Von Mittwoch bis Freitag streikten die Lokführer der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL). Für uns ein guter Anlass, ganz grundsätzlich über das Zugfahren zu diskutieren. Macht Zugfahren überhaupt Spaß oder sollte man die Bahn besser meiden? Sind Züge nur ein nötiges Übel, um gut innerhalb Deutschlands zu reisen? In der watson-Redaktion gehen die Meinungen dazu weit auseinander: Politikredakteurin Rebecca ist genervt vom Bahnfahren – während Sportredakteur Nikolai ein Fan des Reisens auf Schienen ist. Hier stellen beide ihre Argumente vor.
Zugfahren nervt. Klar, es ist umweltfreundlich. Man steht nicht im Stau, kann Zeitungen lesen oder Serien gucken. Zwischendurch ein Kaffee im Bordbistro. Alles fein – in der Theorie. In der Praxis gehen Bahnfahrten bei mir meistens mit E-Mails von der "DB-Reisebegleitung" los. Bevor man am Bahnhof ankommt, ist man also schon genervt: Verspätung hier, Gleiswechsel da. Die Bahn verlangt viel Spontanität von ihren Kunden.
So viel, dass ich schon bei der Buchung schaue, definitiv genug Puffer zu haben, um trotz Verspätung pünktlich bei Anschlussterminen zu sein. Von Streiks ist hier noch gar keine Rede. Für bessere Bedingungen einzustehen und sich für faire Tarife einzusetzen ist etwas Gutes. Das Recht zu streiken darf nicht ausgehöhlt werden – soviel muss klar sein. Und zwei Tage nicht so bequem von A nach B zu kommen sind auch nicht das Problem.
Der letzte Streik bei der Bahn war außerdem 2018: Damals war es nicht die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL), sondern die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die den Verkehr zum Erliegen brachte. Wenn all die angestaute Wut, die bei mir zu einem Ruhepuls von 150 führt, sobald ich einen Fernzug betrete, von zwei, drei Tagen alle paar Jahre rühren würde, würde ich mich wahrscheinlich selbst als Cholerikerin bezeichnen.
So ist es aber nicht. Denn es sind nicht die Streiks, die mein Vertrauen in die Verlässlichkeit der Bahn kaputt gemacht haben. Es ist die nicht vorhandene Verlässlichkeit der Bahn. Das Problem fängt nach meiner Erfahrung meistens an, sobald man einmal umsteigen muss. Schon bei der Buchung startet das Gedankenkarussell: "Mhm, nur fünf Minuten Umsteigezeit und ich muss ein Gleis weiter, das klappt nie." So zumindest meine Erfahrung.
Wenn der Anschlusszug nun aber nicht alle 15 Minuten kommt, weil das Ziel eben nicht in Hamburg, München oder Berlin liegt – sondern auf dem Land, wo die Regionalbahn nur im Stundentakt oder vielleicht sogar nur alle zwei Stunden fährt – wird aus einer geringfügigen Verspätung an einem Bahnhof eine enorme Verspätung am Zielort. Wie oft ich bisher an diversen Bahnhöfen gestrandet bin, kann ich kaum aufzählen.
Laut der entsprechenden Statistik der Deutschen Bahn hat sich die Pünktlichkeit der Bahn im vergangenen Jahr auf 81,8 Prozent gesteigert. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 waren 75,9 Prozent der Züge pünktlich, 2018 sogar nur 74,9 Prozent. Möglicherweise ist es Murphys Gesetz, dass ich immer in den knapp 19 Prozent der Züge sitze, die trotzdem zu spät kommen. Mit "pünktlich" sind übrigens alle Züge mitgemeint, die maximal sechs Minuten verspätet sind.
Wenn nicht gerade Schnee und Eis die ICE-Strecken unbenutzbar machen, muss eine Fliegerbombe entschärft werden, ein Sturm hat Bäume auf die Gleise geweht oder eine Kuh ist mal wieder von der Weide abgehauen und macht es sich auf der Bahnstrecke zwischen Fulda und Hanau gemütlich. Wenn all das nicht zutrifft, hat sich wahrscheinlich die Technik aufgehängt, weshalb die Lokomotive neu gestartet werden muss. Unter Umständen kommt aber auch ein Zug entgegen oder die Klimaanlage ist ausgefallen.
Letzteres ist für mich an sich nicht so schlimm, im Sommer vielleicht ein bisschen unangenehm. Deutlich unangenehmer wird es aber, wenn die Fahrt deshalb in einem anderen Waggon fortgesetzt werden muss – fällt ein Zugteil aus, werden die anderen nämlich zwangsläufig voller. Mehr schwitzend und weniger sitzend quasi. Das mit dem Sitzplatz ist auch eine interessante Sache: reserviert man einen, kann es immer passieren, dass genau das Zugabteil nicht angekoppelt ist. Man kann sich also trotzdem auf Platzsuche begeben. Das gestaltet sich, je nachdem auf welcher Strecke und zu welcher Uhrzeit gerne als schwierig.
