Das Ritual hat in manchen Menschen Erinnerungen an die NS-Zeit geweckt.Bild: imago images / STEFAN ZEITZ
Meinung
14.10.2021, 18:2015.10.2021, 11:35
Ich kann mir bildlich vorstellen, wie der deutsche jüdische Maler Max Liebermann aus seinem Fenster geguckt und ausgerufen hat: "Ick kann janich so viel fressen, wie ick kotzen möchte!" Da sah er die Nazis mit Fackeln durch das Brandenburger Tor marschieren, am Tag der Machtübergabe.
Genauso bildlich kann ich mir vorstellen, wie erschrocken bis angeekelt manche deutschen jüdischen Menschen auf die Bilder des Großen Zapfenstreichs reagiert haben, der am Mittwochabend zu Ehren des Einsatzes in Afghanistan vor dem Reichstag stattfand. Auch da gab es Fackeln, deren Schein die Stahlhelme zum Glänzen brachte.
Und wo wir grade dabei sind, uns Dinge vorzustellen: Genauso kann ich mir vorstellen, wie irritiert bis verletzt Soldatinnen und Soldaten auf Vergleiche ihrer Ehrung mit Riten des Nationalsozialismus reagieren. Sie sind Mitglieder einer demokratisch kontrollierten Parlamentsarmee, Staatsbürger in Uniform, die sich letztlich im Auftrag von uns allen auf tödliche Missionen begeben haben.
Wie bekommt man diese drei Dimensionen nun vernünftig zusammen?
Everbody's Darling ist kein demokratisches Konzept
Vielleicht am ehesten durch die Anerkennung der Tatsache, dass es in einer Demokratie nicht allen recht gemacht werden kann. Irgendjemand wird immer gekränkt, die Grenzen irgendeines guten Geschmacks überschritten werden. Everbody's Darling ist kein demokratisches Konzept.
Vielleicht so: Wir erkennen zunächst an, dass es profunde Kritik am Fackel-und-Stahlhelm-Zeremoniell gibt, die über ästhetische Punkte hinausgeht. Dann nehmen wir zur Kenntnis, dass dies nicht der letzte Zapfenstreich der Bundeswehr gewesen sein wird. Und schlussendlich beginnen wir eine Debatte – nur bitte nicht auf dem Rücken der Einsatzkräfte – darüber, wie eine moderne und weniger Slapstick-archaische Version des Zapfenstreichs aussehen könnte.
Und zwar respektvoll, ohne Menschen ihr Recht auf Irritationen abzusprechen. Und natürlich ohne vorschnelle Nazi-Vergleiche.