Als die E-Scooter im Juni 2019 in Deutschland eingeführt wurden, war die Begeisterung groß. Doch nach einem halben Jahr fällt die Bilanz eher ernüchternd aus. So zählt allein Nordrhein-Westfalen bereits über 100 Unfälle, wie der dortige Innenminister Herbert Reul kürzlich mitteilte. Und eine Umfrage des "Hamburger Abendblatts" zeigt: Eine Mehrheit von 62 Prozent der Deutschen ist für ein Verbot der Elektroroller. Spannend: Auch unter den 18- bis 29-Jährigen überwiegt die Ablehnung.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erklärte seinerzeit zur Einführung, E-Scooter hätten enormes Zukunftspotential: "Wir wollen neue Wege moderner, umweltfreundlicher und sauberer Mobilität in unseren Städten."
Doch gilt das angesichts der bisherigen Ergebnisse noch? Auf watson-Anfrage verweist das Bundesverkehrsministerium darauf, dass die Verordnung von der Bundesanstalt für Straßenwesen über einen Zeitraum von drei Jahren wissenschaftlich begleitet und evaluiert werde. Dabei soll auch das Nutzerverhalten analysiert werden.
Einen ersten Zwischenbericht zur Verkehrssicherheit will das Ministerium erst bis Ende 2020 vorlegen. Es sei zudem geplant, E-Scooter in die amtliche Unfallstatistik des Statistischen Bundesamtes mit einer eindeutigen Zuordnung aufzunehmen.
Was ist nun also von E-Scootern zu halten? Wir haben beim Verkehrsclub Deutschland nachgefragt – und folgende Informationen erhalten:
In Punkto Unfallsicherheit zeigten erste Zahlen, dass E-Scooter-Fahren auch in Berlin um ein Vielfaches gefährlicher sei als Fahrradfahren, sagt Verkehrsclub-Sprecherin Anika Meenken. Kämen beim Fahrrad zehn Unfälle auf 1.000.000 km seien es bei E-Scootern 30 Unfälle. Die exakten Gründe dafür seien noch nicht ausreichend erforscht, doch der Verkehrsclub teilt mit:
Andererseits ließen sich die höheren Unfallzahlen auch auf das falsche Verhalten der E-Scooter-Nutzer zurückführen: "Dazu zählt beispielsweise das Fahren mit mangelnder Übung, unter Alkoholeinfluss und Fahrten zu zweit auf einem E-Tretroller."
Grundsätzlich begrüße man E-Scooter als Verkehrsmittel, weil diese eine neue und vergleichsweise nachhaltige Mobilitätsoption darstellten, so der Verkehrsclub. Sie seien jedoch nur ein Puzzle-Teil, um die Verkehrswende umzusetzen und müssten im Gesamtkontext nachhaltige Mobilität betrachtet werden.
Laut einer Studie von Civity liege die durchschnittlich zurückgelegte Entfernung mit E-Scootern bei knapp 2 Kilometern. Belastbar seien diese Zahlen aber noch nicht, da der Zeitraum seit der Einführung noch zu kurz sei. Sie seien jedoch ein Hinweis darauf, dass E-Scooter – wie gewünscht – nicht statt Fußwegen, sondern statt anderer Verkehrsmittel zum Einsatz kämen.
Ob Fahrten mit dem E-Scooter Fahrten mit dem Auto ersetzen könnten, lasse sich für Deutschland noch nicht sagen. Zahlen gibt es immerhin aus den USA: Eine Nutzerumfrage dort ergebe, dass rund 39 Prozent seltener mit dem Auto fahren, seitdem sie das erste Mal mit einem E-Scooter gefahren sind. 44 Prozent fahren seitdem seltener mit dem Taxi, Uber oder Lyft.
Meenken weist auch darauf hin, dass der Betrieb von E-Scootern und anderer Elektrokleinstfahrzeugen zumindest mit dem aktuellen deutschen Strommix keineswegs klimaneutral möglich sei – anders als bei Fahrrädern oder Tretrollern ohne Motor. "Im Vergleich zum Betrieb anderer motorisierter Verkehrsmittel, wie zum Beispiel dem Pkw mit klassischem Verbrennungsmotor, ist die Klimabilanz des E-Scooters natürlich sehr viel besser."