Natürlich kann man mit dem Auto ebenfalls in Stau geraten – außerdem ist es anstrengend, weite Strecken zu fahren. Im Auto habe ich aber weniger das Gefühl ohnmächtig zu sein. Gibt es Stau, kann ich zum Beispiel versuchen ihn zu umfahren. Wird es mir zu anstrengend, kann ich eine Pause machen und frische Luft schnappen. Aus Umweltgesichtspunkten ist das natürlich verwerflich, Lesen und Serienschauen geht während der Fahrt auch nicht. Das sind Gründe, weshalb ich mich trotz aller Probleme immer wieder für die Bahn entscheide. Allerdings tue ich das jedes Mal mit Misstrauen – mit Entspannung haben solche Trips für mich meistens nichts zu tun.
Vorweg: Ich besitze eine Bahncard 50 und musste berufsbedingt im vergangenen Jahr zwischen Stuttgart und Berlin pendeln. Dafür habe ich die Bahn genutzt und insgesamt 48 Stunden (!) im Monat in Zügen der Deutschen Bahn verbracht. Mein Fazit: fantastisch! Regelmäßige Verspätungen? Fehlanzeige.
Außer das eine Mal, als umgestürzte Bäume wegen Wetter-Kapriolen die Gleise blockierten – ich kam über zwei Stunden später an. Shit happens, aber solche Dinge wird es durch den Klimawandel wohl noch öfter geben. Und wie kann ich selbst dagegen vorgehen? Richtig: Mehr Bahn statt Auto fahren. Hört sich etwas kurios an, hängt aber mit der Umweltfreundlichkeit der Züge zusammen.
Das Umweltbundesamt hat 2019 errechnet, dass ein Auto auf 100 Kilometer im Vergleich zum Zug nur dann umweltfreundlicher bei den Emissionen pro Person ist, wenn fünf Reisende damit fahren. Viel Spaß also in einem Kleinwagen – oder sollte ich lieber Sardinenbüchse sagen? Im Zug hat man dagegen seinen eigenen Platz, den man vielleicht manchmal suchen muss, aber am Ende immer findet (zu Corona-Zeiten sowieso).
Dazu kommt die Ruhe und Abgeschiedenheit im Zug. Man steigt ein, setzt sich und kann entspannen, muss sich keine Gedanken machen, ob auf der Strecke ein Stau ist und wie man ihn am besten über irgendwelche Dörfer umfährt. Der Kampf mit dem Navi entfällt. Stattdessen kann ich im Zug lesen, Podcasts hören, schlafen. Oder, der Digitalisierung sei Dank: ein Fußballspiel anschauen. Denn mittlerweile ist das Unterhaltungssystem der Bahn gut ausgebaut, das Internet funktioniert – zumindest bei mir – so zuverlässig, dass ich das gesamte DFB-Pokalfinale zwischen Dortmund und Leipzig (4:1) streamen konnte. Da verging die Reisezeit wie im Flug.
Apropros Flüge: Die sind weniger pünktlich als die Züge der Bahn. 2019 kamen nur 73,96 Prozent der Flüge der Lufthansa pünktlich. Hier zählt sogar eine pünktliche Ankunft bis 15 Minuten nach der geplanten Landung. Und wenn es bei der Bahn zu Verspätungen kommt, brauche ich mich um kaum etwas zu kümmern. Die Bahnbegleitung gibt über Lautsprecher die Informationen zu den Verbindungen durch oder versucht, andere Züge zum Warten zu überreden. Ich muss mir also keinerlei Stress machen und neue Verbindungen heraussuchen, sondern lasse mich führen.
Generell entsteht beim Reisen für mich eine gewisse Entspannung. Ankommen wird man sowieso. Natürlich kann ich verstehen, dass es auch wichtige Anlässe gibt, bei denen man auf die Bahn angewiesen ist und man einfach nicht zu spät kommen darf. Mein Tipp: Einen Zug früher nehmen. Lieber trinke ich am Zielort noch entspannt einen Kaffee und warte. Und wenn man mit dem Auto zu einem wichtigen Termin fährt, plant man ja schließlich auch Pufferzeit ein.
Zuletzt haben die Lokführer vor drei Jahren gestreikt, deshalb ist es ihr jetzt Recht und wir müssen das so akzeptieren. Dass das Timing in einer Pandemie und den dadurch überfüllten Ersatz-Zügen mehr als unglücklich ist, ist klar. Dennoch sollten wir uns deshalb für die Zukunft nicht den Spaß am Bahnfahren nehmen lassen.