Nachhaltigkeit
Gastbeitrag

"EU verabschiedet sich vom Pariser Klimaabkommen": Fridays for Future kritisiert Agrarreform

Kalkduengung des Bodens auf einer Ackerflaeche in Goslar, im Bundesland Niedersachsen ,im Ortsteil Vienenburg. Kalk ausbringen *** Lime fertilization of the soil on arable land in Goslar, in the feder ...
Fast ein Drittel des EU-Budgets fließen in die Agrarindustrie.Bild: www.imago-images.de / Martin Wagner
Gastbeitrag

"EU verabschiedet sich vom Pariser Klimaabkommen": Fridays for Future kritisiert Agrarreform

23.10.2020, 16:0124.10.2020, 15:34
Helena marschall, gastautorin
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Während es in Kalifornien, Sibirien und dem Amazonas brennt, in Europa Dürren und Waldsterben herrschen und ein Hitzerekord nach dem anderen aufgestellt wird, verabschiedet sich die europäische Politik diese Woche de facto vom Pariser Klimaabkommen. 387 Milliarden Euro Subventionen – über ein Drittel des gesamten EU-Budgets der nächsten sieben Jahre – sollen ohne ausreichende Umweltvorgaben in die Agrarindustrie fließen. Dieser Vorschlag wurde heute im EU-Parlament angenommen, und es ist absurd und erschreckend, dass es überhaupt dazu kommen konnte.

Denn die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) ist eine politische Bankrotterklärung an eine ökologische Agrarwende und eine in Gesetz gegossene Erhaltung eines zerstörerischen Status Quos. Wie seit Jahrzehnten üblich, sollen die fast 400 Milliarden Euro an Budget großteils in Form von Direktzahlungen verteilt werden, von denen besonders einzelne Konzerne und Unternehmen wie zum Beispiel Aldi als Landbesitzer profitieren. Denn über die Höhe der Zahlung entscheidet allein die Anzahl der Hektar, die ein Betrieb besitzt, nicht etwa, wie diese Fläche genutzt wird. Hat man sich in Brüssel vor zwei Wochen erst für den Green Deal und die Erhöhung der Klimaziele zelebriert, werden diese Woche beide Beschlüsse durch die Agrarpolitik untergraben.

Alle zwei Wochen melden sich Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort, um zu zeigen: Wir können noch etwas gegen den Klimawandel tun – wenn wir jetzt ...
Alle zwei Wochen melden sich Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort, um zu zeigen: Wir können noch etwas gegen den Klimawandel tun – wenn wir jetzt handeln.bild: watson

Die innereuropäische Landwirtschaft macht 13 Prozent der europäischen Gesamtemissionen aus. Böden dienen als CO2-Speicher und sind somit ein gefährdender Kipppunkt in unserem ökologischen System, aber auch als Chance, zusätzliche Emissionen zu speichern. Heißt: Die Klimakrise könnte durch eine andere Bewirtschaftung gebremst werden. Durch die ausbeuterische und zerstörerische Agrarindustrie wird die Klimakrise jedoch vorangetrieben und trifft damit wiederum die Landwirtschaft hart.

Das derzeitige Vorhaben des Rats nimmt diese Probleme nicht nur nicht in Angriff, sondern scheint vollkommen an ihnen vorbeizugreifen. Obwohl keine verbindlichen Klimaziele, Biodiversitäts-Vorgaben oder ein Kriterienkatalog vorliegen und dementsprechend so gut wie keine Emissionen eingespart werden, spricht Julia Klöckner dreist von "Ökoauflagen". Die tragische Hauptrolle, die ihr die deutsche Ratspräsidentschaft verleiht, führt Klöckner damit fort, dass sie in Bezug auf ihren rückwärtsgewandten Plan von einem "Meilenstein" spricht.

Mangelnde Transparenz

Dieser besteht wohl am ehesten darin, dass die Biodiversitäts- und Klimaziele der EU durch ein Fortführen der Subventionierung des industriellen Agrarkomplexes vollkommen torpediert werden. Dass dies überhaupt möglich ist, obwohl sich viele der deutschen Landwirtinnen und Landwirte nicht ausreichend von Klöckner repräsentiert fühlen und 81 Prozent der natürlichen Lebensräume aktuell bedroht sind, zeugt von der absoluten Realitätsferne der europäischen Agrarpolitik.

