicht genug, um uns zu schützen.
Innenminister Horst Seehofer äußerte sich nun am Dienstagmittag in einer Pressekonferenz in Berlin. Dort sagte er:
Der Rechtsextremismus sei eine erhebliche und ernstzunehmende Gefahr für die Freiheit unserer Gesellschaft. Er müsse mit allen Mitteln des Staates bekämpft werden. Die Bekämpfung von Terrorismus jeder Art bleibe ein Kernanliegen der Bundesregierung.
Das ist eine Ansage. Wichtig ist, dass dem nun auch wirklich ein entschlossenes Handeln folgt.
Anlässe dafür gab es in den vergangenen Jahren bereits zuhauf. Doch spätestens dieser tödliche Anschlag auf Walter Lübcke muss jetzt endlich zu einem wahren Umdenken führen.
Rechtsextremer Terror muss endlich genauso ernst genommen werden wie islamistischer. Die Reaktionen von Politik und Sicherheitsbehörden auf Morde durch Neonazis müssen genauso entschlossen ausfallen wie die Reaktionen auf Anschläge von Dschihadisten.
Nicht nur wenn Politiker die Opfer dieses Terrors sind, sondern auch wenn er sich gegen Antifaschisten richtet, oder gegen Menschen, die nicht in das völkisch-rassistische Weltbild der Neonazis passen.