Mangelnde Transparenz erschwert eine ausreichende Beschäftigung der Parlamentsabgeordneten mit dem Kompromissvorschlag von Klöckner, den liberalen, konservativen und sozialdemokratischen Fraktionen und dem Landwirtschaftsausschuss. Schon lange ist bekannt, dass über die Hälfte der Landwirtschafts-Ausschussmitglieder Verbindungen zur Landwirtschaft haben, über die viele von ihnen indirekt oder direkt von den hohen Zahlungen, die sie beschließen, profitieren. Der ganze Prozess ist geprägt von Intransparenz, Hinterzimmer-Gesprächen und kurzfristig vorgezogenen Abstimmungen.

Über die Autorin

Helena Marschall organisiert schon seit fast zwei Jahren Fridays for Future-Demonstrationen. Die 18-jährige Studentin ist in zahlreiche bundesweite Kampagnen und in der Öffentlichkeitsarbeit involvier ...
Helena Marschall organisiert schon seit fast zwei Jahren Fridays for Future-Demonstrationen. Die 18-jährige Studentin ist in zahlreiche bundesweite Kampagnen und in der Öffentlichkeitsarbeit involviert.bild: privat

Auch medial beschäftigt man sich lieber mit der Bezeichnung von veganen Würstchen und Burgern, als über diese so entscheidende Policy zu berichten. Wie so oft wird der systemische Charakter der Klimakrise durch individuelle Konsumkritik in den Hintergrund gerückt. Dabei sind die nächsten sieben Jahre essenziell in Bezug auf die Klimakrise, die Gesellschaft und die Zukunft dieser. Wie die Politik unser Geld ausgibt, spielt hier eine zentrale Rolle.

Anstatt sich aber mit der tatsächlichen Gestaltung der Agrarpolitik zu beschäftigen, wird, wenn überhaupt kritisch berichtet wird, nur über die "Enttäuschung der Klimaschützer" gesprochen. Dabei ist ganz klar: Hier geht es nicht um eine persönliche Enttäuschung, sondern um ein Gesetzesvorhaben, das sowohl unwissenschaftlich als auch zerstörerisch ist. Es geht nicht um Meinungsverschiedenheiten, sondern um eine Politik, die ganz praktisch kurzfristige individuelle Profite über die Zukunft ganzer Generationen, über das Überleben von Menschen im Globalen Süden und über das Fortbestehen kleiner und mittelständischer landwirtschaftlicher Betriebe stellt.

Auch Bauern protestierten

Es ist egal, wen diese Politik enttäuscht, die Folgen der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen werden wir früher oder später alle spüren – ich mit meinen 18 Jahren eben mehr und länger als Julia Klöckner mit ihren 47 Jahren.

Obwohl es vielleicht einfacher ist, zynische Witze über Klöckners Statements in der Bundespressekonferenz am vergangenen Mittwoch zu machen, die Intransparenz des Prozesses oder das Versagen in der Berichterstattung zu beklagen, müssen wir in der Realität nun mit dem gemeinsamen Plan der Agrarministerinnen und Agrarminister umgehen. Nach der Zustimmung des Parlaments liegt es nun an der Europäischen Kommission und den Länderregierungen, noch einzugreifen und neu zuverhandeln, bevor es zu spät ist.

Am Mittwoch stand Fridays for Future, wie auch schon in den Wochen zuvor, zusammen mit Bauern und Bäuerinnen auf der Straße – denn auch sie wollen das Gesetz in dieser Form nicht. Trotz interner und öffentliche Kritik haben große Teile der Europäischen Volkspartei, der Sozialdemokraten und Renew Europe, die eine Mehrheit bilden, dem Gesetz gerade zugestimmt. Die europäische Jugend wird nicht vergessen, wer uns im entscheidenden Moment verraten hat. Mit dem jetzigen Vorschlag verpassen die europäischen Staaten viel mehr als nur eine Chance, sie riskieren das 1,5-Grad-Ziel – und riskieren damit alles.

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